Waffennotstand im Ukraine-Krieg: Das Munitions-Problem drängt

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Die Ukraine fordert Artilleriemunition. Die EU kann ihre Lieferzusagen nicht einhalten. Der Mangel zeigt sich am Ort des Gefechts.

Brüssel – Es war ein Weckruf, jedenfalls ein Versuch. Letzte Woche schickte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell einen gepfefferten Brief an die Außen- und Verteidigungsminister der EU. Die ukrainischen Soldaten seien bereit zu kämpfen, aber sie bräuchten im Ukraine-Krieg mehr Munition, und zwar „dringend und in großen Mengen“. Alle EU-Staaten müssten zusehen, wie sie helfen können. „Nichts tun ist keine Option.“

Der Ton war dringlich, zu Recht. Der Ukraine geht die Munition aus – auf dem Schlachtfeld macht sich das immer mehr bemerkbar. Die gescheiterte Verteidigung der hart umkämpften Stadt Awdijiwka ist nur das jüngste Beispiel: Kiews Truppen mussten sie vor gut einer Woche aufgeben, auch, weil ihnen die Geschosse fehlten, um die Russen fernzuhalten. Präsident Wolodymyr Selenskyj appelliert immer wieder. Für sein Land geht es um das Mindeste: die Frontlinie zu halten. Um das zu schaffen, führt an frischer Munition kein Weg vorbei.

Ukraine braucht im Krieg Artillerie-Munition – Unterstützerkonferenz berät

Die USA fallen als Lieferant allerdings aus – das 60-Milliarden-Dollar-Paket steckt noch immer im Kongress fest. Die EU kann das aus eigener Kraft nicht kompensieren, sie hält nicht mal die schon gemachten Zusagen ein. Von den versprochenen eine Million Schuss Artillerie-Munition wird bis März nur rund die Hälfte geliefert. 524.000 Granaten sind es laut Borrell. Die Million werde erst bis Ende des Jahres voll, heißt es. Laut Schätzungen liegt der Bedarf der Ukraine bei gut zwei Millionen Granaten pro Jahr.

Der gravierende Mangel war auch Thema bei der Unterstützerkonferenz, zu der Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Montag (26. Februar) in Paris rund 20 Staats- und Regierungschefs einlud, darunter Kanzler Olaf Scholz. „Die allgemeine Feststellung heute ist, dass unser aller Sicherheit auf dem Spiel steht“, sagte Macron am Montagabend.

Ursachen bekannt: Kapazitäten ausgelastet durch Munitionsbedarf im Ukraine-Krieg

Immerhin: Ein Erkenntnisproblem gibt es nicht. Die lahmende Munitions-Beschaffung hat gut benennbare Ursachen: Zwar hat die europäische Rüstungsindustrie ihre Produktionskapazitäten gesteigert, aber noch nicht so, dass sie den massiven Bedarf der Ukraine decken könnte.

Mitunter sind die Europäer also darauf angewiesen, eigene Bestände zu plündern oder den Markt abzusuchen. „Wir versuchen, aus aller Herren Länder Munition zu beschaffen“, sagte Christian Freuding, Leiter des Ukrainestabs im Verteidigungsministerium, unlängst dem Spiegel. So leicht, wie das klingt, ist es aber nicht.

Patronenhülsen liegen auf dem ehemaligen ukrainischen Gelände im Dorf Posad Pokrovsky.
Meinungen in der Munitionsdebatte reichen von Diplomatie-Forderung bis hin zur Kritik, die Waffenlieferungen seien nicht ausreichend. © picture alliance/dpa/SOPA Images via ZUMA Press Wire | Ximena Borrazas

Zwar gibt es Staaten, die schnell liefern könnten, allerdings sind es vornehmlich solche außerhalb der EU. Bei ihnen einzukaufen, ist für einige Länder ein Problem. Frankreich pocht etwa darauf, dass EU-Mittel nur für Munition aus europäischer Herstellung ausgegeben wird. Das Geld soll im System bleiben, um die hiesige Industrie zu stärken. Man kaufe schon genug Waffen aus den USA, heißt es.

Selenskyj beklagt künstliches Waffendefizit der EU – Tschechien organisiert eine Million Schuss Munition

So hält es die EU bisher und trägt damit zu jenem „künstlichen Waffendefizit“ bei, das Selenskyj bei der Münchner Sicherheitskonferenz beklagte. Einigen Staaten ist das Korsett inzwischen viel zu eng.

Vor allem Tschechien macht seit einiger Zeit Druck. Präsident Petr Pavel, selbst ein ehemaliger Spitzengeneral der Nato, erklärte kürzlich, rund 800.000 Schuss Artilleriemunition auf dem Weltmarkt aufgetrieben zu haben – darunter eine halbe Million 155-Millimeter-Granaten, das schlagkräftige Standardkaliber der Nato.

Lieferanten sind laut dem Portal Politico unter anderem Südkorea, Südafrika und die Türkei. Offiziell ist das aber nicht, weil sich zumindest die letzteren beiden nicht offen gegen Russland stellen wollen.

Ukraine-Hilfen gegen EU-Tabu – um gegen Russland anzukommen

Dänemark, die Niederlande und Kanada unterstützen den Plan, der laut Pavel den Vorteil hätte, dass die Munition binnen Wochen in der Ukraine sein könnte. Die EU könnte so ihr Versprechen, eine Million Schuss zu liefern, doch einhalten. Vorausgesetzt, die Beschaffung außerhalb der Union wäre kein Tabu mehr.

Ob es so kommt, ob am Ende einzelne Staaten zahlen oder gar nichts passiert? Klar ist nur eins: Im Moment können die Ukraine und ihre Unterstützer mit Russlands Produktions-Tempo nicht mithalten. Moskau stellt nicht nur deutlich mehr Munition her – von vier Millionen Schuss pro Jahr ist die Rede. Es wird auch großzügig beliefert, etwa von Nordkorea. Angeblich können die Kreml-Truppen bis zu 10.000 Artilleriegranaten am Tag abfeuern. Davon kann Kiew nur träumen.

Marcus Mäckler

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