Israelis halten Netanjahu mehrheitlich für „ungeeignet“ – Ein Nachfolger steht schon bereit
Israels Regierungschef war schon vor dem Gaza-Krieg unbeliebt. Es deutet sich eine krachende Wahlniederlage nach dem Krieg an. Benny Gantz könnte einen Erdrutschsieg erreichen.
Tel Aviv – Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahus Umfragewerte rauschen in den Keller. Dem Ultrakonservativen wird eine Mitverantwortung an den Sicherheitslücken, durch die Massaker der islamistischen Hamas ermöglicht wurden, gegeben. Die öffentliche Meinung drehte sich so weit gegen ihn, dass gut 60 Prozent der Befragten Israelis ihn bereits kurz nach Kriegsbeginn in mehreren Umfragen als „ungeeignet“ für sein Amt bezeichneten. Keine Woche nach den Massakern in Südisrael brachte sich bereits sein etwaiger Nachfolger in Stellung: Der ehemalige Verteidigungsminister Benny Gantz, ein Liberal-Konservativer, könnte es werden.
Netanjahus Konkurrent Benny Gantz: Ein beliebter liberal-konservativer Ex-General
Der Eintritt in Netanjahus Kriegskabinett und die langjährige Erfahrung als Generalstabschef und zuvor Heeresoberbefehlshaber macht Benny Gantz zu einem Politiker, der in Kriegszeiten als Stabilitätsfaktor wahrgenommen wird. So wäre zumindest eine Lesart einer Umfrage, der Zeitung Ma‘ariv, in denen eine Mehrheit der Israelis ihn für einen besseren Regierungschef hält. Gantz steht eine andere Politik als der Amtsinhaber, wenn auch keine völlig unterschiedliche: Im Wahlkampf bekannte Gantz sich klar zur Demokratie und Rechtsstaat in Israel. Netanjahu hingegen wird man an der Wahlurne kaum verzeihen, dass er mit dem Abbau von Beidem beschäftigt war, als die Hamas in Israel einfiel.
Andererseits bekannte sich Gantz zu Siedlungen im Westjordanland und der Besatzung der syrischen Golanhöhen. Sozialpolitisch wurde sein Programm von manchen als Mitte-Links beschrieben: Markteingriffe gegen die hohen Wohnkosten und einen starken Ausbau des Gesundheitssystems forderte er damals. Beide Probleme liegen in der Verantwortung des Langzeitregierungschefs Benjamin Netanjahu.

Umfragen: Netanjahu rauscht ab, Gantz vervierfacht seine Mandatszahl beinahe
Aktuell ist Gantz‘ Partei Teil der Notstandsregierung Netanjahus, der Parteichef grenzt sich allerdings auch scharf ab. So hatte er sich im Haushaltsstreit Ende November klar gegen die Pläne der rechtsradikalen Koalitionspartner Netanjahus gestellt, mehr Geld in ultraorthodoxe Schulen und Siedlungen im Westjordanland zu stecken. Er setzt also auf Opposition innerhalb einer Regierung der nationalen Einheit.
In einer Umfrage des Boulevardblatts Ma‘aariv könnte Benny Gantz den Anteil seiner Partei „Widerstandskraft für Israel“ im israelischen Parlament Knesset von 12 auf 43 Mandate fast vervierfachen. Die absolute Mehrheit wären 61 der 120 Mandate. Netanjahus Likud-Partei würde von 32 auf 18 Mandate abstürzen. Die Partei des rechtsradikalen Finanzministers Bezalel Smotrich flöge sogar aus dem Parlament. Die Partei des rechtsextremen Sicherheitsministers Itamar Ben-Gvir würde ihre 7 Mandate behalten können.
Die drei restlichen Parteien des rechtsreligiösen Lagers kämen auf 24 Mandate. Der liberale Oppositionsführer Jair Lapid käme nur noch auf 13 statt 24 Mandate. Und die in den letzten Jahren völlig marginalisierte israelische Linke könnte ihre Mandate mit der Rückkehr der Partei Meretz im Knesset auf 10 Mandate verdoppeln.
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Neuwahlen nach dem Gaza-Krieg wahrscheinlich
Und Neuwahlen nach Ende des Gaza-Kriegs scheinen wahrscheinlich: Anfang November berichtete die Jerusalem Post, der israelische Sicherheitsexperte und ehemalige Netanjahu-Vertraute Yakoov Amidror fordere Neuwahlen nach dem Krieg. Ende November ergab eine Umfrage unter Mitgliedern von Netanjahus Likud-Partei, er habe nur noch 70 Prozent der Befragten hinter sich.
Schon vor Kriegsbeginn standen die Umfragen gegen Netanjahu, berichtete die Times of Israel. Das hängt auch mit der israelischen Demokratiebewegung zusammen: Hunderttausende demonstrierten seit Januar 2023 wöchentlich gegen Netanjahus Justizreform, mit der er das israelische Höchstgericht entmachten und, wie Kritiker sagen, sich gegen Korruptionsermittlungen abschirmen wollte. All das wird wieder aufbrechen, wenn die Waffen in Gaza einmal schweigen.
Der Bewegung ging es schon damals ums Ganze. Ihr Kopf, Tech-Unternehmer Moshe Radman, sagte seinerzeit dem Spiegel: „Will man ein radikal-religiöses, faschistisches Land, dann steht man auf der Seite der Regierung. Will man aber ein liberal-pluralistisches Land, das jüdische und demokratische Elemente in sich trägt, dann muss man sich auf unsere Seite stellen.“ Hinzu kommt nun, dass viele Israelis sich seit Beginn des Krieges von der Netanjahu-Regierung dem Terror der Hamas ausgesetzt fühlen. (kb)