Merz-Parolen zur Abschiebung: Was der CDU-Chef fordert, funktioniert seit 27 Jahren nicht

  1. Startseite
  2. Politik

Kommentare

CDU-Chef Friedrich Merz fordert nach dem Terroranschlag von Solingen rigoros Abschiebungen aus Deutschland. Doch das Verfahren, auf das er sich beruft, hakt.

Berlin - Was tun mit Blick auf das Thema Migration? Wie reagiert Deutschland auf den blutigen Terrorananschlag von Solingen? Ein syrischer Flüchtling gilt als dringend tatverdächtig, im nordrhein-westfälischen Solingen drei Menschen bei einem Stadtfest mit einem Messer getötet zu haben.

Migration in Deutschland: Friedrich Merz pocht nach Solingen auf Dublin-Verfahren

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz fordert vehement einen Aufnahmestopp pauschal für alle Menschen aus Syrien und Afghanistan. Der 68-jährige Sauerländer und mögliche Kanzlerkandidat der Union verweist in seiner Argumentation auch auf das sogenannte Dublin-Verfahren der Europäischen Union (EU), wonach der Staat zuständig ist, in den Asylsuchende nachweislich zuerst eingereist sind.

Als Beispiel nannte er bei einer Wahlkampfveranstaltung zu den Landtagswahlen in Sachsen und in Thüringen (1. September) etwa Bulgarien auf dem Balkan. Doch: Besagtes Dublin-Verfahren, das in der EU seit 1. September 1997 in Kraft ist, hat sich seither als sehr anfällig für Fehler und Missverständnisse sowie als oft nicht durchsetzbar und praktikabel erwiesen.

Kritisiert die Ampel-Koalition scharf: der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz.
Kritisiert die Ampel-Koalition scharf: der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz. © IMAGO / Future Image

Dublin-Verfahren zur Migration in der EU: Staaten schicken Asylsuchende weiter

Vereinfacht: Oft werden Flüchtlinge und Asylsuchende erst gar nicht in dem Land registriert, in dem sie erstmals den Boden der EU betreten. Sondern sie werden schlicht weitergeschickt und durchgelassen. In der sogenannten Flüchtlingskrise im Sommer 2015 wurde dieses Problem auch für eine breite Öffentlichkeit augenscheinlich. Die ungarische Regierung des nationalkonservativen Rechtspopulisten Viktor Orban schickte zum Beispiel Tausende Flüchtlinge einfach über die Autobahn in Richtung Österreich und Deutschland, was damals reihenweise TV-Aufnahmen von vor Ort belegten.

Ein anderes Streitthema zwischen Rom, Paris, Wien, Budapest, Tirana und Athen ist: Flüchtlinge, die in einem EU-Land registriert werden, aber über offene EU-Grenzen in einen anderen Mitgliedstaat reisen, dürften eigentlich wieder in das Land der Erstaufnahme überstellt werden. Worauf CDU-Chef Merz wiederholt hinwies, und was nach EU-Recht erst einmal völlig korrekt ist. Aber: Wie die „Tagesschau“ der ARD Ende November 2023 etwa auf ihrer Nachrichten-Website schrieb, scheitere das Dublin-Verfahren an diesem Punkt oft wegen der anderen Mitgliedstaaten.

Einwanderung nach Deutschland: Die meisten Asylsuchenden kommen aus Syrien

Konkret: Die Süddeutsche Zeitung (SZ) hatte damals aus einer Antwort der Ampel-Bundesregierung (SPD, Grüne und FDP) auf eine Anfrage einer Linken-Abgeordneten berichtet, wonach zwischen Januar und August 2023 festgestellte 24.192 fristgerechte Überstellungen gescheitert sind. In 5296 und damit in den meisten Fällen lag dies am zuständigen Mitgliedsstaat. Fehler der ausführenden Ausländerbehörden (5060 Fälle) kamen hinzu, in 2964 Fällen waren die Personen demnach „untergetaucht“. In 2307 Fällen stand laut SZ „Organisatorisches“ einer Überstellung der Asylsuchenden im Weg, 2151 Mal seien die betreffenden Personen „nicht angetroffen“ worden.

Laut Spiegel hatte das Bundesamt für Migration und Flucht (Bamf) in den ersten vier Monaten des vergangenen Jahres 110.516 Asylerstanträge registriert – 78 Prozent mehr als noch im durch die Corona-Pandemie geprägten Vergleichszeitraum in 2022. Die meisten Antragsteller kamen demnach aus Syrien und Afghanistan. Laut Statistik des Bamf haben in 2023 insgesamt 351.915 Personen einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Dies habe einen Anstieg um 51,1 Pozent im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Die meisten Anträge kamen den Behördenangaben zufolge von Menschen mit syrischer (104.561), türkischer (62.624) und afghanischer (53.582) Staatsangehörigkeit.

Vorschlag von Friedrich Merz zur Migration: Dublin-System funktioniert wohl nicht

Zur Einordnung: Deutschland hat Syrien und Afghanistan mittlerweile als sichere Herkunftsstaaten anerkannt, obwohl in Syrien unter dem autoritären Regime von Präsident Baschar al-Assad regional noch immer bürgerkriegsähnliche Verhältnisse vorherrschen und in Afghanistan die radikalislamistischen Taliban an der Macht sind. Noch ein Beispiel für das häufige Scheitern des Dublin-Verfahrens: Dem Tagesspiegel lag schon im Frühjahr 2019 eine Antwort der damaligen CDU/SPD-Bundesregierung auf eine schriftliche Frage der FDP-Abgeordneten Linda Teuteberg vor. Aus dieser ging hervor, dass damals 14 Prozent aller Menschen, die von Deutschland nach dem Dublin-System in ihre Erstaufnahmeländer zurückgeschickt wurden, zu einem späteren Zeitpunkt wieder in die Bundesrepublik eingereist sind. (pm)

Auch interessant

Kommentare