Gerüchte vor EU-Wahl: Gründet die AfD eine neue rechtsradikale Fraktion?

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Angeblich präsentierte AfD-Spitzenkandidat Krah bereits 2022 einen „Plan B“: Mit militanten Rechtsextremisten gemeinsame Sache zu machen.

Brüssel – Auf den Fluren des EU-Parlaments brodelt die Gerüchteküche: Der AfD-Gruppe wird vor der Europawahl nachgesagt, dass sie nach der Abstimmung die Gründung einer dritten rechtsradikalen Fraktion im EU-Parlament anstrebe. Das berichtete das US-Portal Politico.

Ein Konzept hierfür stellte der AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah nach Informationen der Welt am Sonntag bereits 2022 dem Bundesvorstand und den Landesvorsitzenden seiner Partei vor. Demnach handelte es sich damals um einen „Plan B“, sollte das Bündnis mit den Rechten in der Fraktion Identität und Demokratie (ID) zerbrechen, aus der die AfD kürzlich ausgeschlossen wurde.

AfD
Das Logo der Partei AfD steht bei einer Wahlkampfkundgebung in der Donauhalle. © Bernd Weißbrod/dpa

Maximilan Krah (AfD) hatte vor der EU-Wahl 2024 angeblich einen „Plan B“

Welche Parteien wären Krahs „Plan B“ und welche Positionen könnte eine solche Fraktion vertreten? Im Gespräch soll ein Bündnis von etwa einem halben Dutzend rechtsradikalen bis offen rechtsextremen Kleinparteien – hauptsächlich aus Osteuropa – sein. Die bekannteste davon ist wohl die polnische Konfederacja.

Aus Westeuropa sei, so Politico, lediglich das niederländische Forum für Demokratie bereit sein, mit der AfD zu paktieren. Die Welt rechnete hingegen die Partei Reconquête aus Frankreich, geführt vom Rechtsextremisten Éric Zemmour, zu den möglichen Partnern der AfD. Inhaltlich haben diese Parteien alle eines gemeinsam: Sie sind dezidiert antiliberal und richten sich gegen EU und Nato. Sie halten die alltägliche Gewalt gegen Migranten an den EU-Außengrenzen für notwendig. Für unnötig hingegen halten sie die Klimaschutz- und Anpassungsanstrengungen der EU.

Mögliche AfD-Partner haben problematisches Verhältnis zum Nationalsozialismus

Hinzu kommt, und das dürfte erklären, warum ein solches Bündnis offenbar gerade nach Krahs Relativierung der Naziverbrecherorganisation der SS zu einer ernsthaft diskutierten Option wurde: Die osteuropäischen Parteien, deren Namen im Spiel sind, haben fast alle ein höchst problematisches Verhältnis zum Nationalsozialismus und den historischen Faschismen ihrer jeweiligen Staaten.

Besonders auffällig sind hier die zwei slowakischen Parteien L‘SNS und Republika. Der L‘SNS-Vorsitzende Marian Kotleba stellte die Partei ganz offen in die Tradition der klerikal-faschistoiden Nazi-Kollaborateure um Jozef Tiso. Parteiintern lässt sich Kotleba „Führer“ nennen. Bis 2017 war er Regionalpräsident in der Zentralslowakei.

Marian Kotleba neofaschist
Marian Kotleba, Chef der L‘SNS (Archivbild von 2012): Auf der Brust trägt er eine Abwandlung des Wappens der slowakischen Nazi-Kollaborateure. © imago stock&people

Seit der slowakischen Parlamentswahl 2023 ist die L‘SNS in keinem Parlament mehr vertreten. Ihre Abgeordneten im EU-Parlament verlor sie 2021 durch die Abspaltung der Republika. Die gibt sich weniger offen faschistoid. Ihr Vize-Vorsitzende, so der Spiegel, leugnete jedoch den Holocaust, als er noch für die L‘SNS im Parlament saß. Der aktuelle Parteichef wollte, berichtete die Welt, kein Urteil zum Holocaust abgeben, da er kein Historiker sei. Beide Parteien pflegen einen teils eliminatorischen Hass gegen die Minderheit der Roma.

Mögliche AfD-Partner in Ungarn und der Slowakei gründeten Bürgerwehren

Ein Aspekt, der den Verfassungsschutz interessieren dürfte, sind die Bürgerwehren, die von den möglichen osteuropäischen Partnern der AfD gegründet wurden. Laut dem Spiegel musste der slowakische Staat 2016 eine von Kotlebas Leuten gegründete Truppe verbieten. Sie richteten sich gegen Migranten und Roma. Deutlich mehr Erfahrung in der Anwendung und Organisation rassistischer Gewalt hat die rechtsextreme Partei Unsere Heimat aus Ungarn, die laut Welt und Politico ein Partner in Krahs „Plan B“ wäre. Erst Anfang 2024 berichtete der Tagesspiegel, dass Petr Bystron, AfD-Listenzweiter zur EU-Wahl, an einer Konferenz der Partei teilnahm. Bystron steht aktuell im Verdacht, eine Schlüsselfigur in einem russischen Einflussnetzwerk gewesen zu sein.

Der heutige Chef der Partei, László Toroczkai gründete bereits 2015 eine rechtsextreme Schlägertruppe, die Menschen auf der Flucht an der ungarischen Grenze abfing und nach Serbien zurückprügelte. Toroczkai ist seit 2013 des Grenzdorfes Ásotthalom. 2015 brachte er ein martialisches Video im Umlauf, das auch in Westeuropa Beachtung fand. Darin drohte er Migranten recht offen Gewalt an, sollten sie die Grenze überschreiten. Toroczkais Schlägertrupp ist inzwischen hauptsächlich in staatlichen „Grenzjäger“-Brigaden aufgegangen. Seit 2022 ist seine Partei mit sechs Mandaten im ungarischen Parlament vertreten.

100 years of regent Horthy/ right wing extremism, Budapest, Hungary UNGARN, 01.03.2020, Budapest
László Toroczkai, Chef der Partei Unsere Heimat bei einer Gedenkstunde für den ungarischen Diktator und Nazi-Kollaborateur Miklós Horthy. © Martin Fejer/estost.net via www.imago-images.de

Ideologisches Manifest der möglichen Fraktion hat Schnittmengen zum Rechtsterrorismus

Ideologische Grundlage einer solchen Fraktion aus dem Umfeld gewaltbereiter Extremisten und Holocaustleugnern, so Politico, könnte die sogenannte „Erklärung von Sofia“ werden. Die wurde im April 2024 auf einer Konferenz ausgerichtet, von der ebenfalls als Teil der neuen Fraktion genannten Partei Wiedergeburt, in der bulgarischen Hauptstadt unterzeichnet. Darin wird die EU und ihre „nicht gewählte Bürokratie“ als ein Konstrukt „aggressiver globalistischer Ideologie“ zur existenziellen Gefahr für die europäischen Völker erklärt.

„Globalismus“ und Hinterzimmer-Entscheidungen, von denen ein imaginiertes Volk „befreit“ werden müsse – moderner Erlösungsantisemitismus in Reinform. Den Kampf gegen die „Globalisten“ nannten weltweit schon Dutzende Rechtsterroristen als Motive ihrer Taten. So trieb dieser Verschwörungsmythos in Deutschland auch die Attentäter von Halle und Hanau an.

Innerhalb der radikalen Rechten im EU-Parlament, würde dieses Bündnis laut Welt und Politico wohl ihres Auftretens wegen abschätzig als „Resterampe“ oder „Hooligan“-Truppe beschrieben. Politisch liefe eine solche Fraktion mindestens Gefahr, der parlamentarische Arm des militanten Rechtsextremismus zu werden. Für die Gründung bräuchte es allerdings mindestens 23 Abgeordnete aus sieben Staaten.

Politico errechnete Anfang Juni aus Umfragen, dass diese Marke knapp verfehlt werden dürfte. Die Welt schrieb, dass AfD-Bundessprecherin Alice Weidel auch nicht sonderlich begeistert von einem solchen Bündnis wäre. Ein möglicher Name für die Fraktion schwirrt trotzdem bereits herum, „Vera Europa“ (lat. „Wahres Europa“) soll Kind heißen, das noch in der Taufe liegt.

Und was macht die FPÖ? Enger Partner der AfD hat alle Möglichkeiten

Auffällig ist, gerade der Name des wohl engsten Partners der AfD fiel in diesem Zusammenhang offenbar nicht: Mit der FPÖ aus Österreich müssten genug Abgeordnete zusammenkommen, um die Fraktion zu gründen. Die Partei wartet offenbar ab, wie sich die radikale Rechte auf EU-Ebene nach der Wahl neu sortiert. Optionen hätte Parteichef Herbert Kickl wohl mehrere: Sich an den französischen Rassemblement National halten, dessen Frontfrau Marine Le Pen kürzlich Italiens Premierministerin Avancen machte, oder in der ID bleiben oder sich einem Bündnis aller Rechtsaußen-Parteien anschließen, der Österreicher hätte alle Möglichkeiten. Meloni ist allerdings im rechtsextremen Umfeld der Partei wegen ihres kompromissbereiten Kurses gegenüber Brüssel verhasst.

Wie sich der rechte Rand im Brüsseler Parlament nach der Wahl sortiert, wird auch maßgeblich davon bestimmt, ob ein Bündnis zwischen Meloni und der konservativen EVP, geführt von Manfred Weber (CSU), zustande kommt. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) wollte dies zuletzt nicht mehr ausschließen. (kb)

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