Aktivrente: Ein Zeichen, dass Deutschland doch noch Reformen kann?

Achtung, hier kommt jetzt mal eine gute Nachricht – für alle, die Ruhestand übersetzen mit: aussortiert werden, nicht mehr bei dabei sein. Nicht mehr mitmischen. Nicht mehr ernst genommen werden. Zu nur noch wenig nutze zu sein. Alt werden. Für alle, die denken: Ruhen kann ich noch lange genug – wenn ich nicht mehr auf dieser Welt bin.

Zwei gute Nachrichten für aktive Rentner

Die gute Nachricht ist: Alle, die in Rente gehen, weil sie die "Rente mit 67" erreicht haben, aber sich entscheiden, weiterzuarbeiten, bekommen eine ordentliche Steuersenkung. Denn für sie gilt vom 1. Januar kommenden Jahres an: Zusätzlich zum Grundfreibetrag bleiben noch einmal 2000 Euro im Monat vom Lohn steuerfrei; das macht zusammen 36.000 Euro.

Die zweite gute Nachricht lautet: Arbeitgeber, mittelständische Betriebe vor allem, können von jetzt an mit jenen Arbeitern und Angestellten, die ihnen am Herzen liegen und oft viele Jahre lang zuverlässig für Wertschöpfung des Unternehmens gesorgt haben, verhandeln über deren Weiterbeschäftigung. Denn sie haben ihnen – mit Staatshilfe – wirklich etwas zu bieten.

Wem das hilft? Den Rentnern, den Firmen und der Rentenversicherung, die immer mehr am Rand ihrer Pleite entlangsegelt und nun von der Seite frischen Wind kriegt.

Wenn von links Sozialneid kommt

Redner der SPD machten an diesem Freitag im Bundestag auf einen weiteren sozialpsychologischen Vorteil aufmerksam: Jeder, der Furcht hat vor einem "Strömungsabriss" nach Rentenbeginn, kann nun "gleitend" in den nächsten Lebensabschnitt übergehen. Darum hat nun auch die versammelte Sozialdemokratie, bisher nicht bekanntgeworden als Steuersenkungspartei, nun doch einmal die Senkung einer Steuer begrüßt. Dazu einer, Achtung, für: Besserverdiener.

Denn die werden von der Aktivrente am meisten profitieren. Weil: Sie haben in der Regel auch die begehrten Jobs, bei denen es sich lohnt, sie länger auszuführen. So hat dann auch im Bundestag – ex negativo – die Linkspartei argumentiert.

Mit der Altersarmut nämlich, nach dem Motto: Die Regierung stellt jetzt die besserverdienenden Rentner noch besser, während die anderen Flaschensammeln gehen (müssen). Jeder fünfte Rentner in Deutschland ist von Altersarmut bedroht.

Das Argument stimmt. Und auch wieder nicht: Als argumentative Methode sozialneidisch die eine gegen die andere soziale Gruppe auszuspielen, führt am Ende zu nichts. Oder dazu, dass alle dieselbe Rente haben, weil der Staat der große Gleichmacher ist (was er über die progressive Einkommensteuer ohnehin ist). Was genau besehen nun auch wieder nicht geht: wegen des Äquivalenzprinzips (wer mehr einzahlt, kriegt auch mehr raus).

Kann Deutschland etwa doch Reformen? 

Der große Vorteil der Aktivrente lautet: Ein evidentes Problem – Facharbeitermangel aus demografischen Gründen – wird mit einem einfachen Mittel gelöst. Das Ziel formuliert Oliver Pöpsel von der CDU so: "Wir wollen die Babyboomer im Arbeitsmarkt halten." Auch, weil die: besonders "agil" und "leistungsfähig" seien. Ein so ungewohntes Bekenntnis wie treffendes Urteil zur sozialen Ungleichheit.

Eine echte Reform, und man ist versucht zu sagen: Hey – Deutschland kann ja doch noch Reform. Und auch: Die Union kann ja auch Versprechen halten, Donnerwetter. Nachdem so viele gebrochen wurden (Schulden etc.)

Aktivrente war Idee von "Einfach-mal-machen"-Linnemann

Spätestens an dieser Stelle der Hinweis: Wo war eigentlich der „Einfach-mal-machen-Mann“ Der heutige CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hat die Aktivrente mal erfunden, es war kurz vor einer Illner-Talkshow, bei der es wieder mal darum ging, warum dieses und jenes in Deutschland vor allem nicht geht. 

Carsten Linnemann
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann ist der Erfinder der Aktivrente. Patrick Pleul/dpa

Das war der Moment, da kam Linnemann die Idee, es doch zur Abwechslung mal mit einer einfachen Lösung zu versuchen. In Deutschland, dem Land der Bürokraten, die längst die Dichter und Denker abgelöst haben, jedenfalls kann man diesen Eindruck gewinnen.

Verpasste Chance: Die Union ist ein schlechter Verkäufer

Und dann ist diese Idee auch noch durchgelaufen. Durch die CDU. Durch die CSU. Durch die SPD und hinein in den Koalitionsvertrag. Und jetzt ist der Bundesfinanzminister dafür zuständig, und obwohl Lars Klingbeil der SPD-Vorsteher ist, macht er auch noch mit. Wann zuletzt ist eine Reform, eine zumal, bei der es ums Geld geht, komplett durchgelaufen aus dem Kopf ihres Erfinders bis ins Bundesgesetzblatt?

In der CDU haben sie überlegt, ob Linnemann reden soll. Sie haben es verworfen, vielleicht redet er bei der zweiten und dritten Lesung, wenn alles am Ende dann in Kraft tritt. Gut – kann man so machen. Wenn es über den eigenen Verein gute Schlagzeilen im Überfluss gibt. Die gibt es aber gerade nicht. 

Und darum war es eine verpasste Chance – die Union hat einen Ruck-Redner an diesem Freitagmorgen nicht aufgeboten. Und wenn man darüber nachdenkt, weshalb diese Partei nicht aus den Miesen kommt, dann liegt – neben vielem anderen - auch hierin eine Antwort: Bei der Union sind sie einfach schlechte Verkäufer.

Steuerliche Ungleichbehandlung in dreifacher Hinsicht

"Einfach mal machen" ist übrigens ein doppelbödiges Motto. Denn es schwingt ein Risiko mit – was, wenn es daneben geht? Was auch bei der Aktivrente passieren kann, denn: Auch in der Führung der Union wissen sie, dass diese Aktivrente vor dem Bundesverfassungsgericht landen wird. Und sie wissen auch, dass eine Niederlage möglich ist, weil es sich um einen eklatanten Fall steuerlicher Ungleichbehandlung handelt. 

Und zwar in dreifacher Hinsicht:

  1. Wie soll man begründen, dass ein Bald-Rentner einen Tag vor der Rente höhere Steuern auf seinen Verdienst zahlt als ein Real-Rentner einen Tag nach Start der Auszahlung?
  2. Wie soll man begründen, dass Jüngere, die ohnehin eines Tages die Zeche zahlen müssen, höhere Steuern zahlen als Ältere, denen es – statistisch gesehen – ohnehin aufgrund ihrer Lebensleistung materiell besser geht?
  3. Wie soll man begründen, dass ein Festangestellter in den Genuss dieser Steuersenkung kommt, nicht aber ein Freiberufler? Oder ein Beamter? Oder ein Landwirt? Oder ein "Kreativer"?

Ausweitung der Aktivrente wäre richtig teuer

Den letzten Punkt hat die AfD aufgenommen – in einem eigenen Entwurf. Sie erwischt damit auch einen wunden Punkt bei der Union. Denn die Wahrheit ist: Diese steuerliche Ungleichbehandlung lässt sich nicht sytemisch begründen, sondern nur opportunistisch. Die Selbständigen sind im Koalitionsgesetz nicht drin, weil das noch einmal komplizierter geworden wäre, und vor allem: richtig teuer.

Den selbständigen Notar im Alter von 72 Jahren – um mal ein Beispiel zu nennen – auch noch in die Steuerbegünstigung hereinzunehmen, hätte, wie aus der Union verlautet, einen "zweistelligen Milliardenbetrag" verschlungen.

Einfach mal die Prinzipienreiterei sein lassen

Die drei steuersystematischen Einwände sind allesamt schwergewichtig. Und weil das so ist und es die beiden Koalitionsfraktionen auch wissen, hat man sich auf ein "Monitoring" verständig: Jetzt mal anfangen und dann zwei Jahre gucken, was so passiert – am Rentnerarbeitsmarkt. Und dann eben nachbessern.

Es anders zu machen, wäre vielleicht klüger gewesen, weil vorsichtiger. Es hätte aber auch bedeutet, die Prinzipienreiterei auf die Spitze zu treiben. Wie es fast überall gemacht wird, wenn deutsche Politiker Gesetze machen und dabei Einzelfallgerechtigkeit herstellen wollen. Weil ein jeder Angst hat vor diesem Vorwurf: Warum geht es dem anderen besser, aber nicht mir?

Das alles wäre dann doch typisch deutsch gewesen. Deshalb hat man es jetzt einfach mal sein gelassen.