FDP „stand noch nie so nahe vor dem Abgrund“: Experte hält Jamaika rückblickend für bessere Wahl

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Wäre die FDP in einer Jamaika-Koalition besser dran als mit der Ampel? Es brodelt in der FDP. „Ein falscher Schritt und die FDP ist Geschichte.“

Am 20. November 2017 traf Christian Lindner eine wegweisende Entscheidung: Nachdem die FDP vier Wochen mit Union und Grünen über eine Jamaika-Koalition verhandelt hatte, beendete Lindner die Gespräche. Ein Satz ging dabei in die jüngere Politikgeschichte ein: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“

Derzeit regiert die FDP. Bekanntlich aber nicht in einer Jamaika-, sondern einer Ampel-Koalition mit SPD und Grünen. Die Regierung ist historisch unbeliebt – und die FDP eilt von Wahldebakel zu Wahldebakel. Bei der Brandenburg-Wahl waren es 0,83 Prozent. Erste Parteigrößen sprechen ganz offen vom Ende der Ampel. Bleibt die Frage: Wäre die FDP in einer Jamaika-Koalition besser dran? Ja, sagt der Politikwissenschaftler Jürgen Falter von der Uni Mainz.

Jamaika-Koalition für FDP besser als Ampel? „Mit hoher Wahrscheinlichkeit“

„Meiner Ansicht nach würde die FDP in einer Jamaika-Koalition nicht so schlecht dastehen, wie sie das als Teil der Ampelkoalition derzeit tut“, sagt Falter IPPEN.MEDIA. Die SPD hatte die Bundestagswahl 2021 gewonnen, ein Jamaika-Bündnis unter CDU-Führung galt aber zumindest kurzzeitig als mögliche Option. Für die FDP hätte das Vorteile gehabt, meint Falter. „Zwar gäbe nach wie vor den Grundkonflikt mit den Grünen, der aus einem unterschiedlichen Politikverständnis resultiert.“

Doch: „Weggefallen wäre der permanente Konflikt mit den Sozialpolitikern der SPD, die Auseinandersetzung über eine stetige kostenintensive Ausdehnung des Sozialstaats auf der einen und dem Streben nach Haushaltsdisziplin und der Einhaltung der Schuldenbremse auf der anderen Seite.“ Einzelne SPD-Politiker wollen die Schuldenbremse reformieren, Lindner vehement daran festhalten.

Professor Jürgen Falter (Uni Mainz)
Professor Jürgen Falter (Uni Mainz) sieht die FDP in schwierigen Zeiten. Wäre es mit Jamaika besser geworden? „Mit hoher Wahrscheinlichkeit“ © IMAGO / Hoffmann

Falter ist überzeugt: „Mit der Union hätte es vermutlich deutlich weniger Reibungsflächen gegeben, das gilt sowohl für die Wirtschafts-, als auch mit Abstrichen für die Haushaltspolitik.“ Die FDP hatte bereits mehrfach mit der Union koaliert, zuletzt von 2009 bis 2013 in einer schwarz-gelben Koalition unter Angela Merkel.

Nach der Bundestagswahl sagte Lindner folgendes: „Mit der Union haben wir die größten inhaltlichen Überschneidungen. Das hat sich auch in unseren Gesprächen bestätigt. Für uns bleibt eine Jamaika-Koalition eine inhaltlich tragfähige Option.“ Sein Einschnitt: „Allerdings werden in der Öffentlichkeit Regierungswille und Geschlossenheit der Unionsparteien diskutiert.“ Die Union versank im Chaos, Armin Laschet schien kein geeigneter Kanzler – und Lindner sowie die FDP entschieden sich für die Ampel. Ein Fehler?

Durch eine Zusammenarbeit mit der Union „wären bestimmte gesellschaftspolitische „Modernisierungen“ wie die Wahl des Geschlechts schon bei Jugendlichen der Anhängerschaft der FDP wohl erspart geblieben“, meint Falter. Diese Reform sei mit der Union kaum zu verabreden gewesen.

Christian Lindner und Wolfgang Kubicki (beide FDP).
FDP-Chef Christian Lindner (r) und sein Vize Wolfgang Kubicki. © IMAGO / Political-Moments (Archivfoto)

Haushalt als Knackpunkt: Entscheidung über Ampel-Zukunft im November?

Die Ampel steht derzeit enorm unter Druck: Die FDP rangiert in Umfragen unter fünf Prozent, der Bundeskanzler ist notorisch unbeliebt und die Grünen sind nach dem Rücktritt der gesamten Parteispitze vor allem mit sich selbst beschäftigt. „Ich kann mir vorstellen, dass die Koalition noch bricht“, meint Falter. „Und es wird dann wohl die FDP sein, die das Regierungsbündnis aufkündigt. Der Druck der FDP-Basis kann jetzt so groß werden, dass die Partei die Ampel verlässt, um wenigstens eine Chance zu haben, zu überleben.“

Denn: „So dicht wie jetzt stand die FDP noch niemals vor dem Abgrund. Ein falscher Schritt und die FDP ist Geschichte.“ Erste Politiker wie Bayerns FDP-Chef Martin Hagen fordern öffentlich das Ende der Koalition. FDP-Parteivize Wolfgang Kubicki sagte, er gehe nicht davon aus, „dass bei der jetzigen Performance diese Koalition Weihnachten noch erreicht.“ Die Zukunft der Ampel entscheidet sich zuvor. Im November steht der Haushalt 2025 auf dem Programm. Kann die Ampel hier ihren Streit nicht beilegen, droht der Regierung das vorzeitige Aus. Es soll in der FDP-Parteispitze bereits konkrete Gespräche zu einem Ausstiegsszenario im November geben.

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