„Ich bin Deutschland dankbar“: Drei Syrer verschiedener Religionen und Abstammungen über den Assad-Sturz

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Bei Lujayen Alkouli kommen aktuell viele Emotionen und Erinnerungen hoch. © Arndt Pröhl

Zwischen Freude und Angst: Drei Syrer aus dem Landkreis berichten, was der Assad-Sturz in ihnen auslöst und wie Sie in die Zukunft ihres Heimatlandes blicken.

Nach knapp 14 Jahren Bürgerkrieg in Syrien hat der Sturz des Machthabers Baschar al Assad weltweit für Aufsehen gesorgt. Syrien steht nun nach über 50 Jahren Diktatur durch das Regime der Assad-Familie ein Machtwechsel bevor. Aktuell arbeitet die Rebellenallianz unter Führung der islamistischen Gruppe Hajat Tahrir al-Scham an einer Übergangsregierung. Der Bürgerkrieg, der 2011 infolge des arabischen Frühlings ausbrach, zwang tausende Menschen zur Flucht. Auch im Landkreis haben sich einige Syrer ein neues Leben aufgebaut. Die Nachrichten aus ihrem Heimatland lösen bei ihnen verschiedene Gefühle aus.

Hoffnung auf friedliches Syrien

Ramiz Haskilo, Lujayen Alkouli und Saba Al Day haben vieles gemeinsam: Alle drei kommen aus Syrien, alle drei wohnen und arbeiten seit vielen Jahren im Tölzer Land. Und sie alle haben Verwandte und Freunde in ihrem Heimatland, um die sie jahrelang bangen mussten. Was sie allerdings voneinander unterscheidet, ist ihre Religion und Abstammung. Saba Al Day ist Christ. Lujayen Alkouli Muslima aus Damaskus und Ramiz Haskilos ist zwar auch Moslem, aber seine Familie ist kurdischer Herkunft. Entsprechend unterschiedlich blicken sie auf die politischen Geschehnisse. Was sie dabei eint: die Hoffnung auf ein besseres, friedliches Syrien.

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Lujayen Alkouli sitzt vor einer Tasse Kräutertee und wärmt sich die Hände. Die vergangenen Tage waren für die 29-Jährige eine emotionale Achterbahnfahrt. 2014 floh Alkouli mit ihrer Familie aus Damaskus. „Erst waren wir in Libyen, dann sind wir mit einem Boot über das Mittelmeer. Von Italien kamen wir nach Deutschland.“ Die ersten Jahre lebte sie in Schlehdorf. „Die Flucht und der Neuanfang haben mich stärker gemacht“, sagt sie. Heute spricht Alkouli fließend Deutsch, arbeitet als Chemielaborantin, hat eine Wohnung und ein eigenes Auto. „Seit zwei Jahren bin ich Deutsche“, sagt sie stolz. Ihr Heimatland trägt die junge Frau noch immer im Herzen. „Wenn ich die Nachrichten lese, kommen Erinnerungen hoch. Ich frage mich seither, ob ich jetzt frei bin, nicht mehr heimatlos.“ Ihr stehen die Tränen in den Augen. „Das reißt alte Narben auf, und es tut weh, dass die Freunde und Verwandten, die wir verloren haben, das nicht miterleben dürfen.“

dpatopbilder - 08.12.2024, Syrien, Damaskus: Syrische Oppositionskämpfer feiern nach dem Zusammenbruch der syrischen Regierung. Foto: Omar Sanadiki/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Bilder, die die ganze Welt bewegen: Oppositionskämpfer feiern nach dem Zusammenbruch der syrischen Regierung in Damaskus. © Omar Sanadiki/dpa

Sowohl bei ihren Familienmitgliedern in Damaskus als auch bei ihrer Familie in Deutschland überwiege die Erleichterung. „Das ist ein so großer Schritt für das Land.“ Allerdings schwebe man auch in Ungewissheit. „Ich hoffe, dass es stimmt, was der Rebellenanführer sagt, dass er ein Syrien für alle will.“

Ich bin Deutschland dankbar, dass wir diese Möglichkeit bekommen haben.

Für die 29-Jährige wäre es ein Traum, ihr Heimatland irgendwann zu besuchen. Auch wenn sie weiß: „Es wird schmerzhaft sein, das Ausmaß der Zerstörung zu sehen.“ Wieder ganz nach Damaskus zu gehen, kann sich Alkouli nicht vorstellen. „Ich habe mir hier eine Existenz aufgebaut, mich integriert und fühle mich wohl. Ich bin Deutschland dankbar, dass wir diese Möglichkeit bekommen haben.“ Ihr Wunsch ist es nun, dass keine voreiligen Entscheidungen über Abschiebungen nach Syrien getroffen werden. „Die Menschen brauchen etwas Zeit, um sich neu zu sortieren. Außerdem ist unklar, wie es politisch weitergeht“, erklärt sie. „Mit Blick auf die in Deutschland anstehenden Wahlen hoffe ich, dass diesbezüglich nichts vorschnell entscheiden wird.“

Viel frisches Obst und Gemüse sowie Kräuter gibt es im Damaskus-Supermarkt der Brüder Majdi (li.) und Ramiz Haskilo an der Badstraße zu kaufen. Seit der Edeka zu ist, verzeichnen sie viele neue Kunden. Umsatz im Biomarkt ist spürbar gestiegen Lebensmittel gibt’s auch im Eine-Welt-Laden
Ramiz (re.) und Majdi Haskilo leiten einen Supermarkt in Tölz. © Arndt Pröhl

„Uns gratulieren im Geschäft sehr viele Menschen“, berichtet Ramiz Haskilo. Gemeinsam mit seinem Bruder betreibt er einen Supermarkt in Tölz. Haskilo ist in Aleppo geboren und in einer nahegelegenen kurdischen Ortschaft aufgewachsen. 2012 ist er mit den ersten 17 Flüchtlingen nach Bad Tölz gekommen. „Da wir Kurden sind, ist die Situation für uns deutlich komplexer“, erklärt er. „Natürlich bin ich froh, dass das Assad-Regime zu Ende ist. Er war ein Diktator, und es hätte mit ihm nie Frieden gegeben.“ Aber: „Bisher weiß keiner, ob es nun besser wird, vor allem für Kurden.“ Auch fragt er sich, welche Rolle der türkische Präsident Erdogan in der Zukunft des Landes spielen wird. Haskilo stellt dabei klar: „Ich will nicht sagen, dass alle Kurden Engel sind, jeder will seine Interessen durchsetzen, aber wir hoffen und bangen, dass es einen friedlichen Weg zu einer gemeinsamen Lösung geben kann.“ Seine Schwestern leben immer noch in Syrien. „Die Angst, dass ein weiterer Konflikt im Land eskaliert und die kurdischen Dörfer gefährdet sind, ist natürlich da.“ Trotz aller Sorgen sagt Haskilo aber klar: „Die Hauptsache ist, dass kein zweiter Assad an die Macht kommt.“

Verschiedene Hintergründe, verschiedene Blickwinkel

Bereits seit 1989 lebt Saba Al Day in Bad Tölz. „Dass es irgendwann passiert, war mir klar“, meint er. Ob in Syrien nun alle Grund zur Freude haben, stelle er allerdings infrage. „Keiner weiß, wie es weitergeht, und es bestehen nach wie vor sehr viele Konflikte in dem Land – sowohl territorialer als auch religiöser Art. Und viele der Rebellen sind gar keine Syrer, keiner kann einschätzen, was die wirklich wollen“, argumentiert er. „Das Beste, was Syrien passieren kann, ist, dass die Politik von der Religion getrennt wird“, sagt der Goldschmied. „Meine Familie lebt auch noch in Syrien. Wir sind Christen, und bei uns überwiegt die Angst.“

So verschieden die Syrer in die Zukunft ihres Heimatlandes blicken – wichtig sind die Gemeinsamkeiten: „Die Hoffnung auf Frieden für alle Syrer“, fasst es Alkouli zusammen.

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