Sanierungsplan für die Deutsche Bahn: Pünktlicher und wirtschaftlicher – Doch zu welchem Preis?

  1. Startseite
  2. Wirtschaft

Kommentare

Laut Verbraucherschützern ist die Kündigungsfrist für die Bahncard der Deutschen Bahn nicht rechtens. Tausende Abos wären von dem Urteil betroffen. © Christoph Schmidt/dpa

Bahnchef Richard Lutz plant eine kurzfristige Sanierung der Deutschen Bahn. Sie soll pünktlicher, effizienter und schlanker werden. Doch über allem schwebt die Kostenfrage.

Schätzen statt berechnen. Kaum war diese kurze Formel Mitte August in die Welt gelangt, prasselte umgehend Häme und Frust auf die Deutsche Bahn nieder. Ein Vorstandsmitglied des Staatskonzerns hatte mit der Süddeutschen Zeitung – anonym und unverblümt – über die fehlende Zuverlässigkeit des Staatskonzerns gesprochen: Ankunftszeiten der Züge würden fortan nicht mehr anhand der zuvor festgelegten Fahrpläne berechnet, sondern nach groben Schätzungen des Konzerns.

Zusammen mit der Nachricht des Verlusts von fast 700 Millionen Euro im ersten Halbjahr 2024 sowie den längst bekannten strukturellen Problemen, wie etwa dem maroden Schienennetz, galt die Deutsche Bahn vielen als Sinnbild des Niedergangs des deutschen Wirtschaftsstandortes.

Deutsche Bahn legt Sanierungsstrategie S3 vor – utopischer Tatendrang oder visionäres Konzept?

Ob geplant oder nicht, machte vor rund einer Woche ein internes Strategiepapier zur Sanierung die Runde – S3 lautet der Name. Offiziell wollte Bahn-Chef Richard Lutz die Maßnahmen, wie der angeschlagene Staatskonzern auf kurze Sicht wieder effizienter laufen könne, erst am 18. September dem Aufsichtsrat vorstellen. Doch die Informationen sickerten schon vorab durch. Laut SZ umfasst der Entwurf überwiegend Zielwerte zu Problemfeldern wie Pünktlichkeit oder Wirtschaftlichkeit, die Lutz bereits für 2024 versprochen hatte. Und dennoch: Dass der Entwurf nun bereits vorab publik wurde, könnte auch eine andere Botschaft aussenden: Tatendrang. Inhaltlich ist der Umsetzungszeitraum bis 2027 ausgelegt und sieht gleich drei Schnellmaßnahmen vor.

  1. Die Züge im Fernverkehr sollen eine Pünktlichkeitsquote von 75 bis 80 Prozent erfüllen. Aktuell liegt diese bei circa 60 Prozent.
  2. Der Betriebsgewinn (Ebit) soll auf zwei Milliarden Euro steigen. Im Jahr 2023 verzeichnete der Konzern ein Minus von rund 1,3 Milliarden Euro. Für 2024 hat die Bahn mit einem Plus von 1,3 Milliarden Euro geplant.
  3. Die Anzahl der „Lost units“ von aktuell 6.100 auf 4.900 verringern. „Lost units“ sind jene „verlorenen Einheiten“, in denen zwischen zwei Messpunkten auf einer Bahnstrecke Verspätungen von mehr als 90 Sekunden auftreten.

Deutsche Bahn: Mit Künstlicher Intelligenz gegen Verspätungen und Streckenschäden

Um die Punkte eins und drei umzusetzen, sind kurzfristige Streckenmodernisierungen und die schnelle Beendigung verschiedener Bauprojekte im Infrastrukturnetz notwendig. Davon bleiben aber die 41 großen Sanierungsprojekten in Deutschland vorerst unberührt – hier verläuft der Zeithorizont langfristig und die Bahn rechnet mit einem neuen, modernen Streckennetz erst ab 2030. Wie also die bessere Pünktlichkeit und die Verringerung der „Lost units“ trotzdem umgesetzt werden sollen, dürfte auch den nun tagenden Aufsichtsrat beschäftigen.

Laut Daniela Gerd tom Markotten, Digitalvorständin der Bahn, setze der Konzern derzeit verstärkt auf Künstliche Intelligenz, um etwa die „Störanfälligkeit der Infrastruktur“ und jene der Züge zu verringern. Auch bei der Instandhaltung der Züge sowie der Strecken könne diese Muster erkennen, um etwaige Schäden frühzeitig zu lokalisieren, erklärte sie im Gespräch mit der Welt.

Personalkosten der Bahn liegen 6,3 Milliarden Euro über dem Soll – 30.000 Jobs stehen wohl auf der Kippe

Ein Eckpfeiler des S3-Plans für eine bessere Wirtschaftlichkeit setzt dagegen klar auf eine Überholung des Personalbereichs – offenbart aber nebst allen Zukunftsvisionen auch aktuelle Fehlkalkulation: So stiegen die erwarteten Kosten von rund 28 Milliarden Euro im Jahr 2024 auf 34,3 Milliarden Euro an. Speziell in den Bereichen Verwaltung und Vertrieb sollen künftig 20 Prozent der Beschäftigten eingespart werden. Insgesamt stünden bis 2030 rund 30.000 Arbeitsplätze auf dem Prüfstand – überwiegend jene, die durch Digitalisierung ohnehin langfristig obsolet werden würden.

Dass dieser Bereich – unabhängig vom Personal – dringend sanierungsbedürftig ist, hatte zuletzt ein durchaus kritischer Bericht des Südwestdeutschen Rundfunks (SWR) gezeigt.

Veraltete Stellwerke und Signaltechnik – Sanierung stellt Bahn vor die Kostenfrage

Viele Stellwerke verwenden noch veraltete Technik, heißt es dort. Und auch der Verkehr auf den Schienen läuft noch immer ohne moderne europäische Leittechnik, dem European Train Control System (ETCS). Diese ermöglicht automatisierte Kommunikation zwischen den Zügen und sorgt für mehr Genauigkeit sowie eine bessere Echtzeit-Datenlage. Langfristig soll ETCS die nicht mehr ganz zeitgemäße und störanfällige Signaltechnik ersetzen. Würde auf der einen Seite die Effizienz deutlich steigen, stehen demgegenüber horrende Investitions-Kosten für die Bahn – inklusive Sanierungen an Gleisen und Zügen.

Derzeit überlegt der Konzern laut Bericht daher auf eine günstigere Technik aus den 1990er Jahren zurückzugreifen – um angesichts der weiteren Großprojekte Kosten zu einzusparen.

DB-Vorständing Gerd tom Markotten zur Infrastruktur: „Auf das Notwendige konzentrieren“

DB-Vorständin Gerd tom Markotten fehlt bei dieser Diskussion die Ausgewogenheit. Sie verweist in der Welt auf die Sanierung der maroden Infrastruktur. Eine echte „Mammutaufgabe“, bei der es Prioritäten einzuhalten gelte: „Dabei müssen wir uns auf das Notwendige konzentrieren. Wir nehmen uns das zuerst vor, wo wir die größtmögliche Wirkung erzielen.“ Immerhin bekommen im Zuge des Sanierungsplans alle Hochleistungskorridore, die bis 2027 modernisiert werden, den ETCS-Standard.

Ein weiteres Feld für Einsparungen soll eine höhere Effizienz in der Ressourcennutzung öffnen. Lutz verspricht etwa mehr Pendlerverbindungen, mehr (schnellere) Sprinter sowie ein effektives ausgelastetes Streckennetz. Dafür werde man die Wendezeiten der Züge verkürzen und den ICE-Fuhrpark in volle Auslastung bringen. Gegenüber der Tagesschau erklärte im Zuge des Strategiepapiers ein Bahnsprecher, dass man den Fortschritt nach „festen Zielen messen“ wolle: „Wir brauchen in Deutschland und für die DB die Trendwende zum Positiven für unsere Kundinnen und Kunden.“

Auch interessant

Kommentare