Sechs Monate alter Säugling von Vater getötet? So lief der Prozessauftakt am Landgericht Memmingen

Am Landgericht in Memmingen hat diese Woche die Verhandlung gegen einen heute 43-jährigen Mann begonnen, der im November 2023 mutmaßlich seine sechs Monate alte Tochter getötet haben soll. Das Kind verstarb aufgrund schwerer Hirnverletzungen, wahrscheinlich verursacht durch äußere Gewalteinwirkung.
Memmingen/Mindelheim – Fast ein Jahr ist es her, seit das Kind des Angeklagten verstorben ist. Am 18. November 2023 soll der Vater seine sechs Monate alte Tochter unter anderem durch heftiges Schütteln so stark körperlich misshandelt haben, dass sie aufgrund schwerer Hirnverletzungen verstarb. Wie es zum Todesfall kam, wird aktuell am Landgericht in Memmingen geklärt.
Ein fast normaler Tag im November
Wie der Angeklagte erläuterte, habe er an jenem Novemberabend auf dem Sofa gesessen und ferngesehen, seine kleine Tochter lag neben ihm auf dem Sofa. Als er sie hochheben und zu Bett bringen wollte, fuhr ihm offenbar ein stechender Schmerz in den Rücken. Aus Reflex ließ er das Kind nach seinen Worten auf den Wohnzimmertisch fallen. Das Mädchen soll dabei keine Reaktion gezeigt haben, habe weder geweint noch sich bewegt. Nachdem er sie aufhob und zweimal schüttelte, soll das Kind zu weinen begonnen haben. Beruhigt durch die Reaktion des Mädchens nahm er an, es sei alles in Ordnung. Er legte das Kind ins Babybett, wo es schließlich eingeschlafen sein soll.
Währenddessen sei die Freundin des Angeklagten mit der älteren gemeinsamen Tochter beim Einkaufen gewesen. Als sie zurückkam, erzählte der Angeklagte seiner Partnerin nichts. Warum er ihr den Vorfall verheimlichte, konnte der 43-Jährige vor Gericht nicht beantworten.
Die Familie habe daraufhin einen normalen Abend verbracht. Die ältere, zu dem Zeitpunkt drei Jahre alte Tochter, habe einen Kinderfilm geschaut. Nach dem Abendessen habe sich das Mädchen schlafen gelegt. Auch die Erwachsenen ließen den Abend früh ausklingen. Er erinnere sich daran, mit seiner Freundin noch eine Zigarette geraucht zu haben. Dann habe er einen Film geschaut, ein Bier getrunken und sei gegen 22 Uhr zu Bett gegangen, so der Angeklagte. Seine Freundin folgte ihm kurz darauf.
Am nächsten Morgen sei die Familie aufgestanden und habe das Frühstück vorbereitet. Das Paar wollte das Baby dazu holen. Die ältere Tochter bot an, ihre Schwester zu wecken, kam jedoch kurz darauf irritiert zurück. Als die Eltern selbst im Schlafzimmer nachschauten, wurde es turbulent: Da der Säugling keinerlei Reaktion zeigte, rief die Mutter den Rettungsdienst. Zeitgleich informierte der Angeklagte die Mutter seiner Freundin.
Raue Töne im Gerichtssaal
Die Fragen des Staatsanwaltes betrafen zum Auftakt insbesondere den Umgang des Vaters mit seinen Kindern. Auch das Wissen des mehrfachen Familienvaters zum generellen Umgang mit Kleinkindern fragte die Staatsanwaltschaft ab. Und ob er sich erinnern könne, welche Anweisungen man ihm im Krankenhaus bei der Geburt seiner Kinder gegeben habe. Etwa, dass bei Neugeborenen und Kleinkindern der Kopf gestützt werden müsse und man sie unter keinen Umständen schütteln dürfe.
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Die rauen Töne der Staatsanwaltschaft brachten den Mann an seine Grenzen. Bedrückt gab er zu, er könne sich nicht an Anweisungen des Krankenhauspersonals erinnern. Ihm sei jedoch bewusst, dass ein Schütteln des Kindes der Gesundheit abträglich sei.
Auch die Videoaufnahmen der polizeilichen Vernehmung am 24. November 2023 wurden am ersten Prozesstag gezeigt. Die damals getätigten Aussagen decken sich zu einem großen Teil mit den Erinnerungen, die der Angeklagte am Dienstag, 29. Oktober 2024, vor dem Gericht der ersten Strafkammer schilderte.
Einsatzkräfte sagen am zweiten Prozesstag aus
Am zweiten Verhandlungstag am heutigen Donnerstag wurden unter anderem ein einsatzbeteiligter Polizist und der Notarzt befragt. Die Situation in der Wohnung der Familie beschrieben die beiden berufserfahrenen Männer ähnlich: Die Umstände vor Ort hätten bei ihnen ein komisches Gefühl ausgelöst.
Besonders auffällig, das bestätigten beide Einsatzkräfte, war die Reaktion der Eltern. Als der Notarzt den Kindstod festgestellt und die Erwachsenen darüber informiert hatte, sollen diese ganz unterschiedliche Emotionen gezeigt haben. Der Vater brach in sich zusammen, weinte und wurde von Ungläubigkeit übermannt. Die Mutter hingegen habe zunächst kaum Reaktionen gezeigt, erläuterte der Notarzt. In seinen Augen ungewöhnlich in einer solchen Situation. Davon berichtete auch der Polizeibeamte. Laut den Zeugen folgte eine entsprechende Trauerreaktion der Mutter aber im Verlauf des Einsatzes. Die Eltern wurden vor Ort vom Kriseninterventionsdienst betreut.
Auch ein gab seine Eindrücke des Einsatzes zu Protokoll. Er habe sich vor Ort hauptsächlich um die Dokumentation des Falls gekümmert, sein Kollege (am Tag seiner geplanten Zeugenaussage krankheitsbedingt verhindert) habe damals mit den Eltern gesprochen. Die Gefühlslage der Eltern beschrieb er jedoch ähnlich wie seine Kollegen.
Weitere geladene Zeugen waren ein Angehöriger des Kriminaldauerdienstes Memmingen, ein Rettungssanitäter und ein Arzt, der den Säugling im Oktober 2023 im Bezirkskrankenhaus (BKH) in Kaufbeuren behandelt hatte.
Vorausgehende Verletzung
Die Behandlung in der Notaufnahme und Unfallchirurgie des BKH Ende Oktober 2023 befasste sich mit dem Arm des kleinen Mädchens. Diesen hatte sie nicht mehr bewegen können, woraufhin die Eltern ein Krankenhaus aufsuchten. Der behandelnde Arzt stellte eine Teilausrenkung am Speichenkopf im Ellenbogen fest – im Fachjargon als Radiuskopf-Subluxation bezeichnet. Das könne beispielsweise beim „Engelchen flieg“-Spiel geschehen. Auslöser dafür könnten auch ruckartige Züge am Arm sein.
Die Staatsanwaltschaft wollte wissen, ob eine solche Verletzung ein Anzeichen von Kindsmisshandlung sein könne. Ganz ausschließen lasse sich das natürlich nicht, gab der Mediziner an. Bei dieser Verletzung, die häufig bei Kindern vorkommt, wäre er jedoch nicht primär von einer Misshandlung ausgegangen.
Beim nächsten Verhandlungstermin am 13. November soll die Mutter des verstorbenen Säuglings im Zeugenstand aussagen.