Wie lebt es sich mit über 100? „Dass ich so alt werde, hätte ich gewiss nicht gedacht“
Früher war es eine echte Seltenheit. Mittlerweile aber gibt es auch in Bad Tölz-Wolfratshausen immer mehr Menschen, die 100 Jahre alt werden.
Bad Tölz-Wolfratshausen – Anna Redl wurde am 13. April 1923 geboren. „Dass ich einmal 100 Jahre alt werde, hätte ich gewiss nicht gedacht“, sagt sie, „älter als der Sepp!“ Wen genau sie mit dem „Sepp“ meint, bleibt bei dem kurzen Ratsch mit dem Kurier-Redakteur unklar. An diesem Tag, etwa zwei Monate vor ihrem 101. Geburtstag, ist Anna Redl nicht gerade zum Plaudern aufgelegt. Kopfschmerzen habe sie heute, sagt sie.
Stattdessen erzählt Heimleiterin Bettina Emmrich ein wenig über die älteste und zugleich „dienstälteste“ Bewohnerin im Tölzer Josefistift, wo sie schon seit über 20 Jahren lebt. Frau Redl sei früher Stammgast in der „Eichmühle“ gewesen, sie war Kneipp-Anhängerin, liebt Bärlauch, Schnittlauch und Orangen. Anna Redl selbst sagt über sich nur, dass sie zufrieden sei mit ihrem Leben. Im Josefistift habe sie „alles, was man braucht“. Gewünscht habe sie es sich aber nie, 100 zu werden. „Um Gottes Willen!“
Immer mehr Über-100-Jährige in Deutschland
Mit ihren 100 Jahren hat Anna Redl ein ungewöhnliches Alter erreicht. Doch ein gar so großer Ausnahmefall wie früher sind über 100-Jährige nicht mehr. Laut der Statistikplattform Statista erreichten 24.848 Personen in Deutschland 2022 ein Alter von 100 Jahren oder mehr. Diese Zahl steigt von Jahr zu Jahr. 2011 waren es nach Angaben des Statistischen Bundesamts nur 14.436. Der Anteil der Frauen an den Über-100-Jährigen liegt bei rund 80 Prozent.
Stichprobenartige Nachfragen im Landkreis ergeben: Die größeren Einwohnermeldeämter verzeichnen alle zumindest vereinzelt Bürger, die ein ganzes Jahrhundert oder mehr auf dem Buckel haben. Nachdem mit Hilde Wohlfahrt kürzlich die älteste Tölzerin mit 103 Jahren verstorben war, blieben in der Stadt noch vier Frauen und ein Mann der Generation „100 plus“. Die nunmehr älteste Bürgerin von Bad Tölz ist ebenfalls 103 Jahre alt, wie Rathaus-Sprecherin Birte Stahl zu Protokoll gibt. Mit Katharina Burkart, die am Samstag (10. Februar) 100. Geburtstag feierte, wuchs der exklusive Club wieder an.
Älteste Geretsriederin ist 102 Jahre alt
In Geretsried leben drei Bürgerinnen, die das Jahrhundert voll gemacht haben, erklärt Stadt-Sprecher Thomas Loibl auf Anfrage. Die älteste Geretsriederin ist demnach 102.
Ähnlich ist das Bild in Lenggries. Drei Personen im Alter von 100 und mehr sind dort nach Auskunft von Regina Grasberger vom Einwohnermeldeamt verzeichnet. Die betagteste Lenggrieserin feiere dieser Tage ihren 103. Geburtstag. Aus Bichl war vor wenigen Wochen einer Traueranzeige zu entnehmen, dass eine Dorfbewohnerin im Alter von 109 Jahren verstorben war.
Noch deutlich breiter aufgestellt ist die Alterskohorte zwischen 90 und 100 Jahren. 291 Geretsriederinnen und Geretsrieder liegen in dieser Spanne. In Tölz umfasst diese Altersgruppe 225 Personen, davon 162 Frauen, wie Birte Stahl aufschlüsselt. Und 100 Lenggrieserinnen und Lenggrieser sind 90 bis 100 Jahre alt.
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Eine Generation, die nicht jammert
Wie man das Leben im hohen Alter empfindet, ist individuell sehr unterschiedlich und hängt stark vom Gesundheitszustand ab. Berührende Worte über das Alter fand die Wackersbergerin Ursula Hueber („Mesner-Usch“), als der Tölzer Kurier sie vergangenes Jahr aus Anlass ihres 100. Geburtstags interviewte. Auf die Frage, ob es Gnade oder Last sei, 100 Jahre alt zu werden, sagte sie: „Das ist nicht so einfach zu beantworten, wenn man bedenkt, dass der alte Mensch keine Zukunft mehr hat. Ich finde es eine Gnade. Klar ist das nicht schön, wenn man alt wird: die Gebrechlichkeit, das viele Abschiednehmen von Freunden und Verwandten – das ist ein schwieriger Prozess. Jeder will alt werden, aber nicht alt sein. Es ist ein Stück Lebenskunst und ein bisschen Glück, wenn man sich mit diesen Abstrichen auseinandersetzt und sie dann akzeptiert.“ Sechs Monate später, am 11. August 2023, schlief die „Mesner-Usch“ friedlich zu Hause ein.
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Viel Erfahrung im Umgang mit Über-100-Jährigen hat Josefistift-Leiterin Bettina Emmrich. „Es gibt viele, die sehr zufrieden sind“, so ihre Beobachtung. Ein Grund dafür ist nach Emmrichs Meinung: „Diese Generation jammert nicht. Sie nehmen das Leben an, wie es kommt.“
Nachdenken übers Leben
Die nächste Anwärterin auf die 100er-Marke in dem Tölzer Pflegeheim ist Gisela Schmid. Mit ihren 98 Jahren ist sie die drittälteste Bewohnerin. „So alt bin ich – und stellenweise gut erhalten“, sagt sie mit einer Portion Selbstironie. Und sie scherzt weiter: „Ich koste die Pensionskasse viel Geld.“ Dann fügt sie hinzu: „Dass ich so alt werde ohne viele Schmerzen, ist sehr schön.“ Aber es habe auch „Nebenwirkungen“, sagt Gisela Schmid. „Das hohe Alter bringt allerlei Schwierigkeiten mit sich. Aber ich habe sie bis jetzt gut gemeistert.“
Und wie verbringt eine fast 100-Jährige den Tag? „Ich überlege, was ich im Leben richtig gemacht habe und was ich hätte besser machen können“, sagt Gisela Schmid. Dabei gelangt sie zu dem Schluss: „Im Großen und Ganzen war es gut.“ Sie war Lehrerin und habe ihre Schüler immer viel gelobt, berichtet sie. „Mit Lob habe ich viel erreicht.“