Alles so schön rosa hier! - „Endstation Sehnsucht“ im Landsberger Stadttheater
Landsberg – Mit der Straßenbahn zur Endstation „Sehnsucht“, von da aus Richtung Friedhof und da ist es, das „Elysium“ – ein bonbonrosa-farbenes Tiny-House im Armenviertel von New Orleans. Das Landestheater Tübingen (LTT) inszeniert Tennesssee Williams‘ „Endstation Sehnsucht“ instagramable: als schönen Schein, der sich als Albtraum entpuppt. Bestes Erzähltheater, das sich die notwendige (dreieinhalbstündige) Zeit für Text und Figuren nimmt.
Blanche ist gebildet, bildet sich darauf einiges ein, kommt aus der upper Class – und ist pleite. Weshalb sie zu Stella ‚flieht‘, ins Zweizimmer-Tiny-House, in dem die mit Ehemann Stanley, ehemals Oberstabsfeldwebel, jetzt Fabrikarbeiter, lebt. Das Problem: Stanley sieht sich als „richtigen Mann“ – und deshalb als Machthaber, der König im rosanen ‚Palast‘. Die Konflikte mit der selbstbewussten Blanche, die Stanley seine intellektuelle Unterlegenheit in jedem Satz spüren lässt, sind vorprogrammiert: Im kleinen Häuschen ist zu wenig Raum für zwei Machthungrige. Die Gewalt eskaliert in der Vergewaltigung Blanches – und verpufft im konsequenten Leugnen des Realen. Denn alles ist doch so schön rosa hier.
„Heutzutage würde Tennessee Williams mindestens für Netflix schreiben.“
Tennessee Williams nimmt sich Zeit, seine Figuren im Gegenüber zu entwickeln. Und die lässt sich auch der Regisseur der Tübinger Inszenierung Daniel Foerster. Die Machtkonstellationen werden ausgespielt: Blanches Wetteifern mit Stella à la Schneewittchens ‚Wer ist die Schönere im Land‘. Stellas Vereinsamung und Abhängigkeit von Stanley sowie ihr Schönfärben des Alltags. Stanleys machistischer Kampf um Macht. Und Blanches Scheitern beim Versuch, zu Stanleys Kollegen Mitch Nähe aufzubauen. Denn nicht nur die Bewohner des Trailer-Parks, auch Blanche steckt in einer schöngefärbten Version ihrer selbst fest. Die Szenen seien faszinierend gut geschrieben, die Figuren unglaublich komplex, sagt Foerster in einem Interview im Schwäbischen Tagblatt: „Heutzutage würde Tennessee Williams mindestens für Netflix schreiben.“ Dementsprechend posieren Foersters Figuren stets Social-Media-tauglich – das Handy ein weiterer Körperteil, der dem schönen Schein frönt.
Trotz einer Handlung, die von Dialogen lebt, baut sich Spannung auf. Jedem des siebenköpfigen Ensembles nimmt man seine Rolle ab. Herausragend Franziska Beyer als aasige Blanche, die auf dem Grat zwischen Sympathie und Hochnäsigkeit balanciert. Auch Justin Hibbeler als ‚König Stanley‘ und Emma Schoepe als die in einer suggestiven Traumwelt taumelnde Stella beeindrucken.
Beklemmende Enge
Perfekt wird die Inszenierung durch das Bühnenbild von Miriam Haas: Ihr rosanes Tiny House – im Interview nennt sie es „die kapitalisierte Form der Trailer-Park-Häuser“ – ist aufklappbar. Badewanne neben Schlaf- und Wohnzimmer: eine Enge, die unweigerlich Beklemmung verursacht, und so die Freiheit des mobilen Heims karikiert. Außerdem ist es Barby-rosa, samt Matratze und Kissen aus Styropor. Wie Haas formuliert: „Es sieht alles gut aus – aber fühlt sich richtig scheiße an.“
Der ‚Tiny-House-Traum in rosa‘ ist – natürlich – beweglich und wird zwischen den Szenen von den Schauspielern gedreht. Im Drehen erhascht der Zuschauer durch die Fenster stille Szenen: Stella beim Fensterputzen, Stanley beim Gewichte stemmen, Blanche beim Baden. Die ‚Dreher‘ tragen dabei schrille Masken – und katapultieren so die „Endstation Sehnsucht“ konsequent ins Reich des schrillen Albtraums.