Felix Neureuther sagt, welche Beobachtung in den Bergen ihn traurig macht

Wie schaffen wir es, die Gesundheit unserer Kinder zu fördern und gleichzeitig den Planeten und seine Ökosysteme zu erhalten? Damit beschäftigt sich Felix Neureuther in seinem neuen Buch, "Gesunde Erde. Gesunde Kinder. – Nur so überleben wir". FOCUS online veröffentlicht hier exklusiv einen Auszug.

Berichte zum Klimawandel und seinen Folgen finden wir en masse. Hier ein paar Zitate aus dem letzten Jahr, als die UNICEF im Juli 2024 anlässlich der Bonner Klimakonferenz eine Veröffentlichung herausgab mit dem vielsagenden Titel: „Kinder im Klimawandel: Am meisten gefährdet, zu wenig beachtet“. 

Dazu veröffentlicht das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen folgende Stellungnahme: „Eine der größten Erfolgsgeschichten der Menschheit ist die beeindruckende Reduzierung der Kindersterblichkeit. Doch was wir bei der Verbesserung der Überlebenschancen und des Wohlergehens von Kindern erreicht haben, wird durch den Klimawandel bedroht.“ 

Man könnte noch hinzufügen: Viel zu wenige scheinen diese Entwicklung, diese Gefahr zu bemerken, geschweigen denn ernst zu nehmen. Woran liegt das? Woran liegt es, dass viele Menschen in Deutschland die gesundheitlichen Gefahren des Klimawandels für Kinder unterschätzen? 

Felix Neureuther ist ehemaliger Ski-Sportler, der im Slalom und Riesenslalom mehrere Medaillien für Deutschland gewonnen hat. Jetzt setzt er sich mit mehreren Initiativen für die Gesundheit von Kindern ein. Neureuther wurde zum UN-Botschafter für saubere Berge und Gletscher ernannt und engagiert sich für den Klima- und Umweltschutz.

Ski-Star warnt: Menschen unterschätzen Folgen des Klimawandels

Die simple Antwort lautet: Der Grund ist, dass viele Menschen den Klimawandel und seine verheerenden Auswirkungen generell unterschätzen. Und die Gleichung sieht dann recht einfach aus: Wenn ich den Klimawandel generell nicht ernst nehme, wie soll ich dann seine Folgen speziell für Kinder ernst nehmen?

Das gilt übrigens nicht nur für Deutschland, sondern weltweit. Bei meinen vielen Reisen konnte ich das immer wieder erleben. Ich kann sogar sagen, dass Deutschland im internationalen Vergleich nicht besonders schlecht dasteht oder besonders fahrlässig ist. Generell gilt: Wir Menschen machen uns viel zu wenig Gedanken darüber, was die Erde für uns bedeutet. Das ist das Grundproblem, das Basisproblem, von dem sich alle weiteren Probleme ableiten. Vielen ist das vielleicht nicht klar.

Es gibt den sogenannten Erdüberlastungstag. Im Jahr 2024 war der 1. August der Tag, an dem die Menschheit die jährliche Menge an ökologischen Ressourcen, die unsere Erde regenerieren kann, vollständig aufgebraucht hat. Das heißt, dass wir ab dem 2. August zu Lasten der nachfolgenden Generationen gelebt haben. Oder noch konkreter: Eigentlich brauchen wir 1,75 Erden, um unsere Lebensweise ausleben zu können. Vergleicht man das mit seinem Bankkonto und geht kurz davon aus, dass es keinen Dispo gibt, dann würde doch jeder normal denkende Mensch den Zusammenhang erkennen: Wenn kein Geld mehr drauf ist, kann ich auch nichts mehr ausgeben. Würden alle so leben wie die Deutschen, läge der Tag 2025 übrigens am 3. Mai! Das ist Wahnsinn!

Kinder trifft der Klimawandel besonders hart.
Kinder trifft der Klimawandel besonders hart. Getty

Unsere Erde ist wie ein Baum, dessen Wurzeln krank sind

In einem weiteren Beispiel kann man das mit einem Baum vergleichen, dessen Wurzeln schon krank sind. Er wird keine guten Früchte tragen und sein Stamm und die Äste werden nicht so fest und robust sein, wie das bei einem Baum mit starken und kräftigen Wurzeln der Fall ist. Ich kann uns alle nur ermutigen: Lasst uns einen Blick nach draußen werfen. Von den Bäumen können wir so viel lernen. Schaut genau hin, wie sie wurzeln und wachsen, wie sie mit Widerständen umgehen, wie sie Früchte tragen. 

Ich glaube, mit etwas mehr Baumbewusstsein würden wir sehr, sehr viele Dinge auf dieser Erde anders sehen: Was die Natur angeht, was uns und unsere Kinder angeht, was unsere Gesellschaften insgesamt angeht. Und wir können das Bild vom Baum auch auf das Thema unseres Buchs übertragen: Wenn wir überhaupt keine Verwurzelung mehr in der Erde haben – und das meine ich buchstäblich –, wenn wir sie also nicht mehr fühlen und schmecken und riechen, dann werden wir auch nicht begreifen, wie wichtig die Erde für uns ist. 

Und wenn wir nicht begreifen, wie wichtig sie für uns ist: Wie sollen wir sie dann wertschätzen? Wie sollen wir dieses wunderbare Geschenk Erde wertschätzen, wenn wir sukzessive alle Verbindungen zu ihr kappen? Und wenn wir sie nicht wertschätzen, warum sollten wir uns dann um sie kümmern? Was interessiert es mich, wenn irgendetwas kaputtgeht, wenn es mir sowieso wurscht ist?

Gesunde Erde. Gesunde Kinder. – Nur so überleben wir

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „Gesunde Erde. Gesunde Kinder. – Nur so überleben wir“ von Felix Neureuther. 192 Seiten, Gebunden mit Schutzumschlag und Leseband, 22,- €.

© 2025, Verlag Herder

"Wir sind für den Klimawandel verantwortlich"

Ohne Wertschätzung kein Problembewusstsein. Das erlebe ich immer wieder. Und genau das steckt ja auch in dem Wort „Wertschätzung“ drin: dass ich meinem Gegenüber einen Wert zuerkenne. Dass ich es schätze. Dass es mir wertvoll ist. Wenn die Erde aber so wenig Wert für uns hat und wir sie so wenig schätzen, na ja, dann ist uns auch das, was mit ihr passiert, egal. Dann ist uns sogar der Klimawandel egal, der die Erde mehr als alles andere bedroht.

Moment, das stimmt nicht ganz: Mehr als alles andere ist es der Mensch, der die Erde bedroht. Wir sind es, die die Erde bedrohen. Denn wir sind für den Klimawandel verantwortlich. Wenn wir uns also fragen, weshalb wir die Auswirkungen des Klimawandels auf Kinder unterschätzen, dann lautet die allererste Antwort ganz einfach: weil wir die Erde nicht schätzen.

Das heißt im Umkehrschluss: Wir können die Gefahren und Folgen des Klimawandels für unsere Kinder erst dann richtig einschätzen, wenn wir dazu bereit sind, den Klimawandel richtig einzuschätzen. Und das geht eben nur, wenn wir selbst, jede und jeder von uns, es lernen, die Erde wieder mehr wertzuschätzen. Wir können unsere Kinder nur dann schützen, wenn wir die Erde schützen. Das ist die Basis, von der alles abhängt. 

Für unsere Kinder sollten wir eine lebenswerte Erde hinterlassen.
Für unsere Kinder sollten wir eine lebenswerte Erde hinterlassen. Getty

"Klimaschutz ist Gesundheitsschutz"

Man muss sich dazu vor Augen führen, dass Klimaschutz auch erstmal Gesundheitsschutz ist. Das ist das Grundbewusstsein, das wir wieder stärker in uns verankern müssen. Und das geht. Das ist ja das Schöne: Wir alle, ob wir nun Eltern sind oder nicht, können damit anfangen. Eine solche Bewusstseinsänderung beginnt einerseits immer individuell; sie wird in der Folge aber auch zu einem kollektiven Phänomen, indem wir uns Vorbilder nehmen oder selbst als Vorbilder wirken. Indem wir andere zur Wertschätzung der Erde anstiften und damit direkt etwas gegen den Klimawandel tun – und für unsere Kinder. Fangen wir direkt bei uns an. Fangen wir direkt an, etwas Gutes zu tun für unsere Kinder. Klimaschutz bedeutet dadurch Kinderschutz. Und wir alle können dazu beitragen.

Die Sensibilisierung für die katastrophalen Folgen des Klimawandels, gerade für unsere Schwächsten, die Kinder – und übrigens auch die Alten! – ist fundamental. Was wir dafür brauchen, sind engagierte Expertinnen und Experten, wir brauchen dafür aber auch uns alle. Wir alle dürfen nicht wegschauen oder weghören. Und das gilt nicht nur für die vielen Nachrichten, mit denen wir ständig konfrontiert werden. Für mich wird der Klimawandel im wahrsten Sinne des Wortes am sichtbarsten, wenn ich in die Berge gehe. Immer wenn ich mit meinen Kindern dort unterwegs bin, dann denke ich: Krass, die Berge sehen heute ganz anders aus, als ich sie in ihrem Alter gesehen habe. Die Berge und die Bäume, die Flüsse und Seen bei uns, die sind immer noch der Wahnsinn. 

Ich kann das Gefühl, das mich ergreift, auch nur ganz schwer beschreiben. Das ist jedes Mal wieder unbändig schön. Zugleich gibt es da aber auch etwas, das mich traurig macht, weil ich fast jedes Mal auch sehe, wie viel verloren gegangen ist. Nicht jede Veränderung ist schlecht, aber wenn ich Gletscher sehe, die mit den Riesen von früher kaum mehr etwas gemeinsam haben, dann trifft mich das brutal. Bei meinen Kindern ist das nicht der Fall, sie wissen ja nicht, wie das einmal gewesen ist. Ich schon! Und ich denke: Was werden meine Kinder ihren Kindern einmal zeigen können, wenn sie mit ihnen in die Berge gehen. Nur noch karges Gestein? Oder nicht einmal mehr das? Ich finde, dass jedes Kind in die Berge gehen und dort sehen sollte, wie schön die Natur ist – und wie bedroht sie ist.