Rollstuhl, Kinderwagen, Fahrrad: Busfahrer erklärt, wer Vorrang hat

Es gibt Momente während meiner Schicht, da schaue ich an der Haltestelle und sehe ein kleines Stück Alltag unserer Gesellschaft: eine Mutter mit Kinderwagen, ein älterer Herr mit Rollator, ein Jugendlicher mit Fahrrad und eine Rollstuhlfahrerin, die versuchen, ihren Platz zu bekommen.

Alle haben das gleiche Ziel: Von A nach B zu kommen und doch treffen hier ganz unterschiedliche Bedürfnisse auf engstem Raum zusammen.

Als Busfahrer bin ich mittendrin. Ich höre die Seufzer, spüre die Ungeduld, sehe die Unsicherheit. Aber auch die kleinen Gesten, in denen Menschen einander helfen, ohne ein Wort zu verlieren. Der Linienbus ist mehr als ein Fahrzeug. Er ist Treffpunkt, sozialer Raum und manchmal ein Prüfstand dafür, wie gut wir miteinander auskommen.

Gerade der Mehrzweckbereich im Bus, der eigentlich alls Mobilitätshilfe zugutekommt, zeigt jeden Tag, wie eng Rücksicht, Regeln und Kommunikation zusammenhängen.

Konfliktzone Mehrzweckbereich: Wo Regeln und Realität kollidieren

Jeder moderne Linienbus hat eine Mehrzweckfläche für Rollstühle, Rollatoren und Kinderwagen. Fahrräder dürfen ebenfalls mit, solange genügend Platz vorhanden ist.

Konflikte entstehen oft dann, wenn der Bus voll ist. Zu Schulbeginn oder in der Hauptverkehrszeit, wenn die Stellfläche schon belegt ist oder wenn Haltestellen nicht barrierefrei sind. Dann sitze ich vorn am Steuer und muss innerhalb weniger Sekunden entscheiden, was möglich und sicher ist. Nicht immer sind diese Entscheidungen beliebt, aber sie sind notwendig.

Das ist klar geregelt und gesetzlich verankert. Sie nutzen den einzigen sicheren Stellplatz im Bus, und ihre Mitnahme darf nicht verweigert werden, solange der Platz frei ist. Ist der Platz jedoch schon belegt, darf ich eine weitere Person im Rollstuhl nicht mitnehmen. Sicherheit hat immer Vorrang vor dem Beförderungsanspruch.

Dennoch sehe ich häufig, dass Stellflächen durch Kinderwagen, Rollatoren oder Fahrräder blockiert sind, oder Fahrgäste unsicher sind, ob genügend Platz vorhanden ist. Das kann die Fahrt für Rollstuhlnutzende trotz Vorrang stressig machen.

Kinderwagen, Rollatoren und Fahrräder: Alltagsmobilität mit Herausforderungen

Für Eltern mit Kinderwagen ist der Bus Alltag: Aber ein Kinderwagen braucht Raum und muss gesichert stehen, ohne Fluchtwege zu blockieren. Wenn ein Rollstuhl einsteigen möchte, müssen Kinderwagen den Stellplatz freimachen, was nicht immer leicht zu verstehen ist.

Viele Eltern erleben so stressige Situationen, vor allem wenn mehrere Kinderwagen gleichzeitig unterwegs sind oder andere Fahrgäste wenig Verständnis zeigen. Ein bisschen Rücksichtnahme und Kommunikation würde oft schon helfen.

Seniorinnen und Senioren mit Rollatoren benötigen ebenfalls mehr Raum. Sie brauchen Zeit beim Ein- und Ausstieg, müssen sich sicher aufstellen können und fühlen sich schnell eingeengt, wenn andere Mobilitätshilfen den Zugang blockieren. Ich versuche, ihnen zu helfen, so gut es der Fahrplan erlaubt, doch ohne freie Stellfläche geht es nicht.

Fahrräder sind in den meisten Verkehrsverbünden willkommen, aber immer nachrangig. Sie dürfen nur mit, wenn ausreichend Platz ist, und können jederzeit von der Mitnahme ausgeschlossen werden, wenn Sicherheitsrisiken bestehen. Das führt oft zu Frust bei Radfahrenden, denn ihre Mitnahme ist unvorhersehbar und niemals garantiert.

Martin Binias, bekannt als „Herr Busfahrer“, ist Influencer und aktiver Busfahrer. Mit Humor und Reichweite macht er den ÖPNV nahbar, schafft Verständnis für den Berufsalltag und wurde mehrfach ausgezeichnet. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.

Für uns als Fahrpersonal ist das tägliche Abwägen eine Herausforderung: Wir müssen schnell entscheiden, wer Platz bekommt, gleichzeitig freundlich bleiben, Ein- und Ausstieg unterstützen und Konflikte lösen.

Wir sind für die Sicherheit aller Fahrgäste verantwortlich, und unsere Entscheidungen beruhen auf den Beförderungsbedingungen und gesetzlichen Vorgaben. Wir wünschen uns vor allem eines: dass Fahrgäste unsere Verantwortung verstehen und Rücksicht nehmen.

Auch Verkehrsunternehmen stehen vor schwierigen Aufgaben. Sie wollen barrierefreie, moderne und sichere Beförderung bieten, stoßen aber an die Grenzen der Technik: Die Stellflächen im Bus sind begrenzt. Deshalb arbeiten viele Unternehmen an Lösungen wie Niederflurbussen mit Rampen, gut sichtbaren Piktogrammen, barrierefreien Haltestellen, Schulungen für Fahrerinnen und Fahrer sowie Informationskampagnen über Vorrangregeln.

Fachleute empfehlen zudem größere Mehrzweckbereiche und digitale Anzeigen zur Auslastung. Wenn der Mehrzweckbereich voll ist, gilt eine klare Reihenfolge: Zuerst Rollstühle, dann Rollatoren und Kinderwagen, zuletzt Fahrräder. Ist kein Platz mehr frei, bleibt oft nur die Möglichkeit, auf den nächsten Bus zu warten. Als Fahrer bin ich verpflichtet, die Mitnahme zu verweigern, wenn die Sicherheit nicht gewährleistet ist, egal wie ungeduldig jemand ist.

Ein faires Miteinander kann gelingen, wenn alle an einem Strang ziehen. Fahrgäste können Platz machen, miteinander kommunizieren, Kinderwagen und Rollatoren sichern und Vorrangregeln respektieren.

Fahrpersonal kann klare Ansagen machen, Entscheidungen ruhig erklären und beim Ein- und Ausstieg unterstützen. Verkehrsunternehmen können für gute Beschilderung sorgen, über Regeln aufklären und barrierefreie Angebote ausbauen.

Mobilität gelingt nur gemeinsam

Der Linienbus ist ein Spiegel unserer Gesellschaft. Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen teilen sich einen begrenzten Raum. Rollstühle haben rechtlich Vorrang, aber selbst ihre Mitnahme ist an Bedingungen geknüpft. Kinderwagen, Rollatoren und Fahrräder bringen zusätzliche Dynamik in den Alltag, und Konflikte entstehen schnell, wenn Platz knapp ist.

Damit der Bus ein Ort bleibt, an dem Mobilität für alle möglich ist, braucht es klare Regeln, gegenseitiges Verständnis, Rücksichtnahme und moderne Infrastruktur. Aus meiner Sicht als Busfahrer gilt:

Wer aufmerksam ist, miteinander spricht und ein wenig Geduld zeigt, macht den Bus zu einem sicheren und inklusiven Raum für alle.