CO2 am Bau senken? Eine Sache hilft dabei enorm
Deutschland hat sich ehrgeizige Klimaziele gesetzt: Bis 2045 soll die Klimaneutralität erreicht sein. Ein zentraler Hebel ist dabei der Gebäudesektor, der für rund 30 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich ist. Um dem angespannten Wohnungsmarkt zu begegnen, plant die Bundesregierung ein umfangreiches Neubauprogramm – ein notwendiger Schritt mit Blick auf sozialen Wohnraum.
Gleichzeitig zeigt der bereits Anfang Mai vergangene Erdüberlastungstag drastisch: Deutschland hat seine natürlichen Ressourcen für dieses Jahr bereits aufgebraucht. Der Fokus auf Neubauten allein greift also nur ein Problem auf – und lässt ein weiteres unbedacht. Enormes Klimaschutzpotenzial schlummert jedoch in bestehenden Gebäuden. Sanierungen sind nicht nur klimafreundlicher, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll – und sie erhöhen den Wohnkomfort sowie den Wert von Immobilien.
Sanieren statt Neubau: Warum das besser ist
Sanierungen haben einen großen Einfluss auf die Energieeffizienz eines Gebäudes. Denn die bauwerksbezogenen CO2-Emissionen sind bei einer Sanierung um bis zu zwei Drittel geringer als bei einem Neubau. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Sanierungen benötigen deutlich weniger Neumaterial und Energie als der Abriss und der Neuaufbau eines Gebäudes und sind daher oft günstiger.
Auch die sogenannte Graue Energie ist ein wichtiger Aspekt. Jene Energie, die für die Herstellung, den Transport und die Entsorgung von Baumaterialien benötigt wird. Bei Neubauten fällt diese erheblich ins Gewicht, denn sie macht etwa 50 Prozent des Energieverbrauchs im Lebenszyklus aus. Während sie bei Sanierungen etwa bei zehn bis 25 Prozent der Gesamtemissionen liegen. Das liegt daran, dass bei Sanierungen bestehende Strukturen wiederverwendet und aufgewertet, Ressourcen geschont und der ökologische Fußabdruck verringert werden.
Hinzu kommt, dass bei einer Sanierung keine neuen Flächen versiegelt, also bebaut, betoniert, oder asphaltiert werden müssen. In Deutschland sind bereits rund 45 Prozent der Siedlungs- und Verkehrsflächen versiegelt. Dadurch gehen wichtige Bodenfunktionen, wie die Wasserdurchlässigkeit und die Bodenfruchtbarkeit verloren.
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75 Prozent der Wohnimmobilien müssen saniert werden
Um die Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen, müssen wir einen Zahn zulegen. Noch immer warten etwa 75 Prozent der Wohnimmobilien in Deutschland auf eine energetische Sanierung. Durch gezielte Sanierungsmaßnahmen kann nicht nur der CO2-Ausstoß um bis zu 50 Prozent reduziert, sondern auch die Energieeffizienz der Gebäude verbessert werden. Auf lange Sicht lassen sich so zum Beispiel bis zu 80 Prozent Heizkosten sparen.
Zusammen mit dem Verkehrssektor überschreiten die Gebäude seit Jahren die gesetzlich zugelassene Emissionsmengen. Hier besteht daher der größte Nachholbedarf auf dem Weg zur Klimaneutralität. Die sanierungsbedürftigen Wohnimmobilien stammen größtenteils aus Bestandsgebäuden, die eine geringere Energieeffizienzklasse als C aufweisen. Sie sind oft schlecht isoliert und verfügen über veraltete Heizsysteme. Durch gezielte Sanierungsmaßnahmen können diese Gebäude auf den neuesten Stand gebracht werden, was nicht nur der Umwelt und der Klimaneutralität zugutekommt, sondern auch den Wert der Immobilien und den Wohnkomfort steigert. Besonders wichtig sind dabei die sogenannten "Schlüsseltechnologien". Die Dämmung von Fassaden und Dächern, der Austausch alter Fenster oder die Modernisierung der Heizungsanlagen, haben dabei den größten Einfluss auf die Energieeffizienz.
Förderungschaos bremst Sanierungen
Die sanierungsbedürftigen Immobilien in Deutschland bis 2045 zu sanieren, ist schwierig, aber nicht unmöglich. Es erfordert den Einsatz von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Bundesregierung muss gezielte Förderprogramme und finanzielle Anreize für Sanierungen schaffen und langfristig aufrecht erhalten, um Eigentümerinnen und Eigentümer zu motivieren, in energieeffiziente Maßnahmen zu investieren. Hier wurden in den letzten Jahren bereits Fortschritte gemacht, es bleibt aber noch viel zu tun.
Ein erster Schritt wäre die Sicherstellung langfristiger Planungssicherheit bei Fördermitteln. Das ständige Hin und Her der Regierung bei den Förderungen oder etwa durch beim Heizungsgesetz sorgen für Unsicherheit und bremsen Sanierungen. Dabei machen finanzielle Förder-Anreize energetische Baumaßnahmen attraktiver, indem sie die Investitionskosten von Eigentümern senken.
Doch aktuell sorgt das Förderungschaos dafür, dass die Haus- und Wohnungsbesitzer Angst haben, die falschen Maßnahmen zu ergreifen. Oder sie hoffen, nicht sanieren zu müssen, weil die Anforderungen aufgeweicht werden. Diese Unsicherheit muss ein Ende haben. Es ist entscheidend, dass Förderprogramme langfristig verlässlich bleiben und klare, stabile Anforderungen bestehen, um Sanierungen nicht zu verzögern und dem Klima zu schaden.

Frederik Heymann ist CEO und Co-Founder des Hamburger Startups mvn.energy. Der gebürtige Hamburger hat in München BWL und Maschinenbau studiert. Zu seinen Stationen gehören OSRAM, die Münchener Stadtwerke und zuletzt e.on, wo er sich unter anderem mit CO2-Kompensation beschäftigte. Eines der Kernangebote des Startups mvn.energy ist die Ausstellung von Energieausweisen.
Öffentlichkeit muss über Sanierungen besser informiert werden
Aktuell schreckt auch der bürokratische Aufwand viele Eigentümerinnen und Eigentümer ab. Informationen über die Vorteile von energetischen Sanierungen müssen für die breite Öffentlichkeit besser verfügbar sein. Nur so kann auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Energieeffizienz geschärft werden.
Vielen Eigentümern ist überhaupt nicht bekannt, in welcher Energieeffizienzklasse sich ihre Immobilie befindet. 68 Prozent der Immobilien in Deutschland sind energetisch schlecht eingestuft – aber nur 13 Prozent der Besitzer wissen, dass ihr Haus eine schlechte Energieeffizienzklasse hat. Diese mangelnde Transparenz führt dazu, dass viele gar nicht an eine Sanierung denken. Außerdem ist vielen, die von ihrer Energieeffizienzklasse wissen, nicht klar, dass sie auch schon mit kleinen Schritten zur Energieeffizienz ihrer Immobilie beitragen können. Oft reichen im ersten Schritt bereits Dämmstoffe oder die Abdichtung der Fenster.
Die Klimawende im Gebäudesektor ist Herausforderung und Chance zugleich. Den Fokus neben Neubauten auch auf Sanierungen zu legen, kann einen bedeutenden Beitrag zur Reduzierung der CO2-Emissionen leisten. Die Sanierung von Bestandsgebäuden bietet nicht nur ökologische, sondern auch wirtschaftliche Vorteile. Sie steigert den Wert von Immobilien und leistet gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz, um unsere ambitionierten Klimaziele zu erreichen.