Der 2-Minuten-Beweis: FC Bayern hat ein Nachwuchsproblem unter Kompany
Erst in der Nachspielzeit des Supercups beim VfB Stuttgart (2:1) blinkt die Nummer 42 in Grün auf der kleinen Anzeigetafel des 4. Offiziellen auf. Nein, hier feiert nicht Jamal Musiala sein viel zu schnelles Comeback nach dem bei der Klub-WM zugezogenen Wadenbeinbruch. Der hat seine Nummer auf die legendäre 10 gewechselt. Hier kommt nun Lennart Karl.
Das Münchner Eigengewächs hat die eigentlich so unscheinbare Rückennummer von Musiala übernommen, tritt damit aber auch ein wenig in seine Fußstapfen. Karl soll das nächste Talent sein, das den Sprung beim FC Bayern in die Profimannschaft gelingt.
Karl-Hype beim FC Bayern - aber Kompany drückt auf die Bremse
In der Vorbereitung verdiente sich der 17-Jährige bereits viel Aufmerksamkeit. Sein erster Einsatz bei der Klub-WM, dann ein Traumtor im Testspiel gegen Europa-League-Sieger Tottenham, ein weiterer Treffer gegen die Grasshoppers aus Zürich. Karl scheint in seinen jungen Jahren bereit für mehr.
Die Rufe aus der Fanszene, Karl im ersten Pflichtspiel der Saison sogar von Beginn an spielen zu lassen, wurden zunehmend lauter. Doch bereits vor dem Duell des deutschen Meisters FC Bayern gegen den Pokalsieger VfB Stuttgart drückte Trainer Vincent Kompany auf die Euphoriebremse.
"Wir sind sehr stolz, wenn wir junge Spieler aus dem Campus in die erste Mannschaft bringen können, wie Lennart Karl. Aber nicht nur ihn, wir hatten sogar Spieler aus der U17 vor vier, fünf Monaten nach oben gebracht. Aber natürlich kann nicht jeder immer gleich ein Bayern-Spieler werden", erklärte der Coach auf der Pressekonferenz.
Beim Rekordmeister brauche es Zeit für die erste Elf, so Kompany: "Es kommt auch auf die Position an, nicht jeder kann sofort spielen. Und es ist auch normal, dass nicht jeder ohne Umwege sofort bei den Profis ankommt."
Im ersten Pflichtspiel sendet Kompany ein fatales Zeichen an seine Youngsters
Gegen Stuttgart lässt Kompany seinen Worten gleich Taten folgen - oder eben nicht. Erst in der dritten (von 4) Minuten der Extrazeit lässt er seinen Youngster frei. Es ist ein hitziges, körperbetontes Spiel in Stuttgart. Lange Zeit steht es nur 1:0 für die Münchner. Ist eine Einwechslung von Karl zu riskant? Oder von Youngster Tom Bischof, den die Bayern aus Hoffenheim verpflichteten?
Es ist ein fatales Zeichen des Trainers. Ja, des Kaisers Cups ist ein Titelspiel. Ja, die erste Ausgabe des nach Franz Beckenbauers umbenannten Supercups will man verständlicherweise nach München holen, alles andere wäre Majestätsbeleidigung. Aber es bleibt eben nur der Supercup.
Dass Karl und Bischof in so einem Spiel nur 3 Minuten Action in der Nachspielzeit bekommen, steht im krassen Widerspruch zu der immer wieder betonten neuen Denkweise in München. Weniger teure Transfers, mehr Talenteförderung.
Rummenigge fordert jedes Jahr einen Pavlovic
"Der FC Bayern muss in der Lage sein, in der Zukunft mehr Spieler wie Pavlović oder Stanišić herauszubringen. Idealerweise bringen wir jedes Jahr einen Spieler raus, der es in die erste Mannschaft schafft", sagte Karl-Heinz Rummenigge, Ex-Vorstandsvorsitzender und heutiger Aufsichtsratsboss, im Interview mit der "Welt am Sonntag".
Gerade nach den Offensiv-Abgängen von Kingsley Coman, Leroy Sané, Mathys Tel und Bryan Zaragoza und der verletzungsbedingten langen Ausfallzeit von Musiala haben sich doch Räume für die Münchner Youngsters geöffnet. Einzig Luis Diaz und Tom Bischof kamen als Neuzugänge von außen.
Nick Woltemade wird wohl nicht kommen, Christopher Nkunku könnte noch kommen. Wie stehen dann noch die Chancen von Karl oder einem Jonah Kusi-Asare? Beide gelten als die vielversprechendsten Stars von Morgen - Einsatzzeit garantiert dies aber nicht.
Kompany hat keinen einfachen Job. Er soll den sportlichen Grat zwischen maximalen Erfolg, softem Umbruch und knausrigen Sparkurs meistern. Ein Kunststück. Schwächephasen werden in München nicht geduldet, siehe Thomas Tuchel, Julian Nagelsmann, Niko Kovac und und und.
Der Fall Adam Aznou - fehlt Kompany der Mut?
In der Vorsaison gelang Kompany dieser Grat nicht. Die noch nicht etablierten Youngsters sahen nicht viel Einsatzzeit unter dem Belgier. Dieser bedenkliche Trend setzte sich in den USA bei der Klub-WM fort. Nach dem Auftakt-Kantersieg gegen die Halbamateure von Auckland City (10:0) gab es keinen einzigen Einsatz mehr von Karl, Kusi-Asare oder einem Adam Aznou.
Letzterer wollte daher im Sommer unbedingt weg und wechselte zum FC Everton nach England. Dabei hätte der 19-Jährige eine große Bayern-Baustelle über Jahre füllen können. Doch in der Hackordnung der Außenverteidiger blieb Aznou auch in den USA hinter einem Sacha Boey zurück. Auch hier: was hatte Kompany zu verlieren?
Die Liste der gescheiterten Bayern-Talente ist lang. Viele wurden im Sommer gehyped, viele konnten sich nicht durchsetzen. Viele wechselten, manche schafften woanders den Durchbruch. Teils lag es an der fehlenden Potentialausschöpfung, teils lag es am fehlenden Mut der Trainer. Im Fall Lennart Karl können die Bayern-Fans nur hoffen, dass Kompany seinen Mut findet.