Merz pfeift bei unserer Rente auf Mathe – vielleicht hat er ja Recht

Die CDU hat eine sehr lange Tradition darin, die Mathematik zu ignorieren. Und zwar in ihrer Eigenschaft als Partei der Rentner. So ist es auch dieses Mal wieder, trotz des Aufstands der Jungen gegen die Rentenreform.

Friedrich Merz hat die Wahrheit gesagt, es war in einem Moment der Bedrängnis beim Deutschlandtag der Jungen Union: Die Jungen glaubten doch wohl nicht ernsthaft, man könne mit einem Rentenwettlauf nach unten Wahlen gewinnen, hat der Kanzler ihnen zugerufen. Und da hat er einfach recht.

Schon vor der Wahl zog Merz bei der Rente Konsequenzen

Zur Erinnerung: Olaf Scholz hatte einen Wahlkampf aus Frieden und Rente angekündigt. Es war eine Drohung. Eine, die bei der Union verfing. Merz nahm den amtierenden sozialdemokratischen Bundeskanzler ernst. Und zog seine Konsequenzen: Noch vor der Bundestagswahl nutzte er einen Auftritt beim Politischen Forum Ruhr in Essen, um einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit eine klare Absage zu erteilen. "Die 67 bleibt", rief er den mehr als 2000 Zuhörern in der Essener Grugahalle zu.

Von einem "Wirtschaftskanzler" hätte man das glatte Gegenteil erwarten können, nämlich: Mathematik. Ohne die Anpassung der Lebensarbeitszeit an die längere Lebenserwartung ist die Rente entweder pleite oder unbezahlbar. Das ist nicht Politik, sondern Demografie-Einmaleins.

Merz entschied sich für Politik – nicht für Mathematik

Merz aber entschied sich nicht für Mathematik, sondern für Politik. Hätte er sich für Mathe entschieden, hätte er recht gehabt. Wäre aber womöglich nie Kanzler geworden. Weil man in Deutschland gegen die Rentner Bundestagswahlen nicht gewinnen kann.

Mit anderen Worten: Merz redet heute so, wie er vor der Bundestagswahl schon geredet hat. Er ist ein Rentenkanzler, nicht anders als seine Vorgänger: Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Die CDU ist die Partei der Rentner, weil sie schon immer die Partei der Rentner war. Und nicht der Jungen. So ist es gerade auch wieder. Und die mediale Wahrnehmung, Merz sei isoliert und nicht die Jungen, ist womöglich Wunschdenken, bildet die Realität aber nicht ab.

Denn wenn jemand isoliert ist, dann sind es die Jungen in der Union. Die CSU verweigert ihnen die Rückendeckung – und ohne Christsoziale geht in der Union gar nichts. Und: Die wichtigen CDU-Sozialausschüsse machen bei deren Aufstand nicht nur nicht mit – sie empfehlen das glatte Gegenteil: die Annahme des zwischen Union und SPD ausgehandelten Pakets. So jedenfalls lässt sich ihr Vorstandsmitglied Kai Whittaker ein – einer ihrer profiliertesten Rentenexperten. Und auch die mächtigste Unions-Gruppierung, die Mittelstandsvereinigung, lässt die Jungen allein kämpfen.

CDA-Mann Whittaker hat seinen Wahlkreis im Badischen übrigens viermal direkt gewonnen. Ein Zufall ist es nicht. Genauso wenig wie sein aktuelles Plädoyer dafür, den Entwurf der Arbeitsministerin Bärbel Bas jetzt auch im Parlament zur Mehrheit zu verhelfen.

Söders Mann in Berlin definiert die Renten-Linie

Markus Söder hat auf dem Deutschlandtag der Jungen Union ein rhetorisches und taktisches Meisterstück abgeliefert. Er hat die JU-Rebellen gelobt – ohne ihnen auch nur ein einziges belastbares Versprechen zu machen. Sie haben ihm trotzdem applaudiert, weil sie hörten, was sie hören wollten. Und nicht hörten, was er nicht sagte.

Markus Söder
CSU-Chef Markus Söder traf den Ton bei der Jungen Union besser als CDU-Chef und Kanzler Friedrich Merz. Philipp von Ditfurth/dpa

Und an diesem Montag hat Söders Berliner Parlamentsgeschäftsführer Reinhard Brandl die Linie definiert. Abstimmung verschieben, wie von Bildungsministerin Karin Prien gefordert? "Nein." Auf die Unions-Jungen eingehen? Eher nicht, denn: "Wir haben auch eine Gesamtverantwortung." Zur Not Minderheitsregierung ohne SPD? "Blanker Unsinn." Und die aufständischen Jungen: "Wir werden reden." Wenn das keine handfeste Drohung ist.

Und so, wie Brandl, einer der wichtigsten Mehrheitsbeschaffer in der Unionsfraktion, redet, denkt auch Friedrich Merz. Es gibt schließlich nicht nur die "Haltelinie" vom 48-Prozent-Rentenniveau, die der SPD so wichtig ist. Sondern auch die Aktivrente – die Steuerfreiheit für längeres freiwilliges Arbeiten über den Rentenstart hinaus – eine CDU-Idee. Allein dafür "müssen wir dieses Gesetzgebungspaket durch den Bundestag bringen".

Im Paket kann man nicht einfach aussortieren

Da hat Merz recht: Es ist ein Paket, man kann nicht aussortieren, was einem nicht passt. Zum Paket gehört auch die Frühstartrente, die den Jungen helfen soll. Und eben die Mütterrente, das Lieblingskind der CSU.

Eine JU-Delegierte sagte auf dem Deutschlandtag, ohne dieses CSU-Projekt ließe sich mit der SPD viel härter verhandeln. Genauso ist es – der engste Verbündete von SPD-Chef Lars Klingbeil ist beim Rentenpaket der CSU-Vorsitzende Söder, dicht gefolgt vom CDU-Vorsitzenden Merz.

Mit der Rente kann man Wahlen vor allem verlieren

Jeder der drei Parteivorsitzenden hat en Detail unterschiedliche Motive. Aber eins eint diese drei entscheidenden Männer: die Erfahrung, dass mit der Rente Wahlen gewonnen werden. Oder verloren.

Und das ist die lange Tradition der Union: die Partei der Rentner zu sein. Und damit: eine Partei, die für ständig steigende Renten eintritt – auch gegen die Mathematik, denn nichts anderes ist die Demografie – eine einzige Generations-Rechenaufgabe.

Die Traditionslinie kann man aus der Sicht der Gewinner erzählen, aber auch aus der Sicht der Renten-Warner, die allesamt zu Verlierern wurden. Der erste – und größte – Verlierer war der Vater des Wirtschaftswunders, Ludwig Erhard. Er stemmte sich vehement gegen die Einführung der dynamischen Rente, wie wir sie seit 1957 kennen. Und zwar mit dem weitsichtigen Argument, dass die Bezahlbarkeit der Renten am Reproduktionsverhalten der Deutschen hänge. Adenauer antwortete so lapidar wie legendär: "Kinder kriegen die Leute sowieso." Kriegen sie eben nicht, wie wir heute wissen.

"Die Rente ist sicher"? Nein, war sie nicht

Der nächste große Rentenverlierer heißt Kurt Biedenkopf. Der "kleine Professor" war einer der klügsten CDU-Politiker, der schon in den siebziger Jahren auf die Unbezahlbarkeit der derzeitigen Rente hinwies. Helmut Kohl, der CDU-Vorsitzende, stellte den Professor aus Düsseldorf (eis)kalt. Und schickte seinen Norbert Blüm in die Schlacht: "Die Rente ist sicher." Nein, war sie nicht.

Heute warnen die Jungen – ebenso wie die ökonomischen Experten. Katherina Reiche warnt auch ein bisschen, ohne sich laut und direkt gegen den Kanzler zu stellen, der sie entlassen könnte, ohne jemanden auch nur zu fragen.

Der womöglich letzte Triumph der Boomer zeichnet sich ab

Die Bundeswirtschaftsministerin Reiche hat sich lange schon – und völlig plausibel – für eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit ausgesprochen. Aber Reiche hat in der Union einen entscheidenden Nachteil: Sie verfügt über keine Truppen.

Und deshalb sieht es unterm Strich jetzt so aus: Friedrich Merz hat den Auftritt bei der Jungen Union versemmelt. Vorher schon hat er es versäumt, der Renten-Gier der SPD durch Futterentzug zu stoppen – ob das ein Management-Fehler war oder wegen der Rententradition der CDU durchaus gewollt, wird noch zu ermitteln sein.

Die Junge Gruppe hätte mit ihren 18 Mandaten die Macht, das Rentengesetz Anfang Dezember im Parlament durchfallen zu lassen. Was für die Jungen genau diese Frage aufwirft: Wollen sie ausgerechnet den Kanzler, für den sie so vehement gekämpft haben, damit er es überhaupt werden kann, nun stürzen? 

Und wird das die Union geschehen lassen: Als Rentenpartei einen Kanzler ausgerechnet über höhere Renten in die Wüste zu schicken? Die Vorstellung, dass eine Rentnerpartei ausgerechnet an den Renten zerbricht, mutet geradezu naiv an.

Es zeichnet sich eher etwas anderes ab: Der womöglich letzte Triumph der Boomer – über die Mathematiker.