„Putin ist jetzt in einer stärkeren Position“ – Ukraine geht Hoffnung im Krieg gegen Russland aus
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Der Ukraine-Krieg tobt seit fast 22 Monaten. Lange hat die Ukraine voller Zuversicht gegen die Eindringlinge gekämpft. Jetzt schwindet das Vertrauen.
Kiew - Hohe Verluste, schwindende Militärhilfe und jetzt auch noch russische Geländegewinne: Die Situation im Krieg gegen Russland scheint sich für die Ukraine zuzuspitzen. Inzwischen leidet darunter auch der Optimismus der Ukrainer. Dabei sah es zunächst aus, als könnte Wolodymyr Selenskyj die Nation zum Sieg führen.

Vor einem Jahr erhielt Selenskyj im US-Kongress tosenden Applaus und Hilfszusagen in Milliardenhöhe für den Kampf gegen die Invasionsarmee. Der russische Präsident Wladimir Putin hingegen schien das Rampenlicht zu meiden. Seine Armee verlor an Boden, während er sich gegen Angriffe aus den eigenen Reihen wehrte. Der verblüffende Erfolg der Ukraine bei der Abwehr des russischen Versuchs, Kiew einzunehmen, hatte eine weit verbreitete Euphorie ausgelöst. Russlands Militär schien im Ukraine-Krieg hingegen als inkompetent und stümperhaft entlarvt worden zu sein. Die USA mobilisierten ihre Verbündeten, um Waffen und Unterstützung zu liefern und harte Sanktionen gegen Putin zu verhängen.
Wladimir Putin wirkt immer zuversichtlicher – während Selenskyj abgeschlagen daherkommt
Ein Jahr später scheint alles anders. Putin wirkt immer zuversichtlicher, wie zuletzt am Dienstag (19. Dezember), als er auf einer Pressekonferenz, umgeben von seinen hochrangigen Militärs, Russlands Kriegsanstrengungen anpries. Ganz anders der ukrainische Staatschef. Selenskyj wirkte bei einer eilig organisierten Pressekonferenz zum Jahresende am selben Datum niedergeschlagen. Begründeter Weise, wie Mark Galeotti, Leiter des auf Russland spezialisierten Beratungsunternehmens Mayak Intelligence, gegenüber dem US-Sender NBC News urteilte: „Putin ist jetzt in einer stärkeren Position als zu jedem anderen Zeitpunkt seit der Invasion, er hat also Grund zum Jubeln“.
Selenskyj hingegen befinde sich in einer ganz anderen Lage. Daher habe er auf seine bewährte Taktik zurückgegriffen, sich auf eine moralische Verpflichtung seiner Verbündeten zu berufen. Gegenüber den Reportern sagte Selenskyj, er sei sich sicher, „dass die Vereinigten Staaten von Amerika uns nicht verraten werden und dass das, was wir mit den Vereinigten Staaten vereinbart haben, vollständig umgesetzt wird“. Die Wortwahl „Verrat“ sei Teil einer der Strategie der „moralischen Erpressung“, die für den ukrainischen Staatschef in den letzten zwei Jahren gut funktioniert habe, so Galeotti. Langsam beginne sich die Nummer bei den westlichen Verbündeten jedoch abzunutzen.
Kiew konnte die Erwartungen im Ukraine-Krieg nicht erfüllen - Die Verbündeten sind enttäuscht
Das liegt nicht zuletzt daran, dass Kiew die hohen Erwartungen an die im Juni gestartete Gegenoffensive nicht erfüllen konnte. Die vom Westen unterstützte Kampagne ist in den letzten Monaten weitgehend im Sande verlaufen, da die Ukraine keine Durchbrüche erzielen konnte. Dies hat die Zuversicht der westlichen Verbündeten untergraben und in Washington und Europa Zweifel aufkommen lassen, ob die Bereitstellung weiterer Hilfe für die Ukraine nachhaltig ist. In der Folge wird ein 60-Milliarden-Dollar-Hilfspaket der USA im US-Kongress weiterhin blockiert, während der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán letzte Woche sein Veto gegen den Plan der EU einlegte, Kiew Hilfen in Höhe von 54,6 Milliarden Dollar zukommen zu lassen.
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Während der ukrainische Präsident warnt, dass ein Rückgang der Hilfe der USA und anderer westlicher Verbündeter schwerwiegende Folgen auf dem Schlachtfeld haben könnte, hat eine Reihe von Kiewer Militärs in den letzten Tagen angedeutet, dass Russland mit Beginn des Winters an Stärke gewinnen könnte. Ein Sprecher der ukrainischen Luftwaffe, Oberst Jurij Ihnat, erklärte am Montag (18. Dezember) in einem Fernsehinterview, dass die russischen Streitkräfte „jetzt über genügend Drohnen verfügen, um die Ukraine jeden Tag aus verschiedenen Richtungen anzugreifen“, wie die ukrainische Zeitung The New Voice of Ukraine berichtete. Außerdem sei Russland dabei, Raketen „anzuhäufen“.
Russland hat inzwischen eine militärische „Überlegenheit“ - die Situation ist ein „sehr großes Problem“
In einem Post auf Telegram gab der Befehlshaber der ukrainischen Bodentruppen, Generaloberst Oleksandr Syrsky, am Dienstag (19. Dezember) zu, dass Russland eine militärische „Überlegenheit“ erlangt habe. Diese sei zum Teil darauf zurückzuführen, dass Moskau bereit und in der Lage dazu sei, eine große Zahl von Truppen in einem Zermürbungskrieg zu opfern. „Die Situation ist kompliziert“, so Syrsky. „Wir müssen unter Bedingungen kämpfen, in denen der Feind sowohl an Waffen als auch an Personal überlegen ist“. Trotz der hohen Verluste führe Russland „weiterhin offensive Aktionen durch“.
Derweil sieht sich die Ukraine offenbar gezwungen, ihre Strategie aufgrund von Munitionsengpässen auf dem Schlachtfeld einzuschränken oder zu ändern. Der ukrainische Brigadegeneral Oleksandr Tarnavskyi sagte in einem am Montag (18. Dezember) von Reuters veröffentlichten Interview, dass das Militär seine Bemühungen aufgrund von Engpässen „auf der gesamten Frontlinie“ neu plane. Er bezeichnete die Situation als „sehr großes Problem“ und merkte an, dass offensive Operationen „in einigen Gebieten“ in Verteidigungsoperationen umgewandelt worden seien, während die Reservekräfte für „weitere groß angelegte Aktionen“ in der Zukunft vorbereitet würden. (tpn)