Schon wieder Boeing: Insider hatte vor dem Flugzeugabsturz in Indien gewarnt
In Indien sind 242 Personen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Erneut geht es um eine Maschine der Marke Boeing. Kann das noch Zufall sein?
Ahmedabad – Kaum ein Unternehmen hat in den vergangenen zehn Jahren so regelmäßig für negative Schlagzeilen gesorgt, wie Boeing. Nun reiht sich eine neue Katastrophe in die Liste ein: In Indien ist am 12. Juni ein Flugzeug vom Typ Boeing 787 kurz nach dem Start abgestürzt. Ein einziger Passagier hat überlebt, 242 Personen sind gestorben.
Dabei gilt eigentlich gerade dieses Boeing-Modell als besonders sicher. In den 14 Jahren Geschichte des „Dreamliners“, wie das Modell auch heißt, hat es noch nie einen Vorfall gegeben, noch nie ist ein solches Flugzeug abgestürzt. Das kann man nur nicht für andere Flugzeugtypen von Boeing behaupten. In den USA wird dem Unternehmen wegen anderer Vorfälle gerade der Prozess gemacht.
Flugabsturz in Indien: Boeing „Dreamliner“ galt bisher als besonders sicher
Die „Dreamliner“ Langstreckenmaschinen zählen zu den modernsten Flugzeugen und gelten nach bisherigen Erfahrungen als besonders sicher. Die Variante 787-8 bietet normalerweise Platz für 248 Passagiere, die größere und reichweitenstärkere 787-9 für 296 Personen. Die größte Variante, die 787-10, die zugleich die geringste Reichweite hat, verfügt nach Angaben von Boeing über 336 Sitze. Erstmals in Betrieb genommen wurde die 787 im Jahr 2011. Die am Donnerstag abgestürzte 787-8 wurde 2014 ausgeliefert.

Boeing hat bisher mehr als 2500 Flugzeuge des Modells 787 an Fluggesellschaften oder Leasinggeber verkauft und davon 1189 Exemplare ausgeliefert. 47 Maschinen wurden an Air India verkauft. Die Konstruktion der 787 gilt als besonders fortschrittlich. Aufgrund leichter Verbundwerkstoffe und bestimmter elektrischer Systeme soll die Treibstoffersparnis gegenüber Vergleichsmodellen bei 20 Prozent liegen. Infolge seiner Größe, Reichweite und Effizienz löste der Dreamliner vielerorts die Modelle Boeing 747 und Airbus A380 ab. Der Boeing-Rivale Airbus folgte mit der Entwicklung des Modells A350.
Boeing muss in den USA strafrechtliche Konsequenzen fürchten: Qualität und Sicherheit mangelhaft
Die 787-Flotte ist aber kein unbeschriebenes Blatt. Im Juli 2013 fing eine leere 787 der Ethiopian Airlines am Boden des Londoner Flughafens Heathrow Feuer, was später mit einem Kurzschluss in einem Notrufsender in Verbindung gebracht wurde. Ebenfalls 2013 verhängten Behörden ein vorübergehendes Flugverbot für die gesamte 787-Flotte, nachdem in zwei japanischen Flugzeugen in Tokio und Boston Lithiumbatterien überhitzt waren.
Im März 2024 wurden mindestens 50 Menschen verletzt, als eine 787 der Fluggesellschaft LATAM Airlines auf dem Weg von Sydney nach Auckland während des Flugs absackte. Im Zentrum der Untersuchung steht eine plötzliche Vorwärtsbewegung des Pilotensitzes.
Viel problematischer ist aber die Akte der Boeing 737 MAX. Im Herbst 2018 und Frühling 2019 stürzten zwei Maschinen dieses Typs ab, es kamen 346 Menschen ums Leben. 2024 ist während des Flugs ein Teil einer Kabinenwand verlorengegangen, ein paar Wochen später fing eine Boeing kurz nach dem Start Feuer und ein weiteres Flugzeug verlor ein Rad. Diese Vorfälle haben dazu geführt, dass die US-Regierung Ermittlungen aufnahm. Vergangenen Sommer Boeing sogar zugegeben, die US-Regierung bei der Zertifizierung von Flugzeugen betrogen zu haben.

Ein Whistleblower und früherer Angestellter des Unternehmens, John Barnett, berichtete der BBC über massive Mängel in der Qualitätssicherung und Wartung von Boeing-Flugzeugen. Die Mitarbeiter seien unter Druck gesetzt worden, bei der Qualitäts- und Sicherheitsprüfung abzukürzen, damit die Produktion schneller gehen konnte. Dadurch seien die Flugzeuge teilweise wissentlich mit Schwachstellen hergestellt worden. 2024 hat Barnett Suizid begangen.
Boeing muss Geldstrafe zahlen: US-Regierung strebt Vergleich an
Bisher hat der Konzern wegen der 737 MAX eine Geldstrafe von 243,6 Millionen Dollar verbüßt. 2021 hat Boeing außerdem 500 Millionen Dollar in einen Fonds gezahlt, der den Absturzopfern von 2018 und 2019 zugute kommen sollte. Erst vergangenen Monat gab es Medienberichte über einen weiteren Vergleich zwischen US-Regierung und Boeing, der einen Gerichtsprozess verhindern sollte. Demzufolge soll Boeing erneut 444,5 Millionen Dollar in einen Fonds für die Opfer zahlen, 445 Millionen sollen in die Verbesserung der Qualität der Flugzeuge investiert werden. Noch wurde dem Vergleich nicht zugestimmt – die Opferfamilien nannten den Deal „moralisch verwerflich“, wie aus einem Bericht des Guardian hervorgeht.
Nach dem Absturz in Indien: Was passiert mit Boeing als nächstes?
Angesichts dieses neuen Vorfalls wird die Aufmerksamkeit auf den möglichen Vergleich und/oder dem Strafprozess nochmals erhöht. Was die Situation noch dramatischer macht: US-Medienberichten zufolge hatte erst kürzlich ein weiterer ehemaliger Boeing-Ingenieur vor Mängeln bei den 787 Dreamlinern gewarnt. Auch bei der Herstellung dieser Flugzeuge habe man abgekürzt – er mutmaßte, dass diese Typen mit zunehmendem Alter Probleme bekommen könnten.
„De facto stellen sie fehlerhafte Flugzeuge her“, sagte der Boeing-Ingenieur Sam Salehpour im Frühjahr 2024. „Ich war Zeuge von schweren Montagefehlern beim Zusammenbau des Flugzeugs.“ Boeing weist die Vorwürfe zurück.
Das Vertrauen der Investoren hat Boeing in den vergangenen Jahren nach und nach wieder gewonnen. Zu ihrem Höhepunkt war eine Boeing-Aktie fast 300 Euro wert, das war 2019. Im Zuge der Corona-Pandemie 2020 stürzte die Aktie ab auf 115 Euro – und hat sich seitdem nur leicht erholt. Die immer wiederkehrenden negativen Schlagzeilen haben dem Unternehmen zugesetzt. Nach dem neusten Absturz der Air-India-Maschine fiel der Börsenwert des Konzerns erneut.