„Bravo, Deutschland“: Im Ausland bekommt Merz bemerkenswert viel Lob

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Das Ausland feiert die laxe Schuldenpolitik der designierten Regierung. Die Erwartungen an Deutschland als Wirtschaftsmotor sind hoch - und könnten enttäuscht werden.

Washington - Deutschland bekommt für seine Schuldenpolitik viel Anerkennung aus dem Ausland. Die Bereitschaft, sich in einem Rekordmaß zu verschulden wird als Zeichen gewertet, dass Deutschland bereit ist, in Zukunft mehr Verantwortung zu übernehmen. „Bravo“, rief Kristalina Georgiewa, die Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF) bei der IWF-Frühjahrstagung, berichtet die Welt. „Deutschland ist gerade sehr beliebt“, sagte Georgiewa demnach. Es gebe gerade in Europa viel Jubel über die Entscheidung, mehr Schulden für Verteidigung und Infrastruktur machen zu wollen. So werde doch erwartet, dass davon die gesamte Wirtschaft des Kontinents profitiere.

Merz und seine Schulden: Die Ausgabenpläne werden als Zeichen der Verantwortung gewertet

Immer wieder wurde in Washington über die Schuldenpläne der künftigen Regierung gesprochen – mal anerkennend, mal ungläubig, immer positiv. Bundesbankpräsident Joachim Nagel berichtete laut Welt davon, dass er noch nie so viel Lob bekommen habe für Deutschland. Die Ausgabenpläne würden im Ausland als Zeichen wahrgenommen, dass Deutschland wieder stärker Verantwortung übernehmen wolle.

Die Erwartungen im Ausland sind hoch, das Enttäuschungspotenzial aber auch. Denn wie groß der wirtschaftliche Effekt tatsächlich sein wird, ist wenige Tage vor dem Regierungswechsel vollkommen offen. Das fängt beim Bundeshaushalt an. Die künftigen Koalitionäre von CDU, CSU und SPD müssten sich sehr zügig darauf einigen, wie die vorhandenen und neuen Mittel verteilt werden.

Der Koalitionsvertrag enthält zwar viele Ideen. Doch statt klarer Absprachen flüchtete man sich bei den Koalitionsverhandlungen in die Formulierung, alle Maßnahmen stünden unter Finanzierungsvorbehalt. Auch der Wirtschaftsplan für das neue „Sondervermögen“ Infrastruktur beispielsweise muss erst erstellt werden, bevor nur ein Euro aus dem 500-Milliarden-Topf verplant, geschweige denn ausgegeben werden kann.

Auf Merz kommen schwierige Verhandlungen zu: Bundesländer wollen mitmischen

Hinzu kommt: Wenn es um Einnahmen und Ausgaben geht, haben oft auch die Bundesländer mitzureden. Das gilt beispielsweise für den von Schwarz-Rot geplanten Investitionsbooster, mit dem Unternehmen direkt 30 Prozent der Anschaffungskosten abschreiben können sollen.

Dieser würde Unternehmen schnell mehr Liquidität bringen, die Länder müssten aber genauso wie der Bund zunächst mit weniger Steuereinnahmen auskommen. Schon das sogenannte „Wachstumschancengesetz“ der Ampel-Regierung war winzig, als es Anfang 2024 aus dem Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat wieder draußen war.

Eine der Kernfragen lautet, ob überhaupt nennenswert mehr Geld für Verteidigung und Infrastruktur ausgegeben wird. Vielfach ist der Eindruck entstanden, dass die neuen Sondertöpfe dafür genutzt werden könnten, um Lücken im Haushalt zu stopfen und ausreichend Mittel für die Finanzierung von Wahlgeschenken zu haben – für die Ausweitung der Mütterrente oder die neue Gastro-Steuer beispielsweise.

Neue Sorge für Merz: Schuldenregeln der EU kommen dazwischen

Dem amtierenden Finanzminister Jörg Kukies machte in Washington denn auch deutlich, dass es für die nächste Regierung nicht nur darum gehen könne, mehr Geld auszugeben. „Die Bundesregierung muss sehr schnell eine Wachstumsagenda beschließen“, sagte er. Dazu gehörten neben Steuererleichterungen grundlegende Reformen auf dem Arbeitsmarkt, auf den Energiemärkten, bei der Reduzierung von Bürokratie, der Erhöhung der Planungs- und Markteinführungsgeschwindigkeit sowie bei der Digitalisierung der staatlichen Angebote.

Doch es gibt ein weiteres Problem: Nach Berechnungen von Experten der Brüsseler Denkfabrik Bruegel verstoßen die vorhergesehenen Ausgaben für Verteidigung und Infrastruktur der neuen Bundesregierung gegen EU-Schuldenregeln, „es sei denn, sie werden durch Haushaltseinsparungen an anderer Stelle ausgeglichen“, berichtet die Welt.

Die Experten schreiben von einem Dilemma: Zwar sei es aus europäischer Sicht eine gute Nachricht, dass „Deutschland endlich die Fesseln seiner Schuldenbremse abgeworfen hat“. Gleichzeitig dürfe es bei der Einhaltung der Schuldenregeln, dem sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspakt, keine Ausnahme für Deutschland allein geben.

EU wacht über strenge Schuldenregeln

Nun hat die Vergangenheit gezeigt, dass die europäischen Schuldenregeln selten ein Land davon abhalten, mehr Schulden zu machen, da es keine Konsequenzen fürchten musste. Doch mit den gerade erst beschlossenen neuen Regeln soll eigentlich genau dies in Zukunft vermieden werden.

Die EU-Regeln sehen vor, dass ein Land durchaus mehr Geld ausgeben darf, als die Regeln im strengen Sinne vorgeben, aber nur für Maßnahmen, die die Wachstumschancen der eigenen Wirtschaft nachhaltig verbessern. Die EU werde „sehr akribisch, sehr genau und sehr streng darauf gucken“, dass die schwarz-rote Regierung mit ihrer Politik tatsächlich das Potenzialwachstum wieder erhöhe, sagte Kukies. Das Potenzialwachstum Deutschlands liegt aktuell bei 0,4 Prozent. Mitte der 2010er-Jahre waren es noch 1,5 Prozent gewesen.

Gespräche über die Ausgabenpläne mit der EU-Kommission geplant

Bereits im Juni stehen die Gespräche über die Ausgabenpläne mit der EU-Kommission an. Es würde die Verhandlungen der Bundesregierung mit Brüssel über den künftigen Ausgabenpfad sicherlich enorm erleichtern, wenn sie schon sagen könnte, in ihrem 100-Tage-Programm hätte sie bereits diese und jene Kabinettsbeschlüsse zu Strukturreformen gefasst. 

Doch je nachdem, wo die neue Koalition tatsächlich im Bundeshaushalt die Schwerpunkte setzt, könnte Deutschland erneut sehr viel weniger Geld für künftiges und vor allem dauerhaftes Wachstum der größten Volkswirtschaft Europas einsetzen, als sich dies die vielen lobenden Stimmen aus dem Ausland erhoffen.

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