Fünf Kinder - fünf Frauen – Reinhold Joppich über Liebe, Leben und Leiden
- Im Video oben: Elternsein - Der Schlüssel zum Erfolg der Kinder
Reinhold Joppich wuchs in den 1950er- und 60er-Jahren auf – in einer Zeit, die von Konventionen, Strenge und Schweigen über Sexualität geprägt war. Doch mit seiner Ausbildung in Freiburg Ende der Sechziger änderte sich vieles: Die linke Bewegung, die gegen Autoritäten, den Vietnamkrieg und die Nachkriegspolitik rebellierte, brachte ein neues Lebensgefühl – und ein anderes Verständnis von Beziehungen, Geschlechterrollen und Nähe.
Joppich begann, Sexualität freier zu leben. Für ihn waren erotische Begegnungen meist mit Gefühlen verbunden, doch kaum eine Beziehung hielt dauerhaft. Es waren Dutzende Affären, feste Partnerschaften, flüchtige Nächte. Fünf Kinder hat er – mit fünf Frauen.
Wie blickt er heute auf seine Suche nach der Liebe zurück? Ein Gespräch über Begehren, Verantwortung – und das, was bleibt.
FOCUS online: Herr Joppich, Sie sagten einmal, Sie hätten das Leben – besonders in Liebesdingen – in vollen Zügen genossen. War das etwas, das Sie sich einfach nicht entgehen lassen wollten?
Reinhold Joppich: Ja, unbedingt. Ich wollte das Leben in all seinen Facetten erleben. Liebe, Nähe, Sinnlichkeit – das war für mich immer untrennbar mit dem Leben verbunden.
Von der autoritären Erziehung zum freigeistigen Freiburg: Wie fanden Sie von der Verklemmtheit und Schüchternheit zur sexuellen Befreiung?
Joppich: Die Sozialisation prägte mich stark. In den Fünfziger- und frühen Sechzigerjahren war die Gesellschaft konservativ, spießig, sexualfeindlich. Ich verbrachte viereinhalb Jahre in einem katholischen Internat – dort herrschten Strenge und Autorität. Später wechselte ich auf ein Gymnasium in Duisburg, wo erste Befreiungstendenzen sichtbar wurden: Tanzkurse, Miniröcke – das inspirierte mich. Trotzdem blieb ich zunächst schüchtern und gehemmt. Zwischen 1968 und 1977 lebte ich in Freiburg. Dort prägten die linke Bewegung und ein offener Umgang mit Erotik und Sexualität das Leben. Das veränderte vieles. Es war eine wilde Zeit.
Wann hatten Sie Ihre erste sexuelle Erfahrung?
Joppich: Mit 19 – mit einer sechs Jahre älteren Sekretärin. Es war furchtbar. Danach dachte ich: Wenn das Sex ist, dann ist das nichts für mich. Ein halbes Jahr später verführte mich eine Studentin klug und charmant. Da begriff ich, wie schön und sinnlich Nähe sein kann – und kam auf den Geschmack.
Reinhold Joppich (75) zählt zu den prägenden Stimmen des deutschen Buchhandels der letzten Jahrzehnte. Die gesellschaftliche Aufbruchsstimmung der späten 1960er-Jahre hat ihn tief beeinflusst. Nach einer Ausbildung zum Verlagsbuchhändler im Herder Verlag arbeitete er zunächst als Buchhändler in Rom, bevor er 1984 zum Verlag Kiepenheuer & Witsch wechselte. Dort war er drei Jahrzehnte lang Vertriebs- und Verkaufsleiter. Reinhold Joppich ist Vater von fünf Kindern aus fünf verschiedenen Beziehungen. Heute lebt er in Köln.
Was weckte die Sehnsucht nach körperlicher Liebe – und wann wurde sie rastlos?
Joppich: Es gab zwei Frauen, die ich sehr geliebt hatte. Ich wollte Kinder mit ihnen, doch sie betrogen mich. Das erschütterte meinen Glauben an Treue. Danach gab es mal längere, mal kürzere Beziehungen, intensive Affären und Momente der Schwäche. Manchmal war ich treu, manchmal nicht. Ich liebte, zweifelte, lernte.
Hatten Sie dabei immer Gefühle für die Frauen – oder war es oft nur rein körperlich?
Joppich: Nur einmal fühlte ich mich beim Sex leer. Meistens suchte ich nach Nähe und Liebe, sogar für kurze Momente. Oft faszinierte mich eine Frau – ihre Ausstrahlung und ihre Erotik. Beim Sex erlebte ich ein Hochgefühl des Verliebtseins. Einige Beziehungen wurden tief, andere blieben flüchtig, aber das Gefühl von Bedeutsamkeit war fast immer vorhanden.
War dieses Hochgefühl wie eine Droge?
Joppich: Ja. Es war wie ein Rausch. Auch in kurzen Affären suchte ich Nähe, wollte etwas teilen. Die Erotik faszinierte mich. Sie war aber nie Selbstzweck.
Würden Sie sagen, Sie hätten – im heutigen Sinne – polyamor gelebt?
Joppich: Damals diskutierten wir viel über freie Liebe, über das Ideal, dass kein Mensch den anderen besitzen sollte. In der linken Szene war das ein heißes Thema – Besitzansprüche galten als reaktionär. Aber ich muss gestehen: Wenn ich verliebt war, wollte ich, dass die Frau auch nur mich liebt. Das war ein Widerspruch – frei sein wollen, aber selbst konservative Gefühle hegen.
Gab es Momente, in denen Sie den Überblick über Ihre Beziehungen verloren?
Joppich: Leider ja. Kurz vor unserem Interview ließ ich meine Vergangenheit Revue passieren – und erinnerte mich an ein besonders unangenehmes Erlebnis in Köln: Ich hatte eine kurze, schöne Affäre mit einer Türkin. Später traf ich sie bei einem Abendessen mit Günter Wallraff wieder und erkannte sie nicht. Erst als sie mich ansprach, dämmerte es mir. Das war mir furchtbar peinlich, und ich hatte ein schlechtes Gewissen. Manche Begegnungen sind mir tatsächlich entfallen.
So verrückt liebt Deutschland
Ihre Liebesgeschichte hat die Menschen in Deutschland bewegt: Bettina und Christian Wulff haben sich dreimal getrennt und dreimal wieder geheiratet. Doch nun gehen sie wieder getrennte Wege - endgültig, wie es hieß. Kennen Sie eine ähnliche Beziehung oder ist es sogar Ihre eigene? Haben Sie oder Bekannte mehr als dreimal dieselbe Person geheiratet? Erzählen Sie uns davon! Schreiben Sie an mein-bericht@focus.de.
Gab es prägende Erfahrungen im Zusammenleben, auch jenseits von Liebesbeziehungen?
Joppich: Ja, absolut. In Freiburg lebte ich in einer Wohngemeinschaft mit drei Frauen. Mit keiner von ihnen hatte ich Sex, aber die Freundschaften waren intensiv. Diese Frauen kritisierten mein Verhalten und meinen Lebensstil. Sie zeigten mir, wie mein Umgang mit Erotik und Nähe auf andere wirkt – auch im Kontext der feministischen Bewegung. Das war nicht immer angenehm, aber lehrreich. Wir diskutierten viel über Geschlechterrollen, Verantwortung, Selbstbild. Aus diesen Auseinandersetzungen wuchs ein Bewusstsein, das später dazu führte, dass ich mich in manchen Beziehungen Frauen unterordnete.
Sie haben sich untergeordnet?
Joppich: Mehrfach. Besonders eifersüchtigen, kontrollierenden Partnerinnen. Vielleicht aus Schuldgefühl. Lange habe ich das aber nicht ausgehalten und bin geflohen.
Wie blicken Sie heute auf Ihr Liebesleben?
Joppich: Mit Dankbarkeit. Und mit dem Wissen: Es war nicht alles richtig – aber ehrlich. Ich habe geliebt, gelitten, gelernt. Wer nicht leiden kann, kann auch nicht lieben.
Wenn Sie Ihr Liebesleben in einem Satz zusammenfassen müssten – wie würde er lauten?
Joppich: Die Liebe ist etwas Wunderbares. Die Erotik gehört dazu. Und man muss das Scheitern mitdenken.
Sie haben fünf Kinder von fünf Frauen. War das so geplant?
Joppich: Nein. Ein Kind zu zeugen, ist keine Kunst – das passiert. Nur ein Kind war geplant, mit einer Frau, mit der ich damals in Duisburg lebte. Die anderen Kinder entstanden in Beziehungen unterschiedlicher Dauer und Intensität. Von meiner erste Tochter Natascha erfuhr ich erst, als sie schon 19 Jahre alt war. Floriane, mein zweites Kind, lebte anfangs bei mir. Ich war ihr erster Bezugspunkt. Ein weiteres Kind entstand während eines Urlaubs – die Mutter hatte nicht mehr verhütet. Zwei Kinder kamen aus späteren Affären, kurz hintereinander. Das hat mich umgehauen. Ich war schockiert, niedergeschlagen. Irgendwann saß ich da und dachte: Fünf Kinder. Fünf Frauen. Wie konnte das passieren? Was hast du getan? Wie geht es weiter? Für einen Moment glaubte ich, das nicht zu schaffen. Aber ich bin kein Mensch für den Abgrund. Ich wusste: Ich lebe weiter – für meine Kinder.
Wie sieht ein Familienleben mit fünf Kindern aus fünf Beziehungen aus?
Joppich: Es war kein klassisches Familienleben. Nur mit Floriane lebte ich in ihren ersten Lebensjahren zusammen. Ihre Mutter studierte noch, wir wohnten in einer WG und ich arbeitete halbtags in einer Buchhandlung. Bei meiner dritten Tochter brach der Kontakt ab, als sie ein halbes Jahr alt war – ihre Mutter trennte sich damals von mir. Mit Antonia, meiner vierten Tochter, hatte ich sechs, sieben Jahre lang engen Kontakt. Mein Sohn war ab seinem zwölften Lebensjahr oft bei mir. Wir reisten zusammen nach Italien, und ich unterstützte ihn bei Ausbildung.
Wie ist das Verhältnis ihrer Kinder untereinander?
Joppich: Meine Kinder verstehen sich teilweise sehr gut. Wir machten gemeinsame Urlaube in Italien. Einige sehen sich regelmäßig, feiern Geburtstage – auch Weihnachten verbringen sie manchmal mit mir.
Hatten Sie das Gefühl, allen Kindern gerecht zu werden?
Joppich: Ich hätte es gern. Ich konnte ihre Bedürfnisse nicht immer erfüllen. Doch ich habe versucht, es gut zu machen. Wenn ich heute mit ihnen spreche, glaube ich, dass mir das weitgehend gelungen ist.
Und finanziell – wie haben Sie das geschafft?
Joppich: Viele denken, aufgrund meines damaligen Jobs, hätte ich eine Eigentumswohnung oder ein Haus in Italien. Weit gefehlt. Ich habe Unterhalt für alle fünf Kinder gezahlt, mich nie gedrückt. Natürlich gab es dadurch Einschnitte – aber die Beziehungen zu meinen Kindern wogen alles auf. Ich hatte auch Hilfe von meiner Familie und Freunden. Ein befreundeter Autor schickte mir drei Jahre in Folge zu Weihnachten 1000 Mark für die Kinder. Das war gelebte Solidarität.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihren Kindern heute?
Joppich: Mit zwei Kindern habe ich heute leider keinen Kontakt mehr. Floriane lebt mit ihrer Familie in Essen und arbeitet als Schauspielerin. Mein jüngster Sohn lebt in Köln, ist zweifacher Vater, und die beiden sehen sich oft. Meine älteste Tochter Natascha lebt in Dubai und arbeitet in der Filmbranche. Wir stehen in engem Kontakt.
Sind Sie aktuell in einer Beziehung?
Joppich: Nein. Ich lebe allein und bin zufrieden. Ich genieße die Gelassenheit.
Gibt es noch die Hoffnung auf eine letzte große Liebe?
Joppich: Die Hoffnung gebe ich nie auf. Aber ich erwarte nichts. Ich bin 75. Wenn sie kommt – schön. Wenn nicht – auch gut. Ich habe meine Kinder und fünf Enkel. Ich habe ein gutes Leben.
Wie gehen Ihre Kinder mit Ihrer Offenheit um?
Joppich: Sie wollen nicht alles wissen. Manches ist ihnen unangenehm. Vieles aber nehmen sie heute mit Humor.
Was wünschen Sie sich für Ihre Kinder?
Joppich: Dass sie ihren eigenen Weg gehen. Dass sie lieben – auf ihre Weise. Und dass sie den Mut haben, sie selbst zu sein. Das ist das Wichtigste.