Drohnenwall gegen Putin: Industrie fordert Aufträge – die Bundeswehr schreibt Konzepte
An Drohnen ist die Bundeswehr blank und übt mit Modellen von der Stange. Die Industrie will Geld; die Verwaltung ausgereifte Technik – und Flakpanzer.
München – „Das ist etwas völlig Neues – eine Drohnengrenze von Norwegen nach Polen, deren Zweck es wäre, unsere Grenze mithilfe von Drohnen und anderen Technologien zu schützen“, sagte Agnė Bilotaitė gegenüber der Nachrichtenagentur Baltic News Service, wie Newsweek die litauische Innenministerin zitierte. Das war Mitte vergangenen Jahres, als sechs Staaten angesichts des Ukraine-Krieges ihre zukünftige Verteidigung gegen Wladimir Putins Invasionsarmee planten – einen Drohnenwall; den „East Shield“. So etwas fordert jetzt auch die deutsche Industrie. Der Reservistenverband hat bereits Ende vergangenen Jahres in seinem Magazin loyal von der Bundeswehr als einer „drohnenarmen Armee“ gesprochen.
„Wenn wir an die Nato-Ostflanke denken, also 3.000 Kilometer Grenze, und mit Masse dorthin kommen, auf asymmetrische Fähigkeiten setzen, also Zehntausende Kampfdrohnen dort konzentrieren, dann ist es eine sehr glaubwürdige konventionelle Abschreckung“, sagt Gundbert Scherf jetzt gegenüber dem Sender n-tv. Der Mitbegründer und Co-Vorstandsvorsitzender des Unternehmes Helsing aus München meldet sich zeitig mit seiner Forderung eines „Drohnenwalls“ ähnlich dem von den östlichen Nato-Partnern geplanten zum perfekten Zeitpunkt, weil das neue Sondervermögen für Sicherheit gerade auch vom Bundesrat beschlossen worden ist.
Drohnenausrüstung für die Bundeswehr? „Diese ist ein massiver Schwachpunkt“
Nun stehen die Investitionen an. Wie Scherf gegenüber n-tv erläutert, ergäbe die Kombination von Aufklärungs- und Kampfdrohnen eine intelligente Sperre gegen anrückende Kräfte – die würden bekämpft, aber eigene Truppen durchgelassen. Ein Drohnenwall könne damit auch Minensperren ersetzen. Das würde dann sowohl Kosten sparen als auch Kräfte, wie seine Aussage nahelegt. „Wie steht es um innovative Drohnenrüstung für die Bundeswehr?“, hat Ende vergangenen Jahres für das Reservistenmagazin loyal dessen Autor Björn Müller gefragt – um die Antwort selbst zu geben: „Diese ist ein massiver Schwachpunkt.“
„Die Drohnen bekämpfen Systeme auf der anderen Seite, die einen deutlich höheren Gegenwert haben. Drohnen bekämpfen Panzer zu weniger als einem Prozent der Kosten. Natürlich kann ein Gegner auch mit viel teureren Raketen auf Drohnen schießen. Aber wenn man so will, ist dann die Bekämpfung der Drohne eher die Zerstörung einer Rakete.“
Die rhetorische Attacke des Drohnen-Bauers Helsing aus München wird wohlfeil flankiert – mit wissenschaftlichem Geschützdonner: „Wir brauchen Zehntausende von intelligenten Robotern auf dem Gefechtsfeld, und das sind in allererster Linie heute Drohnen, die Sie in kleinen Fabriken herstellen können“, sagte Thomas Enders vor einigen Tagen gegenüber der Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.). Enders war nicht nur Vorstandsvorsitzender des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS, sondern auch Chef von Airbus, ist seit einigen Jahren Präsident des deutschen Thinktanks Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und nichtoperatives Mitglied im Verwaltungsrat von Helsing.
Gegenüber der F.A.Z. hat Enders beklagt, dass noch zu viel Geld in starren und komplexen Plattformen verschlissen würde – wie etwa einer F-35. „Es geht darum, die richtigen Lehren aus dem Ukraine-Krieg zu ziehen“, hat Enders gefordert und damit gemeint, dass erstens schneller produziert werden müsse und zweitens richtig investiert: „Schon ein paar Dutzend Menschen könnten im Monat eine vierstellige Anzahl von Kampfdrohnen herstellen, und das zu Kosten, die unter denen für eine Granate des Leopard-2-Panzers lägen.“ Auch Helsing produziere sowohl in Deutschland als auch bereits in der Ukraine.
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Drohnen kaum ein Thema: Deutschland fehlt ein Ökosystem für militärische Drohnen-Start-ups
Auch loyal-Autor Müller beklagt, dass Deutschland ein Ökosystem für militärische Drohnen-Start-ups fehle. Zwar nennt er als Fortschritt die Wehrtechnische Dienststelle 61 in Manching, zu der seit 2021 ein „Drone Innovation Hub“ gehöre, wie Müller schreibt. „Der kann Unternehmen zwar Halle und Felder zum Testen bieten, aber der Hub hat keine Werkzeuge, um vielversprechende Vorhaben finanziell zu flankieren. Die zahlreichen Studien, Modelle und Demonstratoren, die es braucht, um überhaupt an die Tür des Beschaffungsprozesses zu gelangen, kosten Start-ups sehr viel Geld, wobei ihnen meist die Luft ausgeht.“
Immerhin habe Deutschland im vergangenen Jahr ein Papier vorgelegt, wie Waldemar Geiger im Militär-Blog hartpunkt aktuell berichtet: „Konzept für Einsatz UxS/LMS im Heer“ – UxS bezeichnet als Kombi-Begriff Unmanned Aerial, Maritime oder Ground Systems, also unbemannte Systeme (Drohnen) jeglicher Dimension. LMS stehe für Loitering Munition System (herumlungernde Munition), so Geiger. Der Autor schreibt, dass in diesem Papier die benötigte Menge an Drohnen heruntergebrochen würde auf Trupp-Ebene und als Grundlage der Bedarfsplanung diene. Ihm zufolge läge das Konzept jetzt auch der Bundeswehrführung vor, insofern stünde „die Einleitung der Beschaffung“ zur Entscheidung an.
„Spricht man mit Heeresvertretern, die mit der Thematik der Drohnenkriegsführung vertraut sind, wird einem unmissverständlich signalisiert, dass man sowohl die Drohnenentwicklung in der Ukraine als auch den Umgang der Verbündeten mit der Thematik sehr genau beobachtet“, schreibt Geiger und stellt den Eindruck von überflüssigen Bürokratieschritten gegen die „notwendige Maßnahme, um eine ungesteuerte Beschaffungshysterie zu vermeiden, die in manchen Teilen der Welt zu beobachten ist“, wie er sich ausdrückt.
Putins Trumpf: „Der Leitsatz des Beschaffungsamts ist, dass es ‚ausgereifte Technik‘ braucht“
Das Konzept dreht sich um Drohnen mit Abfluggewichten von 150 bis 600 Kilogramm und einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern vor. Darüber hinaus berichtet Geiger von inzwischen laufenden Feldversuchen mit Kleinstdrohen über das gesamte Heer hinweg. Demnach haben Kommandeure aller Heeresverbände Geld aus dem Titel „Flexible Haushaltsmittel für Kommandeure“ ausgeben dürfen für Drohnen von der Stange entsprechend der Positivliste von Drohnentypen westlicher Hersteller, um den Gebrauch zu üben. Geiger zufolge würden neben der Heeresaufklärungsschule in Munster und der Pionierschule in Ingolstadt weitere Schulen des Heeres als Ausbildungsdienststellen zertifiziert, um die Ausbildung sicherzustellen – laut hartpunkt würden dafür Kräfte der nach Litauen abzukommandierenden Brigade priorisiert werden.
Hartpunkt-Autor Waldemar Geiger und sein loyal-Pendant Björn Müller sehen gleichermaßen die wesentlichen Bedrohungen weniger extern durch einen Kriegsherren wie Wladimir Putin, denn intern, wie Geiger schreibt: „Genau hier liegt auch eine der wesentlichen Herausforderungen der Drohnenkriegsführung: Der reguläre Beschaffungsprozess – von der Erstellung eines Forderungskataloges bis zum Abschluss der Integrierten Nachweisführung – dauert oftmals länger als der technologische Innovationszyklus im Bereich der UxS.“ Und Müller ergänzt: „Der Leitsatz des Beschaffungsamts ist, dass es ‚ausgereifte Technik‘ braucht, wie dessen Vertreter auf Rüstungsmessen immer wieder betonen. Reife braucht Zeit.“
Anders als im Ukraine-Krieg: Derzeit unternimmt die Bundeswehr keine Planungen zu FPV-Kampfdrohnen
Zeit ist allerdings offenbar die kostbarste Ressource aller westlichen Länder angesichts der Vermutung, Russland könne in fünf bis acht Jahren so kriegstüchtig sein, um sich auf irgendeine Weise mit der Nato messen zu wollen. Aber Kleinstdrohnen, wie sie in der Ukraine massenhaft auch gegen kleine Stellungen eingesetzt werden, scheinen in der Bundeswehr kein Thema zu sein, wie Björn Müller in loyal anhand einer Aussage aus dem Verteidigungsministerium klarstellt: „Derzeit unternimmt die Bundeswehr keine Planungen zum Testen oder Einsetzen von FPV-Kampfdrohnen“, so ein dortiger Sprecher. Die Bundeswehr scheint auf „eine gestärkte Abwehr“ zu setzen, etwa in Form von Flakpanzern, wie dem von Rheinmetall gelieferten Skyranger.

„595 Millionen Euro sollen die 19 neuen Flugabwehrsysteme kosten – umgerechnet macht das knapp acht Boeing 737“, hat Autor Leander Löwe für die hessenschau Anfang vergangenen Jahres berichtet. Ein ökonomischer Wahnsinn für Helsing-Mitbegründer Gundbert Scherf – für ihn sei die Drohne dagegen massenhaft verfügbar, trotzdem vergleichsweise günstig und dennoch stark asymmetrisch wirkend, wie er gegenüber n-tv nochmals unterstrichen hat.
„Die Drohnen bekämpfen Systeme auf der anderen Seite, die einen deutlich höheren Gegenwert haben. Drohnen bekämpfen Panzer zu weniger als einem Prozent der Kosten. Natürlich kann ein Gegner auch mit viel teureren Raketen auf Drohnen schießen. Aber wenn man so will, ist dann die Bekämpfung der Drohne eher die Zerstörung einer Rakete.“