Gen Z besonders gefährdet bei Putin-Attacken: „Lebensart, die leicht gestört werden kann“

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Der Zivilschutz in Deutschland hat Mängel, sagt ein Generalleutnant. Die Bevölkerung müsse mehr Eigenverantwortung zeigen. Großbunker indes seien unnötig.

Berlin – In Schweden kennt jeder die kleinen gelben Broschüren, die seit Jahren regelmäßig in allen Briefkästen landen. Die Aufschrift: „Wenn Krieg oder Krisen kommen“. Darin: Ratgeber für Verhaltensweisen, etwa im Fall eines militärischen Angriffs von außen oder bei Naturkatastrophen. Die schwedische Regierung will damit die Bevölkerung vorbereiten.

Auch in anderen skandinavischen Ländern setzt man zunehmend auf Zivilschutz und Wehrhaftigkeit, Stichwort Gesamtverteidigung. Und in Norwegen hat die „Zeitenwende“-Rede von Ex-Kanzler Olaf Scholz für viel Aufsehen gesorgt – der Begriff „Zeitenwende“ hat es gar als Lehnwort in den Sprachgebrauch geschafft.

Vorbereitung auf Krieg und Naturkatastrophen: „Viele aus der Generation Z haben keine Küche mehr“

Ausgerechnet hierzulande allerdings scheint abseits politischer Debatten das Thema Zivilschutz und Vorbereitung auf Katastrophen im allgemeinen Bewusstsein ziemlich weit abgedrängt zu sein. Den Eindruck hat jedenfalls Martin Schelleis, Generalleutnant a.D. und jetzt Bundesbeauftragter der Malteser für Krisenresilienz.

Martin Schelleis
Martin Schelleis ist Generalleutnant außer Dienst der Luftwaffe. Von 2015 bis 2024 war er Inspekteur der Streitkräftebasis der Bundeswehr. Heute ist er Bundesbeauftragter der Malteser für Krisenresilienz. © Peter Sieben

Der gut vernetzte ehemalige Inspekteur der Streitkräftebasis ist in diesen Tagen immer wieder im Berlin unterwegs, um bei Politikern und Entscheidern für ein neues Mindset zu werben. Der jüngste sogenannte Malteser Ehrenamtsmonitor – eine Umfrage der Hilfsorganisation – zeigt: 75 Prozent der Deutschen wissen, dass Eigenvorsorge wichtig und erforderlich ist. „Aber nur 25 Prozent betreiben sie. Und wiederum ein Viertel sagt, dass sie nicht vorhaben, sich um Eigenvorsorge zu kümmern“, so Schelleis im Gespräch mit unserer Redaktion.

Er frage sich, woran das liege, sagt er – und liefert direkt eine Vermutung: „Vielleicht ist es eine Generationenfrage. Viele junge Leute aus der sogenannten Generation Z haben ja gar keine Küche mehr, leben von Foodora oder gehen abends aus. Dabei ist gerade das eine Lebensart, die leicht gestört werden kann.“    

Putins hybride Kriegsführung: Deutschland im Fokus

Tatsächlich warnen Sicherheitsbehörden und Experten schon seit geraumer Zeit, dass Russland unter Wladimir Putin hybride Kriegsführung auch gegen Deutschland betreibt: Hacker-Angriffe, Desinformationskampagnen, geplante Attacken auf kritische Infrastruktur. „Jeder muss sich fragen: Wenn meine Versorgungsketten reißen, wo kriege ich was zu essen her?“, mahnt Schelleis, der für mehr private Eigenverantwortung wirbt.

„Der Staat muss Motor sein und den Rahmen setzen. Aber wir dürfen nicht warten, bis die Katastrophe passiert“, so der Experte.  Das gelte auch für öffentliche Institutionen: Hilfsorganisationen, Altenheime, Krankenhäuser, Medienhäuser müssten schon jetzt selbst aktiv werden und sich vorbereiten. „Ein Beispiel: Die Leitung jedes Altenheims muss sich fragen, was passiert, wenn morgens der Aufzug nicht mehr fährt. Wie kann man die Menschen dann trotzdem noch weiter versorgen?“, so Schelleis.  

Militärisch gut aufgestellt, aber: „Beim Zivilschutz haben wir eine große Schwäche“

Doch auch die neue Bundesegierung sieht er in der Pflicht. „Beim Zivilschutz haben wir eine große Schwäche. Wir wissen ziemlich gut, wie wir uns militärisch aufstellen wollen, um verteidigungsfähig zu sein. Wir wissen aber nicht, wie wir uns im Zivilschutz aufstellen wollen“, sagt Schelleis.  Sein Eindruck: Die Bundesregierung verstehe immer mehr die Notwendigkeit, den Zivilschutz auszubauen, setze das Verständnis aber nicht in Taten um. „Das sehen wir schon bei Kabinettsbildung und der Besetzung von Ausschüssen. Da sitzen Menschen, die sich mit diesem Thema in seiner Komplexität noch gar nicht beschäftigt haben.“

Martin Schelleis im Gespräch mit Bundestagsreporter Peter Sieben in Berlin.
Martin Schelleis im Gespräch mit Bundestagsreporter Peter Sieben in Berlin. © IPPEN.MEDIA

Lernen könne man von den Skandinaviern: „Die Schweden haben einen Zivilschutzminister. Der kümmert sich um Resilienz, und da geht es nicht nur um innere und äußere Sicherheit, sondern auch um Energie, Lieferketten und Folgen des Klimawandels“, sagt der Generalleutnant a.D. Er fordert eine politisch-konzeptionelle Weiterentwicklung von Gesamtverteidigung. „Aktuell wird dabei vor allem an einen externen Angriff gedacht. Aber was ist mit Terrorangriffen von innen? Mit Großschadenslagen nach Naturkatastrophen? Das ist noch nicht in den Köpfen der Regierenden.“ 

Mehr Transparenz von Bundesregierung gefordert: „Kehrt das unter den Teppich“

Immerhin: Gut sei, dass durch das Milliarden-Investitionsprogramm finanzielle Hürden beim Thema Gesamtverteidigung abgebaut seien. Allerdings mangele es an Transparenz, findet Schelleis: „Wenn so viel Geld für Verteidigung und Resilienz ausgegeben wird, hat das Folgen. Das wird im Kernhaushalt Verdrängungseffekte haben und im Wohlfahrtsstaat zu Einschnitten führen.“ Das müsse man den Bürgerinnen und Bürgern offen sagen. „Aktuell kehrt die Bundesregierung das aber noch unter den Teppich.“

Derweil wird seit Monaten immer wieder darüber diskutiert, dass Deutschland zu wenige öffentliche Bunker und Schutzräume hat. Das sei nur bedingt ein Problem, glaubt Schelleis. „Deutschland braucht keine großen Bunkeranlagen mehr. Nach meiner Einschätzung wird es hier keine große Schlacht wie an der Front im Ukraine-Krieg geben. Vielmehr müssen wir uns auf die potenzielle Gefahr von punktuellen Luftangriffen vorbereiten.“  Heißt: „Die Hauptstadt ist dabei immer ein lohnendes Ziel, aber auch Industrieanlagen, Infrastruktur oder Häfen, wo alliierte Kräfte ankommen können. Menschen, die in der unmittelbaren Umgebung leben, müssen sich gegen Splitterwirkung oder Druckwirkung schützen. Dazu braucht es keinen atomsicheren Bunker.“

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