Russland verfolgt mit Drohnen-Operationen 3 Ziele - und will von etwas ablenken

Markus Reisner ist Oberst des Generalstabsdienstes im Österreichischen Bundesheer und Leiter des Instituts für Offiziersausbildung an der Theresianischen Militärakademie. Er hat eine klare Haltung dazu, wie das westliche Verteidigungsbündnis auf die russischen Störmanöver mit Drohnen reagieren sollte.

Herr Oberst Reisner, was wissen wir genau über die Störmanöver mit Drohnen, die derzeit vor allem die skandinavischen und baltischen Länder melden, die aber auch bereits Schleswig‑Holstein erreichen?

Markus Reisner: Erstmal will ich feststellen, dass solche Störmanöver grundsätzlich nichts Neues sind. Wir haben sie in der Vergangenheit, sogar bereits im Kalten Krieg, immer wieder erlebt. 

Sie haben allerdings während des Kriegsverlaufs in der Ukraine und insbesondere in den vergangenen Wochen eklatant zugenommen. Aber es gab sie eben immer schon, und sie haben zu Zeiten der Sowjetunion nicht selten damit geendet, dass ein gegnerisches Flugzeug, das in den eigenen Luftraum eingedrungen war, abgeschossen wurde. 

Ich will nur an den Fall des US‑Piloten und CIA‑Agenten Francis Powers erinnern, der 1960 über der Sowjetunion abgeschossen und gefangen genommen wurde, nachdem sein Spionageflugzeug von der sowjetischen Luftverteidigung getroffen worden war. Der Fall gilt als einer der Auslöser für die Entwicklung von Drohnen, weil man vermeiden wollte, dass eigene Soldaten dem Feind in die Hände fallen. 

Das Positive, was ich aus diesen und anderen Beispielen erkenne, ist, dass kein einziger dieser Fälle einen dritten Weltkrieg ausgelöst hat.

Russlands Strategie hinter den Drohnenangriffen

Warum kommt es jetzt zu diesen geballten Störmanövern?

Reisner: Es geht der russischen Seite um drei Dinge: 

  • Sie verbreitet gezielt Verunsicherung in der europäischen Bevölkerung,
  • sie testet die Reaktionsfähigkeit der Nato,
  • sie versucht, westliche Fliegerabwehr in Europa zu binden. 

Vor allem aber sorgen die Russen aber eben für Verunsicherung, indem sie die öffentliche Debatte in den europäischen Ländern beeinflussen. Sie konzentriert sich jetzt fast ausschließlich auf dieses Thema, und das lenkt davon ab, dass Russland an der Ukraine‑Front derzeit seine Ziele zunehmend verfehlt

Die russische Offensive ist fast zum Erliegen gekommen. Es ist nicht gelungen, die ukrainischen Streitkräfte niederzuringen oder gar durchzubrechen. Im Gegenteil: Die Ukraine holt zu immer folgenreicheren Gegenschlägen, auch mit Hilfe von Drohnen, aus. Mit Einsetzen des Winters ist die russische Sommeroffensive dann erst mal ganz vorbei.

Nato-Spannungsfall? Ein richtiges Signal an Russland

Jetzt schlägt CDU‑Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter vor, den Nato‑Spannungsfall auszurufen, was unter anderem die sofortige Inkraftsetzung der Wehrpflicht bedeuten würde. Was halten Sie davon?

Reisner: Was Kiesewetter macht, ist richtig. Nicht unbedingt, weil es so kommen muss, sondern weil es die Diskussion über die angemessene Reaktion entfacht und der anderen Seite zeigt, dass Europa und die Nato hier nicht tatenlos zusehen. 

Wir haben doch gesehen, dass diplomatischer Druck bei Putin zu nichts führt. Selbst nach dem Gipfeltreffen mit Donald Trump ändert er seine Strategie nicht. Im Gegenteil. Wir sehen auch, dass die Sanktionen nur sehr langsam und nicht ausreichend wirken. Russland geht es zwar wirtschaftlich nicht gut, aber die Kriegsmaschinerie ist trotzdem intakt

Vor diesem Hintergrund ergibt sich ein klares Lagebild: Es geht nur mit militärischem Druck. Wichtig ist, dass wir besonnen bleiben und nicht in einen Panikmodus verfallen. Das genau nämlich wäre es, was der Gegner will. Europa und die Nato müssen jetzt Geschlossenheit zeigen und klarmachen, dass man sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt.

Drohnenabwehrzentrum: Notwendig oder Luxus?

Innenpolitisch wird hierzulande über ein Drohnenabwehrzentrum diskutiert. Brauchen wir das?

Reisner: Deutschland und andere Länder haben in den Jahren nach dem Kalten Krieg massiv abgerüstet und an Verteidigungsfähigkeiten eingebüßt. Sie haben die sogenannte Friedensdividende genossen und in andere Bereiche investiert. Die Waffenlieferungen in die Ukraine haben unsere Möglichkeiten zusätzlich geschwächt, weil eben viel – von wenig verfügbarem – Material dahin geht. 

Insofern ist es richtig, jetzt alles zu unternehmen, um die Verteidigungsmöglichkeiten wieder hochzufahren. Dazu kann auch so ein gesamtstaatliches Abwehrzentrum gehören.

Also mal kein bayerisches ... ist das eigentlich Sache der Polizei oder der Bundeswehr?

Reisner: Da sprechen Sie ein heikles Thema an. Die Gefahrenabwehr im Inneren ist Sache der Polizei, also der Länder, und kann zentral über das Bundesinnenministerium gesteuert werden. Die Gefahrenabwehr nach außen ist Sache der Bundeswehr und wird über das Verteidigungsministerium gesteuert. 

Die Störmanöver durch ausländische Drohnen ergeben eine neue Rechtslage, die sich teilweise ergänzt und teilweise widerspricht. Das Positive ist, dass wir unter dem Druck dieser Herausforderung jetzt Fragen klären müssen, die bislang offengeblieben sind, weil sich niemand darum gekümmert hat.

Abschuss nur als letzte Option

Kann man die Drohnen denn einfach so abschießen? 

Reisner: Sie über dicht besiedelten Gebieten abzuschießen, ist sicher keine gute Idee und kann nur im Notfall, also bei einem Angriff, notwendig sein. Die Abwehr kennt verschiedene Möglichkeiten, und diese hängen vom Typ der Drohne ab. Es gibt inzwischen auf den Abschuss von Drohnen spezialisierte Waffen. 

Wenn nicht nur Drohnen, sondern sogar – wie jetzt schon öfter geschehen – russische Kampfflugzeuge in den Nato‑Luftraum eindringen, starten Abfangjäger und machen sich beim Gegner bemerkbar. Sie können durch „Show‑of‑Force“‑Flugmanöver, das Ablassen von Treibstoff bis hin zu Warnschüssen klarmachen, dass sie nicht einverstanden damit sind, was der Gegner tut. 

Der Abschuss ist die Ultima Ratio. Hier muss die Angriffsabsicht eindeutig erkennbar sein.

Dieser Text erscheint in Kooperation mit Business Punk.