Spahns knallharter Asylkurs: „Wir werden jeden an der Grenze zurückweisen“

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Jens Spahn will Migration stoppen und das Bürgergeld abschaffen. „Es ist nur fair, dass Leistungen gestrichen werden“, sagt er im Interview mit unserer Redaktion.

Jens Spahn kritisierte 2015 als erster führender CDU-Politiker die Flüchtlingspolitik Angela Merkels. Gut zehn Jahre später sieht sich der Unionsfraktionsvize bestätigt. „Wir sind gesellschaftlich am Limit“, sagt Spahn im Interview mit dem Münchner Merkur. Der ehemalige Gesundheitsminister kündigt einen harten Asylkurs an, sollte die Union die Bundestagswahl gewinnen. Das bedeute auch, den Familiennachzug „komplett“ zu beenden.

Jens Spahn: „Den Menschen geht es mit uns besser als mit der rot-grünen Chaos-Ampel“

Herr Spahn, die Union wirbt im Wahlkampf „für ein Deutschland, auf das wir wieder stolz sein können“. Sind Sie stolz auf Deutschland?

Viele Deutsche zweifeln gerade an ihrem Land. Die Stimmung ist an einem Tiefpunkt; das wollen wir ändern. Das heißt: wieder stolz sein können auf Deutschland. Wir brauchen ein Deutschland, das sicher ist und funktioniert, in dem die Züge pünktlich sind, die Verwaltung effizient ist und die Wirtschaft wächst.

Und die Wirtschaft wächst mit der Union-Agenda 2030?

Ja.

In dem Wirtschaftsprogramm verspricht die Union auch Entlastungen für die Bevölkerung. Wie würde das zum Beispiel eine vierköpfige Familie konkret merken?

Für den Durchschnittsverdiener planen wir eine Entlastung von gut 1000 Euro im Jahr.

Die SPD kritisiert, von diesem Programm würden nur Gutverdiener profitieren.

Das sind die üblichen Sozi-Nebelkerzen. Wenn wir Stromkosten und Steuern senken, profitieren alle Haushalte. Wir wollen ein Paket für die vielen Menschen in Deutschland, die sich anstrengen. Denen geht es mit uns besser als mit der rot-grünen Chaos-Ampel. Deshalb brauchen wir ein schnelles Maßnahmenpaket.

Das dann was umfasst?

Bürokratie runter, Bürgergeld abschaffen, Lieferkettengesetz aussetzen, Arbeitszeit flexibilisieren, Energiekosten runter für Verbraucher und Wirtschaft, mindestens um fünf Cent.

Kritiker sagen: Diese Versprechen sind nicht gegenfinanziert.

Natürlich sind sie das. Auch mit Schuldenbremse. Wir müssen dazu den Haushalt neu priorisieren. Beim Bürgergeld geben wir aktuell so viel aus wie für den Verteidigungshaushalt, fast 50 Milliarden Euro. Die illegale Migration kostet uns jährlich einen hohen zweistelligen Milliardenbereich, Herr Habecks Subventions-Schatzkiste auch.

Jens Spahn steht auf dem Balkon imD eutschen Bundestag
Jens Spahn sitzt seit 2002 im Deutschen Bundestag. Er war unter Angela Merkel Gesundheitsminister und ist seit mehr als zehn Jahren Mitglied im CDU-Präsidium. © HCPlambeck

Spahns knallharter Asylkurs: „Werden an der Grenze jeden zurückweisen“

Laut Wahlprogramm sollen an den Grenzen alle Menschen zurückgewiesen werden, „die aus einem anderen Mitgliedstaat der EU oder dem Schengen-Raum nach Deutschland einreisen und bei uns einen Asylantrag stellen wollen“. So gut wie kein Geflüchteter erreicht Deutschland mit dem Flugzeug. Es handelt sich also um einen De-facto-Aufnahmestopp?

Richtig. Das ist ja auch die Logik des Grundgesetzes. Im Artikel 16a steht: Wer aus einem sicheren Drittstaat kommt, hat keinen Anspruch auf Asyl in Deutschland. Wir sind umgeben von sicheren Drittstaaten. Deswegen werden wir jeden an der Grenze zurückweisen, der über die Landgrenze kommt.

Das heißt dann: Menschen, die nach Deutschland kommen, werden in das Land zurückgewiesen, das sie als erstes betreten haben? Die Spanier, Italiener und Griechen werden wenig begeistert sein.

Es ist doch so: Das ganze europäische Asylsystem funktioniert nicht. Wir sind quasi die Einzigen, die sich sklavisch an jeden Absatz und Paragrafen halten. Jetzt wollen wir ein klares Signal senden, dass die irreguläre Migration nicht der Weg nach Europa sein kann. Wenn man mit europäischen Regierungschefs spricht, sagen die mir oft: Jens, das ist euer Problem, die wollen alle zu euch. Und jeder, der nach Deutschland kommt, hat ab Tag eins Anspruch auf Sozialleistungen. Das kann unsere Gesellschaft nicht mehr aushalten.

In der Union war in der Vergangenheit immer wieder von Obergrenzen die Rede. Was ist Ihre Obergrenze?

Wenn etwas illegal ist, darf es nicht stattfinden, ganz einfach. Deshalb ist die Antwort: null. Wir sagen nicht, dass wir niemandem mehr helfen wollen. Aber wir müssen die Kontrolle darüber haben, wem wir warum helfen. Etwa über Kontingente des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR.

Das heißt?

Wir könnten so aus einem akuten Kriegsgebiet Menschen direkt aufnehmen. Über diesen Weg kämen dann auch nicht nur junge Männer. Gleichzeitig schließen wir die Grenzen. Es ist doch nicht humanitär, dass das Recht des Stärkeren gilt und sich vor allem junge Männer durchsetzen.

2023 wurden 350.000 Asylanträge in Deutschland gestellt, 2024 waren es 250.000 – jeweils ohne die Ukraine. Das ist also zu viel für Deutschland?

Wie viele Jahre lang kann ein Land 250.000 Menschen pro Jahr aufnehmen? Wir haben das jetzt zehn Jahre lang einigermaßen hinbekommen, sehen aber in Schulen, Kitas, auf dem Wohnungsmarkt oder an Bahnhöfen, was das mit dem Land macht. Wir sind gesellschaftlich am Limit. Wir haben eine Polarisierung, durch die die extreme Rechte auf dem Weg ist, ein Viertel der Stimmen einzusammeln. Entweder beendet die demokratische Mitte die illegale Migration, oder die illegale Migration beendet die demokratische Mitte.

Übrigens: Wir hatten in den letzten vier Jahren rund 500.000 Menschen im Familiennachzug. Also Menschen, die noch zusätzlich aus Syrien und Afghanistan gekommen sind. Das fehlt in jeder Statistik. Beim lokalen Bürgermeister ist aber trotzdem das Limit erreicht. Deswegen ist eine Maßnahme, den Familiennachzug auszusetzen.

Komplett?

Komplett.

Jens Spahn im Interview mit IPPEN.MEDIA.
Jens Spahn im Interview mit Markus Knall, Chefredakteur von IPPEN.MEDIA, und Politikreporter Andreas Schmid. © HCPlambeck

Um mal die Perspektive zu wechseln: Deutschland braucht doch Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, allein um die Fachkräftelücke zu schließen.

Ja, aber das ist Zuwanderung in Arbeit von Menschen, die eine Qualifikation haben, die sich einfügen und unsere Sprache sprechen oder zumindest schnell lernen wollen. Ich kenne niemanden, der etwas gegen Zuwanderung in den Arbeitsmarkt hat. Wir haben aber viel zu starke Einwanderung in die Sozialsysteme. Fast 60 Prozent der Bürgergeldempfänger haben mittlerweile Migrationshintergrund.

Apropos Bürgergeld. Die Union fordert eine Art Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger. Wo, in welchen Berufen, sollen diese Menschen denn arbeiten?

Es gibt viel Bedarf im Dienstleistungsbereich oder der Gastronomie beispielsweise. Das Angebot ist da. Klar ist auch: Wenn man Bürgergeldempfängern ein Arbeitsangebot macht und sie es zum zweiten, dritten Mal nicht annehmen, dann ist es gerecht, anzunehmen, dass die nicht hilfebedürftig sind. Dann werden wir Leistungen streichen.

Das richtet sich vor allem an die sogenannten Totalverweigerer. Das sind gerade einmal 15.000 Bürgergeldempfänger, also eine mit Blick auf den Arbeitsmarkt vernachlässigbare Zahl.

Die Frage ist ja immer, was ist die Definition von Totalverweigerern? Wenn ein 18- oder 22-Jähriger konkrete Ausbildungsangebote nicht annimmt oder nach drei Wochen nicht mehr da ist, dann fällt er für mich unter Totalverweigerung, fehlt aber in der aktuellen Statistik der Bundesarbeitsagentur. Es ist nur fair, dass diesen Menschen Leistungen gestrichen werden. Fair gegenüber allen, die morgens aufstehen, arbeiten und manchmal netto nicht viel mehr haben als jemand im Bürgergeld, dem Mieten und Heizkosten bezahlt werden.

Man könnte ja auch einfach die arbeitenden Menschen besser bezahlen. Die SPD macht Wahlkampf mit einem Mindestlohn von 15 Euro.

Wer bietet mehr? Warum nicht 20 Euro? Ich verstehe gar nicht, warum die SPD so zurückhaltend ist … Im Ernst: Was Sozialdemokraten nicht verstehen: Alles muss erwirtschaftet werden. Löhne haben etwas zu tun mit Produktivität und der Frage, was mit der Arbeit erwirtschaftet wird. Von staatlich festgelegtem Lohnwettbewerb ohne irgendeinen Bezug zur wirtschaftlichen Stärke halte ich gar nichts. Mein Eindruck ist, dass die große Mehrheit der Deutschen das auch instinktiv fühlt. Leistung muss sich wieder lohnen. Und genau das haben wir vor.

Also?

Wir wollen die ersten 2000 Euro Verdienst für Rentner steuerfrei machen. Die Folge: Hunderttausende Rentner fangen freiwillig wieder an zu arbeiten. Dasselbe gilt für die steuerfreie Überstunde, durch die hinreichend viele Menschen mehr arbeiten wollen werden. Weil sie etwas davon haben.

Spahn träumt von absoluter Mehrheit und sagt zur AfD: „Wer blau wählt, hilft Scholz und Habeck“

In einem Beitrag für die ZDF „heute Show“ haben Sie zu möglichen Koalitionen gesagt: „GroKo ist nicht die Zielmarke, dieses Land ist so wenig links, es kann auch andere Mehrheiten geben“. Was haben Sie damit gemeint?

Bürgerlich-liberal-konservative Mehrheiten, ohne die extreme Rechte. Es gab aber auch Umfragen, laut denen 38,5 Prozent zur absoluten eigenen Mehrheit reichen. Das halte ich nicht für undenkbar.

In aktuellen Umfragen zur Bundestagswahl steht die Union konstant bei um die 30 Prozent.

Wir haben aus unseren Fehlern gelernt und unsere Politik mit Friedrich Merz verändert. Wir haben eine klare Position zu Migration, Energie und Bürgergeld. Der eine oder andere traut dem noch nicht so ganz. Damit sich das ändert, sind wir so klar in der Positionierung. Ich werbe für die eigene Mehrheit. Manchmal mache ich mir fast noch mehr Gedanken, was eigentlich bei der übernächsten Wahl passiert, wenn die nächste Bundesregierung nicht liefern können sollte.

Das stärkt dann die AfD? SPD-Chefin Saskia Esken hat zuletzt in der ARD gesagt, sie sei sich nicht sicher, ob die Brandmauer der CDU/CSU zur AfD „für alle Zukunft“ gilt.

Schauen wir auf Österreich: Dort waren es SPÖ und Grüne, die der FPÖ den Weg geebnet haben. Durch vier Jahre Schwarz-Grün, wo mit den Grünen bei Migration nichts Entscheidendes möglich war. Und durch Koalitionsverhandlungen mit den Sozialdemokraten, die à la Habeck massive Steuererhöhungen gefordert haben. Mit ihrer Ignoranz für die tatsächlichen Probleme im Land sind diese Parteien auf dem Weg, das Gleiche hier zu tun, Frau Esken vorneweg. Bei SPD und Grünen gibt es viele Migrationsleugner, die Probleme mit irregulärer Migration bestreiten.

Jens Spahn im Interview mit IPPEN.MEDIA
Jens Spahn im Interview mit IPPEN.MEDIA © HCPlambeck

Das klingt so, als ob Union und Rot-Grün doch weit auseinanderliegen. Falls es aber nach der Wahl zur notwendigen Zusammenarbeit kommt: Wie kriegt man das wieder zusammen?

Ich sehe aktuell nicht, wie man mit diesen Grünen und auch mit Teilen der SPD die großen Probleme des Landes lösen kann. Wer einen wirklichen Politikwechsel will, ja, wer die Demokratie retten will, der muss sich die absolute Mehrheit für die Union wünschen. Das heißt auch: nicht aus Frust die extreme Rechte wählen. Wer blau wählt, hilft Scholz und Habeck.

Warum?

Wer die extreme Rechte wählt, wählt sicher eine Partei, die nicht regieren wird. Das ist für die Regierungsbildung eine verschenkte Stimme und hilft nur Rot-Grün. Mit jeder Stimme für die AfD steigt das Risiko, dass Kompromisse nach links gemacht werden müssen.

Interview: Markus Knall & Andreas Schmid

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