Rente, Migration, Russland: Das will die neue Wagenknecht-Partei

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Alle Blicke auf Sahra Wagenknecht: die ehemalige Fraktionschefin der Linken bei der Vorstellung der Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht – für Vernunft und Gerechtigkeit“ (BSW) in der Bundespressekonferenz. © Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Die neue Wagenknecht-Partei steht vor allem für eines: Sahra Wagenknecht. Ein großes Parteiprogramm fehlt, doch erste „linkskonservative“ Ansätze gibt es.

Berlin – Am Montag protestierten Tausende Bauern im ganzen Land gegen die Politik der Bundesregierung. Auch in Berlin, wo zeitgleich Sahra Wagenknecht zur Vorstellung ihrer neuen Partei lud: „Bündnis Sahra Wagenknecht – für Vernunft und Gerechtigkeit“. Dabei kritisierte auch die ehemalige Linke-Politikerin die aktuellen politischen Entscheider für die Lage im Land, für „Wut, Protest und Denkzettelwahlen“, wie sie sagte: „Wir haben die Partei gegründet, damit diese falsche Politik, die Unfähigkeit, die Arroganz des Berliner Regierungsbezirks überwunden werden kann.“

Das BSW – der Name soll sich später noch verändern – fungiert als Sammelbecken für Frustrierte. Rechts oder Links? Diese Begriffe seien überholt, hieß es. Wichtig sei, dass es eine Alternative zur aktuellen Politik gebe. Wofür aber die neue Partei stehen soll, blieb auch am Montag vage. „Programmatisch haben wir Ihnen heute nicht so viel Überraschendes anzubieten“, sagte Wagenknecht bereits im fünften Satz ihres Eingangsstatements. Das bisherige Parteiprogramm umfasst gerade einmal vier Seiten. Der erste Parteiaufschlag ist ein Mix aus klassischer linker Politik, garniert mit konservativen Ansichten. Nicht umsonst bezeichnet sich Wagenknecht selbst als „linkskonservativ“. Im Kern geht es um folgende Oberthemen:

  • Wirtschaftliche Vernunft: „Für eine starke und innovative Wirtschaft“
  • Soziale Gerechtigkeit: „Für starken gesellschaftlichen Zusammenhalt“
  • Frieden: „Für ein neues Selbstverständnis in der Außenpolitik“
  • Freiheit: „Für die Stärkung unserer Demokratie“

Wirtschaft: gerechteres Steuersystem, stärkerer Mittelstand und Annäherung an Russland

Das BSW strebt nach einer „innovativen Wirtschaft mit fairem Wettbewerb, gut bezahlten, sicheren Arbeitsplätzen, einem hohen Anteil industrieller Wertschöpfung, einem gerechten Steuersystem und einem starken Mittelstand“. Außenpolitisch solle Deutschland auf Handelsbeziehungen „mit möglichst vielen Partnern“ setzen statt auf „ausufernde Sanktionen“, die die Energieversorgung gefährdeten. Dementsprechend sollen die Russlandsanktionen gelockert werden.

Zum Bereich Wirtschaft zählt die Partei auch die Umweltpolitik. Klimaveränderungen werden als „ernste Herausforderungen“ beschrieben, die man nicht ignorieren dürfe. Kontraproduktiv seien jedoch „blinder Aktivismus und undurchdachte Maßnahmen“. Das wirksamste Mittel zur Bekämpfung des Klimawandels seien „innovative Schlüsseltechnologien“, am besten made in Germany.

Gleichzeitig fordert das BSW „massive Investitionen“ in das Bildungssystem, in die öffentliche Infrastruktur sowie in die Verwaltungen. Woher das Geld für diese Investitionen kommen soll, ist unklar. Noch hat das BSW den Luxus, die Probleme im Land nur benennen zu müssen. Der Vorteil: Wenn von einer „blamablen Verfassung“ der Bundesrepublik die Rede ist und dann marode Straßen, Funklöcher, unpünktliche Züge, fehlende Wohnungen oder überforderte Verwaltungen aufgezählt werden, kann man nur schlecht widersprechen.

Soziales: stärkere Renten, bessere Löhne, mehr Tarifverträge

Die Sozialpolitik des BSW ist klassisch links. Die Wagenknecht-Partei kritisiert finanzielle Ungleichheit, fehlende Kitaplätze, „demütigend gering ausfallende Renten“ und steigende Lebenshaltungskosten. Gegensteuern will das BSW mit „leistungsgerechten Löhnen, sicheren Arbeitsplätzen und guten Arbeitsbedingungen“. Konkret heißt das etwa, ein stärkerer Fokus solle auf Tarifverträge gelegt werden.

Die soziale Gerechtigkeit sei ins Wanken geraten, wie es auf der Pressekonferenz hieß. Wer heute arm sei, bleibe arm. Wer reich sei, reich. Im Parteiprogramm steht dazu: „Der persönliche Wohlstand darf keine Frage der sozialen Herkunft, sondern muss das Ergebnis von Fleiß und individueller Anstrengung sein.“ Ferner spricht sich das Bündnis gegen die Privatisierung im Wohn-, Pflege- und Gesundheitsbereich aus. Gemeinnützige Anbieter sollten in diesen Branchen Vorrang haben.

Frieden: Keine Waffenlieferungen, keine deutschen Soldaten in Kriegsgebiete

Die Außenpolitik des BSW soll sich an dem früheren SPD-Kanzler Willy Brandt und dem letzten Präsidenten der Sowjetunion Michail Gorbatschow orientieren: „eine Politik der Entspannung, des Interessenausgleichs und der internationalen Zusammenarbeit.“ Heißt: Diplomatie statt Waffenlieferungen, wie Wagenknecht schon beim „Aufstand für Frieden“ mit Alice Schwarzer betont hatte. „Die Lösung von Konflikten mit militärischen Mitteln lehnen wir grundsätzlich ab“, heißt es im Programm. Das bedeutet auch atomare Abrüstung und eine geringere Präsenz der Bundeswehr. Diese müsse zwar für den Verteidigungsfall angemessen ausgerüstet sein, solle sich aber an internationalen Kriegen fernhalten – auch „an der russischen Grenze oder im Südchinesischen Meer“.

Immer wieder kritisieren Wagenknecht-Anhänger die Nato sowie die USA. Zum Thema Frieden steht geschrieben: „Unser Ziel ist ein eigenständiges Europa souveräner Demokratien in einer multipolaren Welt und keine neue Blockkonfrontation, in der Europa zwischen den USA und dem sich immer selbstbewusster formierenden neuen Machtblock um China und Russland zerrieben wird.“

Freiheit: Konservative Migrationspolitik – „Migration ist nicht Lösung für die Armut der Welt“

In der Vergangenheit sah sich Wagenknecht immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, sie biedere sich AfD-Anhängern an. Im Parteiprogramm heißt es dazu: „Rechtsextreme, rassistische und gewaltbereite Ideologien jeder Art lehnen wir ab.“ Der Freiheitsaspekt des BSW ist insgesamt aber klar konservativer als der von der Linken. Denn ebenso „unvereinbar mit den Grundsätzen einer freien Gesellschaft“ seien auch „Cancel Culture, Konformitätsdruck und die zunehmende Verengung des Meinungsspektrums“. Mehrmals ist auch vom Vorschreiben der Sprache die Rede. Der Begriff „Gendern“ fällt im Programm nicht, Wagenknecht hatte sich aber mehrmals öffentlich gegen das Gendern, das auch die Mehrheit der Bevölkerung ablehnt, positioniert.

Das BSW spricht sich gegen unkontrollierte Migration aus. Zuwanderung sei nur solange eine Bereicherung, bis „der Zuzug auf eine Größenordnung begrenzt bleibt, die unser Land und seine Infrastruktur nicht überfordert“. Wann das geschieht, bleibt unklar. Wer in seiner Heimat politisch verfolgt werde, habe Anspruch auf Asyl. „Aber Migration ist nicht die Lösung für das Problem der Armut auf unserer Welt.“ Stattdessen müssten die Perspektiven in den Heimatländern verbessert werden. Ein konservativerer Ansatz, der dem der Linken klar widerspricht.

Sahra Wagenknecht und ihr neues Team (l-r): Generalsekretär, Christian Leye, Co-Chefin Amira Mohamed Ali, der stellvertretende Vorsitzende Shervin Haghsheno sowie die beiden Spitzenkandidaten für die Europawahl Thomas Geisel und Fabio de Masi.
Sahra Wagenknecht und ihr neues Team (l-r): Generalsekretär Christian Leye, Co-Chefin Amira Mohamed Ali, der stellvertretende Vorsitzende Shervin Haghsheno sowie die beiden Spitzenkandidaten für die Europawahl Thomas Geisel und Fabio de Masi. © Bernd von Jutrczenka/dpa

Vieles ist also noch unklar. Ein „detailliertes Parteiprogramm“ soll bis zur Bundestagswahl 2025 erarbeitet werden. Geht es nach Wagenknecht, sollen dafür auch externe Expertenräte aus der Bevölkerung einbezogen werden. „Denn anders als andere Parteien wollen wir die Programmatik gemeinsam mit denen entwickeln, die von den Problemen im Land in ihrem Alltag betroffen sind und die oft besser als hauptamtliche Politiker wissen, welche Veränderungen ihnen wirklich helfen würden.“ Zuvor sollen konkretere Programme für die Europawahl sowie die drei Landtagswahlen im Osten stehen. Bis dahin bleibt die neue Wagenknecht-Partei bleibt aber erstmal eine politische Wundertüte. (as)

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