„Psychologische Sache“: Russland reagiert auf Drohnen-Gefahr – mit noch mehr Stahl

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„Psychologische Sache“: Russland reagiert auf Drohnen-Gefahr – mit noch mehr Stahl

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Eher improvisiert: Ein russischer T-72BM-Panzer kürzlich aufgenommen in der Region Cherson mit selbst gebauter Drohnen-Panzerung. Der T-80 soll jetzt scheinbar werksseitig den so genannten „Cope Cage“-Drohnenschutz bekommen. © IMAGO/ITAR-TASS/Alexei Konovalov

Panzer bleiben gefährdet. Russland verstärkt seine T-80-Modelle weiter gegen Drohnen. Aber Stahl allein wird kaum reichen: Neue Taktiken sind gefragt.

Moskau – „Es ist eine psychologische Sache, die Soldaten im Kampf realisieren, wenn sie überleben wollen“, sagt Gian Gentile. Der ehemalige Oberst der US-Armee und Panzer-Kommandant spricht von den „Cope Cages“, das sind die käfigartigen Selbstbauten über den Türmen russischer Panzer – und zunehmend auch über den westlichen. Seit dem flächendeckenden Einsatz von Drohnen im Ukraine-Krieg sollen diese die Panzer schützen und werden offenbar inzwischen auch serienmäßig verbaut – Wladimir Putins Armee will jetzt mit einem neuen Anti-Drohnen-System ausgerüstete T-80BVM-Panzer für den Einsatz in der Ukraine anrollen lassen. Der Nutzen steht allerdings in Zweifel.

Darüber berichtet aktuell das Magazin Armyrecognition. Ein Militärvertreter des russischen Verteidigungsministeriums habe demnach betont, dass die Panzer T-80BVM die Fähigkeiten der bestehenden westlichen Militärausrüstung nicht nur erreichen, sondern sogar übertreffen, wie ein russischer Ingenieur dem Magazin berichtet habe: „In Bezug auf Eigenschaften, Manövrierfähigkeit, Steuerbarkeit, Geschwindigkeit und Schutz sind die Panzer T-80BVM ihren westlichen Pendants überlegen.“

Die allerdings fahren mittlerweile auch mit Käfigen ins Gefecht. 20.000 Dollar, also knapp 18.000 Euro, soll diese Art der Aufrüstung für einen US-amerikanischen Abrams-Panzer kosten; „was meiner Meinung nach ein toller Deal ist, um einen zehn Millionen Dollar teuren Panzer zu schützen“, schreibt der australische Militär-Blogger Wes O-Donnell. Die Käfige sind unausweichliche Reaktionen auf die Bedrohungen durch Luftangriffe via FPV-Drohnen (First Person View), die ihre Sprengsätze anfangs des Krieges einfach in die teilweise geöffneten Luken werfen konnten oder die die in der Rückfront gelagerte Munition getroffen haben.

„Die kreativen Taktiken von Panzerjägerteams können Panzern erhebliche Verluste zufügen. Jedes Szenario, in dem diese Teams erfolgreich Infanterie von Panzern trennen könnten, würde zu einer sehr gefährlichen Gleichung führen. Aber Kommandeure der Panzereinheiten könnten das Problem möglicherweise lösen, indem sie kreative kombinierte Waffentaktiken anwenden.“

Dafür waren die Panzer in ihrer Konstruktion nie ausgelegt gewesen. Ende November vor der Invasion im Februar 2022 hatte das Magazin The Warzone berichtet von „käfig- oder schirmartigen Strukturen, die an den Türmen russischer Panzer angebracht sind, grobe Metallstrukturen, ähnlich einer Lamellenpanzerung, die eindeutig Schutz vor Angriffen von oben bieten sollen“; ein Novum für die rollenden Festungen, deren weiche Flanken eher die Seiten oder die Rückfront waren. Russland hatte zu der Zeit seine Erfahrung wohl in der umkämpften Region Berg-Karabach gemacht.

Turmhohe Panzer-Silhouetten: Putins Käfige provozieren höhere Verluste

The Warzone hatte bemerkt, dass die Konzepte damals improvisiert aussahen – eine Standardisierung scheint indes immer noch zu fehlen. Jedenfalls besteht der Käfig des angekündigten, verstärkten T-80-Panzers aus einer Kombination aus grobem Stahlgitter an den Seiten und einem festen Lamellendach. Die Seiten bleiben der Sicht wegen offen, das Dach wird geschlossen gegen Splitter von oben. Der Panzer baut damit ungemein hoch, die Silhouette wirkt plump.

Bisher ging die Panzer-Entwicklung dahingehend, dass Panzer eine möglichst flache Silhouette zu bieten hatten, um aus einer teilgedeckten Stellung heraus bis zur Bordkanone versteckt zu bleiben und die Waffe dennoch nutzen zu können. Auf der im vergangenen Jahr nahe Moskau gelaufenen Rüstungsmesse „Army 2023“ hatte Russland Panzer der Serien T-72, T-80 und T-90 vorgestellt „mit ziemlich robust aussehenden Oberkäfigen in Form eines Schirms, der auf mehreren röhrenförmigen Stangen am Panzerturm montiert ist“, wie The Warzone berichtete – der vermutete Hintergrund liegt darin, dass Russland diese „Upgrades“ zu exportieren gedenkt.

Ukraine-Krieg: Panzer werden plötzlich von allen Seiten bedroht und gejagt

„,Cope Cages‘ werden auf Russlands Waffenbasar zum Mainstream“, schreibt das Magazin. Auch hier schreitet die Technik mit jedem Kriegstag voran. Das Magazin Business Insider hatte Anfang Juni berichtet, dass auch die West-Panzer ihrem Typ entsprechend ummantelt werden, allerdings scheinen die Drahtgeflechte auf veröffentlichten Bildern zum Teil dünner zu sein, als die auf russischen Gefechtsfahrzeugen.

„Einige Käfige scheinen ausgefeilter zu sein als andere und haben sich im Kampf als wirksamer erwiesen. Frühe Modelle schienen nur bestimmte Bereiche der Fahrzeuge abzudecken – beispielsweise das Dach, während die Seiten und das Heck frei lagen. Diese Käfige wurden schon in anderen Konflikten eingesetzt, beispielsweise im israelischen Gaza-Krieg“, schreibt der Business Insider. Jeder Krieg hat damit seine Handschrift: Im Irak waren die Gefechtsfahrzeuge hauptsächlich durch Minen und Panzerabwehrwaffen bedroht und mussten an der Unterseite des Chassis verstärkt werden. Gegenüber den Panzerabwehrwaffen sind die Drohnen aber jetzt die größere Gefahr.

Einen von Haus aus verstärkten Schutz gegen anfliegende Objekte hat als serienreifer Panzer einzig der israelische Merkava mit seinem proaktiven Trophy-APS (Anti-Protection-System): Anfliegende Geschosse werden erkannt und vor dem Auftreffen auf die Wanne oder den Turm zerstört durch Geschosse, die aus der aktiven Panzerung herausfliegen. Allerdings bleibt auch dabei die Oberseite des Turms ungeschützt. Der russische T-14-Armata soll ebenfalls über eine proaktive Panzerung verfügen; dessen Einsatzfähigkeit ist noch zu beweisen. Auch ein Panzer wie der Leopard mit seiner vergleichsweise robusten Panzerung ist Anfang dieses Jahres durch herumlungernde Munition zerstört worden.

Auf X kursieren aktuell eine Menge Bilder, die die neue Technik festhalten. Dabei sehen die russischen Versuche grundsätzlich etwas plumper aus als die Aufbauten auf Westpanzern. Im April dieses Jahres erschien das Bild eines russischen T-90 inmitten des Gefechtsfelds mit einem scheinbar mannshohen Käfig, auf dem zusätzlich ein Störsender für Drohnen montiert ist. Der Panzer wirkt dabei arg kopflastig und ungelenk.

China scheint in der Drohnenabwehr schon weiter zu sein. Wie die South China Morning Post im Mai berichtet hatte, soll Chinas neues Kampfpanzer-Modell Drohnen mittels Drohnen abwehren können. Der Bericht stützt sich auf einen Militärblogger und bleibt im Konjunktiv: Der neue Panzer könnte langsam anfliegende Bedrohungen ebenfalls mit einer aktiven Panzerung ausschalten; ähnlich wie das deutsch-französische Projekt „Main Ground Combat System“, soll der chinesische Panzer mit selbst gesteuerten Drohnen angreifende Drohnen abwehren. Die Einführung des Projekts ist ungewiss. Der MGCS soll spätestens 2045 in die Truppe eingeführt sein.

Chance für den Sieg der Ukraine: Erfahrene Drohnen-Piloten knacken jeden Panzer

Allerdings hänge der Erfolg der Verteidigung eines Panzers vor allem von der Erfahrungen des Angreifers ab, ist die Meinung von Samuel Bendett. Der Militäranalyst des Thinktank Naval Analyses behauptete, dass die besten und erfahrensten Piloten von First-Person-View-Drohnen sicher die Schwachstellen auch bestens gepanzerter Fahrzeuge finden und nutzen könnten. Der Wettlauf um die besten Angriffs- und Verteidigungsstrategien dreht sich also längst auch um die Panzerwaffe.

Offensichtlich müssen die Russen aber mittlerweile auf jedes Fahrzeug besonders achten und von ihrer bisher gelebten Praxis Abstand nehmen: „Die sowjetische Panzer-Doktrin hat nie das Einzelfahrzeug im Blick gehabt, die westliche Panzer-Doktrin dagegen schon“, sagt Ralf Raths. „Für die westlichen Panzerbauer war immer von höchster Wichtigkeit, dass das Einzelfahrzeug auf dem Gefechtsfeld so lange wie möglich überlebt; wenn es ausgeschaltet wird, dass es möglichst schnell wieder einsatzfähig gemacht werden kann; und dass innen drinnen die Besatzung auch leistungsfähig bleibt“, führt der Direktor des Deutschen Panzermuseums in Muster auf seinen Social-Media-Kanälen aus.

Allerdings werden Panzer trotz der Bedrohungen aus der Luft auch auf dem Boden stärker als früher bedroht, schreibt Yavuz Turkgenci aktuell im Magazin Breaking Defense. Der pensionierte Drei-Sterne-General der türkischen Streitkräfte hält neben Lösungen im Panzerdesign auch neue Taktiken im Gefecht der verbundenen Waffen für unbedingt nötig: „Die kreativen Taktiken von Panzerjägerteams können Panzern erhebliche Verluste zufügen. Jedes Szenario, in dem diese Teams erfolgreich Infanterie von Panzern trennen könnten, würde zu einer sehr gefährlichen Gleichung führen. Aber Kommandeure der Panzereinheiten könnten das Problem möglicherweise lösen, indem sie kreative kombinierte Waffentaktiken anwenden.“ (Karsten Hinzmann)

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