Der Polizist Paul Mayer: Er rettete Leben – und Lenggries
Paul und Rosa Mayer versteckten drei Jahre lang eine jüdische Ärztin in der Polizei-Dienstwohnung in Lenggries. Und nicht nur dieses Leben rettete Mayer.
Lenggries – Vor genau 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands. Millionen hatten auf den Schlachtfeldern den Tod gefunden. Juden, Sinti, Roma und andere Menschen waren in den Jahren zuvor in die Konzentrationslager der Nazis verschleppt worden. Millionen von ihnen, darunter viele Kinder, wurden in den Lagern systematisch ermordet. Mitten in diesem Grauen und Sterben, das die Nationalsozialisten über die Welt gebracht hatten, gab es Menschen, die sich dem Unrecht entgegenstemmten. Neben den bekannten Widerstandskämpfern gab es auch stille Helden. Einer von ihnen war der Lenggrieser Polizist Paul Mayer. Drei Jahre lang versteckten er und seine Familie die jüdische Ärztin Sophie Mayer – die Namensgleichheit ist Zufall – in der Dienstwohnung in Lenggries. Auch sonst tat Mayer alles dafür, Menschen vor dem Zugriff des Nazi-Regimes zu bewahren.
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NSDAP-Mitglied, aber radikaler Nazi-Gegner
Dabei war der 1896 bei Rosenheim geborene Mayer seit 1937 Mitglied der NSDAP – zwangsweise. Der Polizist sei zuvor schon durch seine eigenwillige Dienstauffassung aufgefallen, mehrfach strafversetzt worden. Tatsächlich habe er kurz vor dem Rausschmiss gestanden, den er durch den Parteieintritt verhinderte, schilderte der Lehrer und Historiker Robert J. Huber 2021 in einem Vortrag. Der stellvertretende Schulleiter des Hohenburger Gymnasiums hat das Leben und Wirken Mayers in einem Buch nachgezeichnet.
Mayer stand selbst am Rande einer Verhaftung
Es gibt viele Belege für Mayers Einsatz. Verschiedene Briefe befinden sich in dessen Spruchkammerakte im Münchner Staatsarchiv. Die Tölzer Polizeiinspektion hat Kopien im eigenen Archiv. Einer der Briefe ist von Otto Windeis, 1946 Zweiter Bürgermeister von Lenggries. Er habe Mayer 1940 kurz nach seiner Versetzung als Gemeinde-Hauptwachtmeister nach Lenggries kennengelernt. Dabei habe er festgestellt, „daß er ein absolut radikaler Gegner der Nazi-Partei war und er als solcher auch bald Fühlung mit unserer hiesigen Widerstandsgruppe aufgenommen hat“. Er bewahrte Menschen vor Verhaftung und Verschleppung. „Es ist bekannt, daß Mayer die angeordnete Festnahme des Juden Friedmann in Obergries, wie der Frau Schmid in Lenggries durch geschickte Verhandlungen verstanden hat, vollständig zu hintertreiben“, schreibt Windeis. Tatsächlich habe das Mayer selbst an den Rand einer Verhaftung gebracht – und das nicht nur einmal, „sodaß die Bevölkerung desöfteren um ihn bangte und fürchtete um seinen Verlust“.
Auch Sohn Günter bewahrte immer das Geheimnis
Dr. Sophie Mayer landete durch Zufall in Lenggries. Sie lernte in München Maria Lethnar kennen, die Schwester von Mayers Frau Rosa. Lethnar sei eine „tapfere Gegnerin der Naziherrschaft gewesen“, schildert Sophie Mayer im Buch „Die Judenretter aus Deutschland“. Als die Deportationen begannen, schlug Lethnar vor, die Ärztin bei Rosa Mayer zu verbergen. „Am 10. Juli 1942 flüchtete ich nach Lenggries und bekam ein Zimmer.“ Das habe sich im Polizeigebäude befunden, „in dem SS-Männer ein- und ausgingen, und sogar ein Nazipolizeioffizier hatte dort gewohnt“. Mayer sei immer wieder zu ihr gekommen, um sie aufzumuntern. „Er hat mir aus Nächstenliebe, und weil er gegen die Naziherrschaft war, geholfen. Von seiner Gattin Rosa erhielt ich eine vorbildliche Pflege. Auch ihr Sohn, der zehnjährige Günter, kannte mein Geheimnis und hat geschwiegen.“ Bei der Versorgung der Jüdin halfen Isarwinkler Bauern, zu denen Mayer einen guten Draht hatte.
Einladung zum Spaziergang
Zu einem antifaschistischen Spaziergang auf den Spuren von Rosa und Paul Mayer lädt der freischaffende Publizist Wolf-Dieter Rochlitz am Samstag, 10. Mai, ein. Er wuchs in Lenggries auf, machte 1966 sein Abitur in Bad Tölz und lebt heute in Duisburg. Auf die Geschichte Mayers stieß er durch das Buch von Robert Huber. Treffpunkt ist am Samstag um 10 Uhr der Bahnhof Lenggries. „Auf dem Weg soll in lockerer Runde an die mutigen Einwohner von Lenggries in finsterster Zeit erinnert werden“, heißt es in der Einladung. Beiträge aus der Bevölkerung seien erwünscht. „Tölzer Schüler werden von ihren Gedenkaktionen zu den Todesmärschen berichten. Jugendliche wollen den Spaziergang mit Lied- und Musikbeiträgen begleiten.“ Zum Abschluss führt der Spaziergang auf die Denkalm mit gemütlichem Ausklang. Die Rückkehr ist gegen 14 Uhr geplant.
Lenggries vor der Zerstörung bewahrt
Auch in einem Brief 1947 an einen Staatsminister schildert Sophie Mayer das Wirken ihres Retters. Er habe eine kleine Widerstandsbewegung aufgezogen, „die vor allem bezweckte, den Nazis Opfer zu entreißen“. So habe er unter anderem den Himmler-Befehl, notgelandete amerikanische Flieger „friedhofreif“ zu machen, „nicht nur für seine Person sabotiert, sondern auch seine Kollegen dazu überredet, nicht zu Mördern zu werden“. Geflohene Zwangsarbeiter habe er vor Verhaftung bewahrt, schildert die Ärztin.
In ihrer eidesstattlichen Erklärung, die ebenfalls Teil der Spruchkammerakte ist, berichtet sie davon, dass Mayer praktisch ganz Lenggries vor der Zerstörung bewahrt hatte. Als sich die amerikanischen Truppen dem Dorf näherten, habe er versucht, über das Gebirge zu den Amerikanern vorzustoßen, um sie über die Verteidigungsstellungen der SS in Lenggries zu informieren. Als ihm das nicht gelungen sei, „schickte er einen krüppelhaften Mann zu den Amerikanern, dem er eine genaue Zeichnung über die Verteidigungspunkte mitgab, und der als Unverdächtiger leichter durchkam“, schreibt die Ärztin. „Die amerikanischen Truppen bestätigten ihm hernach, dass durch die rechtzeitige Vernichtung der Stützpunkte der SS, der Entschluss, Lenggries dem Boden gleichzumachen, nicht zur Ausführung kam.“

Auszeichnung: „Gerechte unter den Völkern“
Als Parteimitglied musste sich Mayer nach Kriegsende dem Entnazifizierungsverfahren unterziehen. Es wurde im April 1947 eingestellt, wie Christoph Schnitzer in seinem Buch „Die NS-Zeit im Altlandkreis Bad Tölz und ihre Folgen“ schreibt. Im Februar 1969 wurden Paul und Rosa Mayer von der Gedenkstätte Yad Vashem mit dem Ehrentitel „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet. Nur 650 Deutschen wurde diese Auszeichnung zuteil. 1971 folgte die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes. „Ich habe nur meine Pflicht getan“, sagte der Inspektor a.D. bei der Feierstunde. Paul Mayer starb am 15. April 1976 mit 79 Jahren. Er ist in Lenggries begraben.
Bücher: Mehr über Paul Mayer gibt es nachzulesen in „Der stille Held von Lenggries“ von Robert J. Huber, 96 Seiten, erschienen im Verlag Norderstedt und in „Die NS-Zeit im Altlandkreis Bad Tölz und ihre Folgen“ von Christoph Schnitzer, 200 Seiten.