Rausch der Kontraste: das LTT mit „Frankenstein“ am Landsberger Stadttheater

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Die Kreatur (Franziska Becker) mit Victor Frankensteins Bruder William (Jonas Hellenkemper) - kurz bevor dessen Genick lautmalerisch gebrochen wird. © Greiner

Die kleine Bühne auf der Bühne erinnert an Jahrmarkt. Einer von der alten Sorte, mit Hau den Lukas, Schiffschaukeln und Kuriositäten-Kabinett: der stärkste Mann, die dickste Frau, ‚Kolossalmenschen‘, Tiermenschen - kurzum die Freak-Show. Die Frankenstein-Inszenierung des Tübinger Landestheater (LTT) startet im trashigen Horrorfilm. Und schließt in der Frage, wer nun das Monster ist: Frankensteins Kreatur – oder vielleicht doch der Mensch selbst.

Landsberg - Schwarz-weiß-Flittern, Frauenkreischen, ein hallendes: „Frankenstein“. Vom bekannten Gruselgefühl geht es stufenlos zum quietschbunten Monsterballett mit Beatmusik, aus dem Viktor Frankenstein von seiner Schweizer Familie nach Ingolstadt zum Studium geschickt wird. Ingolstadt? Wegen der Illuminaten? Nicht doch! Dort ist die renommierte Universität, an der Sohnemann der Medizin frönen will – auch wenn sein Professor ein wenig dem Auge aus der Pyramide gleicht, wie er blubbernd aus dem goldenen Vorhangdreieck linst.

„Frankenstein“ am Landsberger Stadttheater - Mit dem Blitz zu neuem Leben

In Ingolstadt wird Viktor den Wetterstudenten Henry Clerval treffen, der ihm die zündende Idee gibt: „Der Blitz haucht toten Gegenständen Leben ein!“ Als dann Frankensteins Mutter stirbt, ist Viktors Ziel klar: dem Tod ein Schnippchen schlagen. Und selbst Leben erschaffen: mit dem richtig heißen Scheiß, der gerade entdeckten Elektrizität, „einen Strom von Licht über die finstere Welt gießen“. Ist das anmaßend? Aber klar doch! „Ich, Viktor Frankenstein, bin Gott“, jubelt er. Und wie der Mensch in seiner Überheblichkeit und Arroganz gegenüber Grenzen ist, hinterfragt Viktor nicht die Folgen seiner ‚Erfindung‘. Sondern stellt die Hybris auf den Olymp.

Das fünfköpfige Ensemble (Dennis Junge, Franziska Beyer, Rosalba Salomon, Gilbert Mieroph und Jonas Hellenkemper) und Regisseur Dominik Günther feiern ihren „Frankenstein“ in grellen Kontrasten. Die berüschten Romantik-Kostüme von Sandra Fox schrillen: Frankensteins Bruder stolpert mit Teddyrucksack und Alien-Elektrofigur über die Bühne, die Frankensteins machen sich dank Plastikhänden die eigenen Hände nicht schmutzig und die Kreatur selbst, grandios und kraftvoll von Franziska Beyer gespielt, steckt in einem monströsen Fleischanzug. Die Musik pendelt zwischen Zirkusdrehleier und Beat oder wandert ab und zu ins Tragisch-Kitschige mit Schlagernuancen. Es ist eine – gelungene – Gratwanderung zwischen Trash-Horror samt Gruselknacken der von der Kreatur gebrochenen Genicke und Ernsthaftigkeit bis hin zur Philosophie.

Kein Mensch?

Diese Gegensätze spiegeln sich in der Kreatur. Nach ihrer ‚Geburt‘ ist sie wohlgesonnen, karitativ, freundlich. Die Szene dazu: der Song „You’ve got a Friend“, den sie mit dem blinden Nachbarn singt. Eine erste Freundschaft, die durch die sehenden Kinder des Blinden gewalttätig endet. Überall, wo die Kreatur auftaucht, erntet sie Entsetzen und Ekel, selbst bei ihrem Schöpfer, der die ihm von ihr angeforderte Vaterrolle abstreitet. Denn der degradiert sie zum „Ergebnis eines Experiments“, spricht ihr jegliche Menschlichkeit ab und entsagt ihr eine zweite Kreatur: eine Partnerin. Wie du mir, so ich dir, folgt die Kreatur der ihr vom ‚Schöpfer‘ vorgegebenen Unmenschlichkeit. Und tötet erst Viktors Zukünftige – und schließlich sich selbst.

Eine Lücke

Das Tübinger Landestheater richtet den Fokus auf den Menschen, seine Hybris und seine fehlende Verantwortung für sein Tun. Das tut das großartige Ensemble mit viel Spielfreude und einem gekonnten Spagat zwischen Klamauk und bittersüßem Ernst. Lediglich am Ende scheint der Inszenierung die Zeit davonzulaufen: Die Entwicklungen überschlagen sich, die Protagonisten handeln im Zeitraffer. Des Monsters stimmlich beeindruckender Abgesang, am Klavier von seinem Schöpfer Viktor (Dennis Junge) begleitet, beendet das Stück harmonisch. Aber hinterlässt beim Zuschauer eine Lücke.

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