Die schwarz-rote Bundesregierung von Kanzler Friedrich Merz (CDU) wird in Kürze erstmals Afghanen aus den Aufnahmeprogrammen nach Deutschland fliegen lassen. Darüber wurden die Anwälte der in Pakistan wartenden Menschen in Kenntnis gesetzt.
Nach Informationen von FOCUS online könnten mehrere Familien noch in dieser Woche – womöglich am Freitag – einreisen. CDU und CSU hatten im Bundestagswahlkampf immer wieder versprochen, die Aufnahmeprogramme nach der Regierungsübernahme sofort zu stoppen und zu beenden.
Doch schon in den vergangenen Monaten deutete sich an, dass das kaum zu erfüllen ist. Wie FOCUS online mehrfach berichtet hat, ist es rechtlich äußerst schwierig, die Aufnahmezusagen für alle mehr als 2000 in Pakistan wartenden Afghanen zu widerrufen.
Regierung muss Afghanen Visa ausstellen – sonst droht Zwangsgeld
Zuletzt beschäftigten sich das Verwaltungsgericht Berlin und das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit der Frage, ob die Bundesregierung den Afghanen mit gültiger Aufnahmezusage weiter die Ausstellung von Visa verweigern darf. Gegen negative Eilentscheide legte das Auswärtige Amt von Minister Johann Wadephul (CDU) zunächst Beschwerde ein, zog diese dann aber teilweise wieder zurück.
Damit waren die Fälle mehrerer Familien rechtlich geklärt. Wenn die Bundesregierung diesen Afghanen nicht bis zum 10. September ein Visum ausstellt, droht ihr ein Zwangsgeld in Höhe von 2500 Euro, wie die "Welt" berichtete. Mit der bevorstehenden Einreise wendet das Außenministerium die Strafe ab.
Bundesregierung übernimmt Organisation und Kosten des Flugs
Nach Informationen von FOCUS online wird die schwarz-rote Bundesregierung wie schon die Ampel die Organisation und Kosten der Reise nach Deutschland komplett übernehmen. Das ist bemerkenswert: Die Berliner Richter haben das Außenministerium nämlich nicht verpflichtet, weiter Flüge für die Afghanen zu organisieren und die Kosten für sie zu übernehmen.
Zwar wird es bei den anstehenden Reisen keinen Charterflug aus Islamabad geben, wie es teilweise zu Zeiten der Ampel der Fall war. Das liegt vermutlich aber vor allem daran, dass die Zahl der einreisenden Afghanen – die nicht genau bekannt ist – zu gering dafür wäre.
Stattdessen sollen die Menschen per Linienflug über Dubai oder Istanbul nach Deutschland kommen. Der positive Nebeneffekt für die Regierung: Ein Charterflug würde medial für mehr Aufmerksamkeit sorgen.
Afghanen werden auf Bundesländer verteilt und erhalten Bürgergeld
Auch wenn die Bundesrepublik die Kosten für die Reise nach Deutschland übernimmt, tragen die Afghanen in den Aufnahmeprogrammen große finanzielle Lasten: Sie mussten nämlich zunächst nach Pakistan gelangen, dort ein Visum für bis zu 1000 Dollar und gegebenenfalls einen neuen Pass für bis zu 2500 Dollar besorgen.
Viele der Betroffenen haben deshalb in Afghanistan ihr gesamtes Hab und Gut verkauft – und sind daher umso mehr darauf angewiesen, dass die Bundesregierung ihre Aufnahmezusage erfüllt.
Wenn die Afghanen in Deutschland gelandet sind, werden sie in eine Erstaufnahmeeinrichtung gebracht. Die Verteilung in Deutschland erfolgt dann wie bei allen Flüchtlingen über den sogenannten Königsteiner Schlüssel.
NRW und Bayern meist an der Spitze
Er berücksichtigt das Steueraufkommen und die Bevölkerungszahl in einem Bundesland. An der Spitze stehen dabei meist Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg, Schlusslichter sind Bremen, das Saarland und Mecklenburg-Vorpommern.
Mit ihrem Aufenthaltstitel können die Afghanen Sozialleistungen beantragen. Wenn sie hilfsbedürftig sind, steht ihnen Bürgergeld beziehungsweise die Grundsicherung im Alter zu. Die Leistungen werden dann als Pauschale für zum Beispiel Ernährung, Kleidung und persönliche Bedürfnisse bezahlt, hinzu kommt der Bedarf für Unterkunft und Heizung.
Für viele in Pakistan wartende Afghanen liegt das aber noch in weiter Ferne. Aktuell warten in Islamabad nach Angaben des Innenministeriums von Alexander Dobrindt (CSU) noch ungefähr 2070 Menschen.
Sicherheitsüberprüfungen in Pakistan werden wieder aufgenommen
Sie teilen sich auf verschiedene Programme auf. Bei manchen ist der Widerruf der Aufnahmezusage nur schwer möglich, bei anderen nimmt die Bundesregierung bereits regelmäßig Zusagen zurück.
Ging für die meisten Afghanen lange Zeit gar nichts voran, nimmt die Bundesregierung nun wieder die Sicherheitsüberprüfung der Menschen auf. „Personal der zuständigen Behörden ist vor Ort in Pakistan, um die Aufnahmeverfahren fortzuführen“, teilte das Auswärtige Amt auf Anfrage von FOCUS online mit. Zuletzt waren keine Prüfer mehr vor Ort, nachdem wegen des Konflikts zwischen Indien und Pakistan Personal abgezogen worden war.
Wie lange es dauern wird, bis die Bundesregierung geklärt hat, welche Afghanen eine rechtsverbindliche Aufnahmezusage haben und die Sicherheitsüberprüfung erfolgreich absolviert haben, ist unklar. Nach Angaben des Innenministeriums haben fast 90 Prozent noch nicht alle Schritte im Ausreiseverfahren durchlaufen.
Afghanen werden aus Pakistan abgeschoben – ihnen droht Gefahr
Viel Zeit bleibt allerdings nicht: Seit Wochen schiebt Pakistan immer wieder Afghanen mit Aufnahmezusage in ihre Heimat ab, wo ihnen Gefahr droht. Die Regierung in Islamabad will die Menschen loswerden, weil sie nicht mehr von einer Ausreise nach Deutschland ausgeht.
Das deutsche Innenministerium verweist zwar darauf, dass man mit den pakistanischen Behörden und den abgeschobenen Afghanen in Kontakt stehe. Auch das Auswärtige Amt spricht davon, dass man "alle zur Verfügung stehenden diplomatischen und organisatorischen Mittel" einsetze, um eine Lösung zu erreichen. Doch öffentlicher Druck auf Pakistan ist kaum zu vernehmen.
Kritiker vermuten, dass es der Bundesregierung insgeheim in die Karten spielen könnte, wenn Afghanen in ihre Heimat zurückkehren müssen und somit weniger in Pakistan auf die Ausreise warten. Die Ministerien und Politiker der Union weisen das aber vehement zurück.
Unmut in CDU und CSU wegen Afghanen-Einreise
Trotz der langwierigen Überprüfungen geht die Regierung davon aus, dass wohl noch ein Großteil der Afghanen in den Aufnahmeprogrammen nach Deutschland kommen darf. Der jetzt anstehende Flug ist also nur der Auftakt zu weiteren Einreisen. In CDU und CSU, wo man sich im Wahlkampf klar für einen sofortigen Stopp der Aufnahmeprogramme ausgesprochen hat, sorgt das für Unmut.
Stephan Mayer, Innenexperte in der Unionsfraktion, hatte im Juli zu FOCUS online gesagt: "Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass es angesichts der bekannt gewordenen Defizite und Unzulänglichkeiten bei der Identifizierung und insbesondere bei der Sicherheitsüberprüfung der afghanischen Staatsangehörigen, die aus Pakistan nach Deutschland ausgeflogen werden sollen, grob fahrlässig und daher falsch wäre, diese Personen bei uns aufzunehmen."