Flaggschiff der Bundeswehr-Zeitenwende: Pistorius‘ futuristische Fregatte nimmt Fahrt auf

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Die Idee ist mehr als zehn Jahre alt, und die ersten Bleche werden jetzt geschweißt: Mit der Fregatte F126 will Deutschland auf Hoher See auftrumpfen.

Berlin – Spätestens am 16. Juni 2028 ist der Schampus an der Bordwand heruntergelaufen und das Schiff mit dem Wunsch nach mindestens einer Handbreit Wasser unter dem Kiel in den Dienst aufgenommen. Mit der ersten Fregatte der neuen Schiffsklasse F126 hat die Deutsche Marine dann einen gewaltigen Schritt getan, um so etwas wie Macht auf See zu werden; kriegstüchtig zu werden, wie Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gefordert hat. Die neue Schiffsklasse ist nämlich ein Tausendsassa – oder zumindest als solcher geplant. Die F126 kann genau so als Gefangenentransporter in See stechen wie als U-Boot-Jäger; oder unterwegs von einem zum anderen umgebaut werden. Dafür soll sie je nach Einsatzzweck verschiedene Aufbauten erhalten. Insofern hat sie das Nachrichtenmagazin Spiegel auch schon „Lego-Fregatte“ getauft.

Die F-126-Klasse mit ihren letztendlich sechs geplanten Einheiten könnte so etwas wie das Flaggschiff der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufenen „Zeitenwende“ werden – so viel Geld wie für die F126 hat die Bundesregierung noch nie für die Marine in die Hand genommen. Für den deutschen Militärhistoriker Sönke Neitzel ein klares Signal: „2018 wurde zwar als Ziel festgelegt, die Bundeswehr bis zum Jahr 2031 wieder zu einer ,Vollwert-Armee‘ zu machen, wie es im Amtsdeutsch heißt, aber der politische Wille, dies auch umzusetzen, ist nicht wirklich zu erkennen.“

Bundeswehr-Aufgaben ändern sich – auch die Marine ist gefordert

Dabei gehört zur Aufgabe der Marine auch, erstens Deutschlands Versorgung beispielsweise auch im Mittelmeer sicherzustellen und gleichermaßen Nato-Interessen mitzuverteidigen; möglicherweise auch im Zuge des Ukraine-Kriegs auf kommenden Missionen im Schwarzen Meer. Nach 1990 haben sich die Aufgaben der Bundeswehr von der Landesverteidigung im „Kalten Krieg“ hin zu Einsätzen der internationale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung außerhalb Deutschlands verlagert als „Armee im Einsatz“ mit wechselnden Aufgaben.

Ganz anders klang die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesverteidigungsminister, Siemtje Möller (SPD), zum offiziellen Baubeginn der je 160 Meter langen F126: „Wir beweisen damit unsere Verlässlichkeit und Professionalität, aber vor allem unsere Entschlossenheit und unseren Willen, für unsere Sicherheit und die unserer Partner einzustehen.“ Konkret heißt das im Bericht des Militärjournals cpmDefenseNetwork: „Besonderes Kennzeichen dieses Schiffs sind die austauschbaren Missionsmodule, wie zum Beispiel das Modul ASW (Anti Submarine Warfare)-Lagebild, oder das Gewahrsamsmodul – beide sind die ersten Module, die vom Parlament abgesegnet wurden. Darüber hinaus werden die Schiffe an unterschiedliche Einsatzanforderungen und -aufgaben anpassbar sein. Die Fregatten F-126 sollen Ziele in der Luft sowie auf und unter Wasser bekämpfen sowie in der Lage sein, als Führungseinheit Einsätze an Land zu führen.

Piraten im Roten Meer – möglicher künftiger Gegner für deutsche Fregatte

Die F126 löst sukzessive die ältere F125-Klasse mit ihren vier Schiffen ab oder ergänzt sie – neu ist eben das größere „Auslegungsszenario“, das heißt, ein künftiges Bundeswehr-Schiff muss für mehrere Einsatz-Optionen gleichermaßen nutzbar sein. Vor allem für dreidimensionale Bedrohungen, also unter wie auf oder wie über dem Wasser. Die Fregatte hatte als Projekt den Namen „MKS 180“ und datiert als Idee für künftige Marinefahrzeuge auf das Jahr 2009, wie das Marineforum schreibt: „Da eine Auslegung der Plattform (des Schiffes) auf alle denkbaren Bedrohungsszenarien nicht realisierbar sei, müssten die Fähigkeiten künftiger Einsatzverbände mit geringem Aufwand lage- und bedarfsgerecht modular zusammengestellt und vor sowie auch noch während des Einsatzes flexibel angepasst werden können.“

Beispielsweise sollte die F126-Klasse so gebaut werden, dass modular jederzeit nachgerüstet werden könnte oder Module instand gesetzt werden, ohne dass das Schiff aus dem Einsatz genommen werden müsste. Einerseits ist das neben der militärischen Notwendigkeit eine Frage des Budgets: Für die „Lego-Fregatte“ kann also Zubehör nachgekauft werden, wenn wieder Geld da ist. Schließlich soll das „Sondervermögen Bundeswehr“ bis 2027 aufgebraucht sein; eventuell aus diesem Topf zu leistende Hilfen für die Ukraine sollten den Kredit aber auch schneller aufbrauchen können. Zwei weitere optionale Fregatten waren im Sondervermögen enthalten, sind aber wieder herausgelöst worden und stehen 2024 wieder zur Diskussion.

Eine Simulation der neuen F126-Fregatte.
Eine Simulation der neuen F126-Fregatte. © Damen Naval

Die aktuellen Drohnenangriffe der islamfreundlichen Huthi-Rebellen im Roten Meer unterstreichen die künftige Notwendigkeit eines solchen maritimen Tausendsassas, wie das Marineforum schreibt. Um nicht nur Piraten und andere asymmetrische Bedrohungen mit einem Schiff bekämpfen zu können, würden im Gegensatz zur F125-Schiffsklasse Missionsmodule an Bord genommen werden. Diese standardisierten Ausrüstungs- und Personalpakete sollen das Schiff ohne großen technischen und zeitlichen Aufwand flexibel an einen bestimmten Auftrag anpassen. Zum Betrieb dieser Missionsmodule seien an Bord Stellflächen vorgesehen, Platz für ein zusätzliches Kontingent von 70 Soldaten, eine Anzahl von freien Arbeitsplätzen in der Operationszentrale sowie die entsprechenden Reserven und Schnittstellen für Klima/Lüftung, Strom, interne und externe Kommunikation notwendig.

Vier statt sechs Fregatten: Sondervermögen begrenzt Einkaufstour der Marine

Im Gegensatz zu Systemen, die fest eingebaut sind, können Missionsmodule, die aktuell nicht für einen Einsatz benötigt werden, unabhängig von ihrem Trägerschiff instand gesetzt und gewartet werden. Im Einsatz ist es denkbar, dass die Trägerplattform unter zeitweiligem Verzicht auf die spezifische Fähigkeit weiterhin auf See bleibt, während das Modul in einem Hafen überholt wird. In einem zweiten Schritt soll den die Module über verschiedene Schiffsklassen hinweg getauscht werden können; in einem dritten Schritt auch zwischen verschiedenen Schiffen der Nato-Partner. Die Bundeswehr gibt für die ersten vier von sechs geplanten Schiffen rund 5,3 Milliarden Euro aus. So viel wie nie zuvor für Projekte in der kleinsten deutschen Teilstreitkraft. Das fünfte und sechste Schiff sind aktuell jedoch lediglich Optionen, über die noch entschieden werden muss. Bis 2035 will die Marine gemäß dem Strategiepapier „Zielbild 2035+“ ihre Flotte von jetzt mehr als 50 Schiffen auf bis zu 70 erweitern.

Für den Schiffsbetrieb ist eine Stammbesatzung von 114 Soldaten vorgesehen. Daneben stehen Kapazitäten zur Verstärkung durch etwa 80 weiteren Personen für Wahrnehmung weiterer Aufgaben zur Verfügung. Die Fregattenklasse 126 wird projektiert von der holländischen Damen Schelde Naval Schipbuilding BV und komplett in deutscher Hand gebaut an verschiedenen deutschen Standorten: Bei NVL in Wolgast werden die Hecksektionen gebaut, German Naval Yards in Kiel fertigt die Bugsektionen. Hochzeit, also die Endmontage der Schiffe sowie die Ausrüstung mit der gesamten Elektrik ist bei Blohm+Voss in Hamburg. Allerdings ist bereits jetzt zu hören, dass die Baupläne aus Holland den Verträgen zeitlich und inhaltlich hinterherhinken.

F126 macht die Marine stärker: Das Militär wird jetzt vom Krieg her gedacht

Das Marineforum sieht die Einsatzschwerpunkte der F126 konkret darin, Seegebiete sowie Schiffsrouten sowohl zu überwachen als auch zu Wasser zu beherrschen– vergleichbar der damaligen Operation Atalanta –, Embargo-Maßnahmen durchzuführen sowie Nationale Risikovorsorge zu betreiben durch Evakuierungsoperationen in Krisengebieten. Konkret bedeuten diese Vorgaben, dass neben dem Selbstschutz die Seeraumüberwachung, das Abfangen von Seezielen und das Durchführen von Untersuchungen – beispielsweise von verdächtigen Handelsschiffen – in den entsprechenden mandatierten Einsätzen als Kernziele schon in die Entwürfe der F1126 eingearbeitet worden waren. Prinzipiell soll die F126 aber ihre vorrangige Stärke in der U-Boot-Jagd finden.

Fregattenkapitän Peter Wiemann ist im Marinekommando der Dezernatsleiter Fähigkeitsentwicklung in der Abteilung Planung und gleichzeitig Beauftragter der Marine im Integrierten Projektteam MKS 180 (F126) und voll des Lobes für das neue Schiff: „Die Idee, die hinter der F126 steht, ist, die Grundbefähigungen durchhaltefähig bereitstellen zu können und nicht, Spitzenwerte in Einzeldisziplinen zu erzielen.“ Folgerichtig orientiert sich die technische Umsetzung nicht an den Grenzbereichen des Machbaren – insofern ist die F126 explizit als Allrounder gebaut worden. Das begrenzt die Beschaffungskosten sowie die technische Anfälligkeit im Betrieb. Wiemann sieht in der F126 dank ihrer Modularität ein künftiges Arbeitspferd für die Marine von 2020 an.

Historiker Neitzel sieht die Bundesregierung mit dem Schiff in der Realität einer modernen Streitmacht angekommen. Wenn die F126 in fünf Jahren ihren Dienst aufnehmen wird, mag er darin das Bemühen der Bundesregierung erkennen, wie er sagt, „das Militär wieder mehr vom Krieg her zu denken“. Für Peter Wiemann ist der aktuelle Start mit dem Schneiden der ersten Bleche sehr viel emotionaler, wie er schreibt: „Damit verbreitet sich zu Recht allenthalben ein Gefühl von ,Jetzt geht’s wirklich los‘.“ (Karsten Hinzmann)

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