Grünen-Wahlkampf in Sachsen: Minutenlang unterhält sich Ricarda Lang mit einem Studenten. Er kritisiert Gendersprache und sagt: „Es gibt einfach zu viel Moral bei den Grünen.“
Omid Nouripour schwärmt vom Drachenfruchteis, Ricarda Lang hält eine Waffel mit einer Kugel Stracciatella in der Hand. Die beiden Parteichefs der Grünen haben sich in der Dresdner Innenstadt postiert, vier Tage vor der Landtagswahl in Sachsen. „Eis für Anliegen“ nennen sie ihre Kampagne. Lang und Nouripour wollen mit den Menschen vor Ort in den Dialog kommen. Damit die Sachsen auch Lust auf das Gespräch bekommen, gibt es Gratis-Eis.
„Wollt ihr euch die fünf Prozent erkaufen“, ruft ein Mann in weißem Hemd. Das Eis-Angebot schlägt er aus. Am liebsten wäre es ihm, wenn die Grünen aus dem sächsischen Landtag fliegen. Bislang regieren sie mit CDU und SPD. Der Mann wünscht sich, „dass meine CDU nicht mehr mit Ihnen koaliert“.
Damit ist er auf Linie mit Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer. Der sagte vor wenigen Tagen der Bild: „Die Grüne Partei ist gescheitert – und zwar an sich selbst.“ Kretschmer weiter: „Eine Regierungsbeteiligung der Grünen kommt für die CDU nicht mehr infrage.“ Die Grünen sind in Dresden bemüht, den CDU-Anhänger von sich zu überzeugen. Ein echtes Gespräch kommt allerdings nicht zustande. Anders als mit einem Studenten aus Dresden, mit dem sich Lang mehrere Minuten unterhält.
Der junge Mann stört sich daran, wie die Grünen politisch kommunizieren. Zu oft würden sie einem Thema einen „moralisch verwerflichen Beigeschmack“ verleihen. So auch beim Gendern. „Es gibt sachliche, linguistische Kritik an Gendersprache“, sagt er. Bei den Grünen werde diese Kritik aber teils „als Ankämpfen gegen Gleichstellung diffamiert“.
Der Mann spricht ruhig, erklärt, er sei zwingend für Gleichberechtigung. Gendern sei aber der falsche Weg, da man viele damit vor den Kopf stoße. Lang hört zu, sagt dann: „Das Thema Gendern ist mir offen gesagt scheißegal. Ich mach's, andere machen's nicht.“
Student in Dresden: „Es gibt einfach zu viel Moral bei den Grünen“
In der Gender-Debatte sind die Grünen tatsächlich auffällig ruhig geworden. Zwar bemühen sich mehrere Spitzenpolitiker der Grünen um eine geschlechtsneutrale Sprache. Wirklich zum Thema machen das Gendern aber andere Parteien, etwa die AfD. Die Grünen selbst haben in Sachsen vergangenes Jahr sogar ein Genderverbot an Schulen mitgetragen.
Der Student hat aber nicht nur ein Problem mit dem Gendern, wie er nach dem Gespräch mit Ricarda Lang IPPEN.MEDIA erklärt. Eigentlich lehnt er die Grünen nicht per se ab. „Ich schätze ihre Grundgedanken und ihren sozialen Ansatz, jedoch kann ich mich mit der momentanen politischen Ausrichtung und Priorisierung der Themen absolut nicht mehr identifizieren.“
Er beobachtet: „Völlig normale Positionen werden moralisch aufgeladen, es gibt einfach zu viel Moral bei den Grünen.“ Als Beispiel nennt er neben dem Gendern „die Ablehnung von unbegrenzter Migration nach Deutschland“. In Reihen der Grünen werde diese Position „emotionalisiert als unmoralischer Akt gegen die Menschenwürde wahrgenommen“.
Grüne bei der Sachsen-Wahl: Zittern wegen Fünf-Prozent-Hürde
Eine andere junge Frau steht den Grünen positiver gegenüber. „Vielen Dank, dass Sie das alles machen“, sagt sie in Richtung Lang. Auch ein Mediziner im Blumenhemd bedankt sich. „Die Grünen sind die Partei, die sich am stärksten gegen Hass und Hetze positioniert.“ Er versteht nicht, warum die Grünen immer wieder attackiert werden. „Eigentlich läuft es doch gut in Sachsen.“
Am Wahlkampfstand in Dresden steht an diesem Tag ein Dutzend Grüne. Einige von ihnen sind aus anderen Bundesländern angereist, wie ein junger Mann aus Hessen. „Drei Wochen Wahlkampfurlaub“, sagt er. Ob es was bringt, entscheidet sich am Sonntag (1. September). In den jüngsten Umfragen zur Sachsen-Wahl erreichten die Grünen exakt fünf Prozent, es könnte also knapp werden.
Ob Lang und Nouripour da noch etwas bewegen können? An diesem Nachmittag ist es wie bei vielen Wahlkampfveranstaltungen dieser Tage. Das grüne Spitzenduo unterhält sich mit Grünen-Wählern, die wohl auch ohne Gratis-Eis die Partei unterstützt hätten. Gleichzeitig treffen sie auf Menschen, die sie sowieso nie wählen würden. „Das Eis ist wirklich gut“, sagt ein älterer Herr mit Fahrrad. „Aber die Grünen wähl’ ich trotzdem nicht.“ (as)