Eindrücke einer Escort-Geschäftsführerin: So läuft das Geschäft mit dem Sex
FOCUS online: Melanie, wir leben in Zeiten großer Umbrüche. Gilt das auch für den Escort-Bereich? Bemerken Sie bei den Buchungen irgendwelche Veränderungen? Gibt es Trends?
Melanie: Ich bin seit elf Jahren bei Tia. Das Hauptarbeitsfeld sind nach wie vor die normalen Dates. Doch wir als Agentur spüren natürlich, dass die Welt im Moment stark im Krisenmodus ist. Ich würde sagen, dass es beim Sex doch in aller Regel darum geht, Stress abzubauen – oder? Und genau wie die meisten Menschen sind eben auch unsere Kunden derzeit ziemlich gestresst. Das kann sich hinsichtlich des gewünschten Services sowohl auf die eine als auch auf die andere Weise äußern.
Nämlich?
Melanie: Das Bedürfnis nach Zärtlichkeit, das Kuscheln-Wollen hat zugenommen. Immer mehr Kunden geht es weniger um den Akt an sich als um Nähe. Für die Models ist das nicht immer einfach…
Warum?
Melanie: Nähe basiert auf Gefühl. Und Gefühle kann man meiner Meinung nach nicht buchen. Für ein Model kann es seelisch ziemlich belastend sein, derart gefordert zu sein.
Und was ist "auf die andere Weise"?
Melanie: Ich beobachte einen Trend zu BDSM. Bei manchen Kunden, weil sie bereits Erfahrung im dominanten oder devoten Part haben. Andere Kunden sind neugierig auf diese Spielart. So oder so ist das auch so was, was unbedingt kommuniziert gehört. Unsere Models sind schließlich keine professionellen Sklavinnen oder Dominas. Okay, die ein oder andere mag das vielleicht, übers Knie gelegt zu werden und einen Klaps auf den Po zu bekommen. Vielen geht aber bereits das zu weit. Daher: In solchen Dingen brauche ich im Vorfeld einer Disponierung Klarheit – sowohl von Seiten der Models als auch auf Seite der Kunden. Was die Models angeht, so arbeiten wir mit einer Art agenturübergreifenden Katalog, der 28 Punkte abfragt. Das ist eine Auflistung von erotischen Services, welche ein Escort-Model bei einem Date anbieten kann, aber nicht muss.
Was gibt es da zum Beispiel?
Melanie: So Dinge wie Analverkehr oder Brustverkehr. Wenn ich mein Kreuz als Model insgesamt fünfzehnmal bei Nein setze, engt das mein Tätigkeitsfeld natürlich ein. Und auch aufs Preissegment, in dem die Dienste angeboten werden, hat das Einfluss. Ich sage es, wie es ist: bei einem guten Service sollte Analverkehr mit dabei sein. Wobei das Preissegment nicht ausschließlich vom erotischen Service bestimmt wird. Er setzt sich aus vielen verschiedenen Punkten zusammen.
Wie kann man sich das "Preissegment" bei Tia vorstellen?
Melanie: Unser Service beginnt bei einem Honorar von 650 Euro für zwei Stunden – das ist bei uns die Mindestbuchungsdauer. Man muss sich klarmachen: Für den ein oder anderen ist das ein halbes Monatsgehalt. Ich finde, da ist es nur verständlich, wenn gewisse Ansprüche geäußert werden.
Und wenn das Treffen am Ende trotzdem nicht ideal läuft?
Melanie: Lediglich die Fahrtkosten des Models plus eine Aufwandspauschale sind dann zu entrichten. Die Infos auf unserer Webseite, das Foto der Frau, ein Steckbrief plus ein Kurz-Interview geben einen guten Eindruck. Letztlich entscheidet aber die Chemie. Die muss stimmen.
Zumal der Kunde ja nicht in ein Bordell geht, wo das Körperliche im Mittelpunkt steht, nicht wahr? Geht es bei einem Begleitservice nicht um eine sehr viel komplexere, anspruchsvollere Art und Weise des Zeitvertreibs?
Melanie: Tatsächlich geht es schon auch bei uns in rund 95 Prozent der Fälle um Intimitäten. Wie sich ein solches Date genau aufschlüsselt, steht auf einem anderen Blatt. Da können natürlich Aktivitäten wie Kino oder Theaterbesuche mit dabei sein. Bei Over-Night-Bookings bitten wir den Kunden, dass ein Essen enthalten ist. Ob dies per Room-Service aufs Hotelzimmer gebracht wird oder in einem Restaurant stattfindet, ist eine individuelle Entscheidung. Aber dass da nicht zwölf Stunden nonstop durch die Federn gesprungen wird, ist eigentlich allen Beteiligten bewusst. Andersrum bin ich auch den Bewerberinnen gegenüber bei Casting-Gesprächen ehrlich: Wenn du jemand bist, der in erster Linie gepflegt essen gehen und intelligente Gespräche führen möchte, ist das eher nicht der richtige Job.
Ist Stressabbau momentan der größte Treiber Ihres Business oder beobachten Sie daneben weitere, vielleicht auch ganz anders gelagerte Trends?
Melanie: Was ebenfalls zugenommen hat, sind Paarbuchungen. Also das Ehe- oder Liebespaar, das sich ein Escort-Model dazubucht. Entweder, weil die Frau Lust hat, mit einer anderen Frau intim zu werden. Oder, weil sie ihren Mann gerne bei Intimitäten mit einer anderen Frau sehen will. Der häufigste Auslöser für solche Buchungen ist meiner Meinung nach der Wunsch nach fremder Haut. Dieser Wunsch scheint in vielen Menschen, zumindest bei den Männern, irgendwie angelegt zu sein. Und auch immer mehr Frauen haben diesen Wunsch und äußert ihn aktiv.
Wer nimmt die Paarbuchungen vor?
Melanie: Mal sie, mal er, das hält sich in etwa die Waage. Ich vermute allerdings, dass der Impuls eher von den Frauen ausgeht. Vielen scheint es ein Anliegen, neuen Wind in die Beziehung zu bringen. Das berühmte Salz in der Suppe. Da ist die Kundin, die ihrem Mann den Wunsch nach fremder Haut erfüllen will – aber unter der Voraussetzung, dass sie mit dabei ist. Auch hier wieder: klare Absprachen sind das A und O.
So kann zum Beispiel im Vorfeld festgelegt werden, dass die Frauen miteinander intim sein dürfen, aber der Mann darf nur zuschauen. Und es ist nicht nur so, dass das festgelegt werden kann. De Fakto wird es festgelegt. Unsere Erfahrung ist die, dass die Paare bei diesen Anfragen im Team spielen. Auffällig ist übrigens auch, dass Paaranfragen so gut wie nie zweimal dasselbe Model hintereinander betreffen.
Wie erklären Sie sich das?
Melanie: Ich vermute: Man möchte vermeiden, dass zu viel Vertrautheit entsteht. Sie wissen schon, "der Feind in meinem Bett"…
Fruchten solche Vorsichtsmaßnahmen denn?
Melanie: Tatsächlich hatten wir bisher erst einen Fall, in dem das ein Model hinterher meinte, es sei schrecklich gewesen. Das ganz große Eifersuchtsdrama, offenbar sogar gleich auf mehreren Ebenen. Dieses Paar war wohl doch nicht ganz so open-minded, wie es dachte…
Wo ziehen Sie rote Linien?
Melanie: Erst neulich hatte ich eine Buchungsanfrage, die ich kritisch gesehen habe. Die Ehefrau des Kunden war für ein paar Tage mit Freundinnen verreist – und er wollte, dass das Model zu ihm nach Hause kommt. Ich persönlich würde da jetzt vielleicht sagen: tut mir leid, sowas disponiere ich nicht. Ich habe schließlich ein Gewissen. Aber am Ende entscheidet immer das angefragte Model, ob das Treffen infrage kommt. Heißt: Ich sage keine Anfragen aus privaten Befindlichkeiten ab.
Die Standardbuchungen dürften sich ohnehin auf Hotels beziehen, oder?
Melanie: Ja, wobei Diskretion hier immer schwieriger wird. Ich selbst war vor drei Wochen mit meiner Familie im Urlaub. Schon im Vorfeld des Aufenthalts haben wir mehrere Mails von unserem Hotel bekommen. Und nun, seit wir wieder zu Hause sind, kommen schon wieder mehrfach Nachrichten: Weshalb wir denn noch kein Feedback geschickt hätten. Stellen Sie sich dieses Prozedere rund um eine Escort-Buchung vor. Da besteht natürlich jedes Mal das Risiko, dass das auffliegt, wenn die Frau das liest. Gehen Sie davon aus, dass rund 85 Prozent unserer Kunden verheiratet oder in einer festen Beziehung sind.
Wie gehen Sie als Agentur mit den offenbar schwieriger werdenden Bedingungen für Diskretion um?
Melanie: Ich würde sagen, wir alle – die Kunden, die Models und wir als Agentur – sind in dieser Sache insgesamt wachsamer geworden. Möglichkeiten gibt es immer. Alternativ geht man eben in ein Apartment oder ein Airbnb.
Oder eben gleich zu dritt ins Bett?
Melanie: Im Ernst: Es freut mich, wenn Gäste berichten, dass sie noch Tage nach einer solchen Buchung profitieren, weil es jetzt in ihrer Partnerschaft dieses Kopfkino des gemeinsamen Erlebten gibt. Wo es lange Zeit viel Verlogenheit und Heimlichtuerei ums Thema Sex in Langzeitlieben gab, scheinen mir Paare aktuell nach neuen Wegen suchen, ihre Beziehungen lebendig zu gestalten.
Ist die Inanspruchnahme Ihrer Dienstleistungen in gewisser Weise also auch ein gesellschaftlicher Spiegel?
Melanie: Das sehe ich nicht nur in Bezug auf die Paarbuchungen so, ja.
Wo sehen Sie das noch?
Melanie: Vom gewachsenen Wunsch nach Nähe und dass eine zunehmende Zahl von Gästen das Herz ausschütten will, hatten wir es ja schon. Und vom Analverkehr, der in festen Beziehungen offensichtlich kaum stattfindet, auch. Unsere Services können für eine Partnerschaft eine Entlastung sein. Was für den Analverkehr seit jeher gilt, scheint mir seit einiger Zeit ein generelles Thema zu sein.
Was meinen Sie?
Melanie: Ich meine, dass auf Partnerschaften heute ein enormer Druck leistet. Gerade von uns Frauen wird extrem viel erwartet. Wir müssen alles sein: eine tolle Mutter, eine leidenschaftliche Liebhaberin, eine gute Freundin, eine fürsorgliche Schwester und nach Möglichkeit mittlerweile auch eine gute Handwerkerin. Die Corona-Pandemie hat insbesondere von uns Frauen viel abverlangt. Die Kinder waren zu Hause und alles, von Einkauf bis Job, hatte neben der Rund-um-die-Uhr-Betreuung wie gewohnt weiter zu laufen. Es gibt zahlreiche Studien die belegen, wie vergleichsweise strapaziert wir Frauen unterm Strich sind, wie viel weniger Freizeit wir haben als Männer. Und irgendwann sind die Kapazitäten nun mal erschöpft.
Inwiefern können Ihre Services an dieser Stelle Lücken füllen?
Melanie: Ein Escort-Model hat die Fähigkeit und die Antennen, zu spüren, was das Gegenüber braucht und sich wünscht und so agiert es dann auch. Im Grunde reden wir hier über nichts andres als über eine geschäftliche Vereinbarung über eine schauspielerische Leistung – die Models sind bei uns übrigens durchweg nebenberuflich tätig und haben daneben alle einen Hauptjob.
Das heißt, sie sind genauso belastet wie die meisten anderen Frauen?
Melanie: So ist es. Wenn ein Model Spaß an der Sache hat, ist das natürlich umso besser. Ich glaube, letztlich ist es wie überall: Menschen, die eine Sache gern machen, machen diese Sache besonders gut. Es kommt nicht von ungefähr, dass manche unserer Models besonders gefragt sind.
Denken Sie da an jemanden Bestimmtes?
Melanie: Tatsächlich weiß ich von einem unserer Models: Diese Lücke kann nicht anderweitig gefüllt werden. Diesen Typ Frau haben wir sonst einfach nicht.
Was macht diese Frau so besonders?
Melanie: Ein Kunde meinte neulich, sie sei "wie in Stein gemeißelt". Ich habe genau verstanden, was er meint. Die Frau ist wirklich sehr hübsch. Ihre Bewegungen sind anmutig, dazu wirkt sie selbstbewusst, auf fast magische Weise natürlich. Sie hat zum Beispiel wunderschönes Haar. Ein dezenter Kupferton…
Kommt rotes Haar gut an?
Melanie: Rot eher weniger. Das Äußere unserer Models geht eher in Richtung stilvoll, edel. Der Kunde, der 650, 900 oder auch 1400 Euro für zwei Stunden investiert, mag – überspitzt gesagt – nun mal keinen langhaarigen Pumuckl antreffen, wenn er in die Lobby eines Fünf-Sterne-Hotels kommt. Bei besagtem Model gab es bisher in jeder Hinsicht nur Zustimmung. Auch, was das Thema plastische Chirurgie angeht…
Sie meinen, diese Frau hat nichts machen lassen?
Melanie: Wenn man mal ehrlich ist: irgendwas machen lassen hat mittlerweile fast jede. Und gegen ein bisschen Botox ist aus meiner Sicht auch nichts einzuwenden. Wenn das Gesicht jedoch so voller Hyaluron ist, dass sich die Mimik verändert, wird es problematisch. Ganz schlimm sind Schlauchbootlippen! Ich sage Ihnen was: Ich kenne keinen einzigen Mann, keinen Kunden, der sowas gut findet. Im Gegenteil: Für viele sind diese Lippen genauso wie Puppengesichter ein Ausschlusskriterium bei der Buchung. Kein Wunder…
Was meinen Sie?
Melanie: Da möchte man nicht küssen, sagen die Männer. Nicht zu vergessen die kleinen Knubbel, die sich bei aufgespritzten Lippen fast immer mit der Zeit bilden. Das noch immer so viele Frauen unbedingt solche Lippen wollen, kann ich nicht verstehen. Ich bin sicher: Nach wenigen Tagen in der Kundenbetreuung unserer Agentur dürfte so gut wie Jede das anders sehen.
So verrückt liebt Deutschland
Ihre Liebesgeschichte hat die Menschen in Deutschland bewegt: Bettina und Christian Wulff haben sich dreimal getrennt und dreimal wieder geheiratet. Doch nun gehen sie wieder getrennte Wege - endgültig, wie es hieß. Kennen Sie eine ähnliche Beziehung oder ist es sogar Ihre eigene? Haben Sie oder Bekannte mehr als dreimal dieselbe Person geheiratet? Erzählen Sie uns davon! Schreiben Sie an mein-bericht@focus.de.