Habjan und Franui in Landsberg: Pfeif auf Schubert, sing Kreisler!
Ein Georg-Kreisler-Liederabend also. Was soll schon passieren? Ein paar vergiftete Tauben, Triangelgeplinker und gut ist. Dass das auch ganz anders sein kann, zeigen Musicbanda Franui und Nikolaus Habjan mit dem Programm „Alles nicht wahr“. Ein Abend über Kreisler. Und über das ganze Leben.
Landsberg – Kreisler-Hits haben einen Eigennamen: Everblacks. So nannte Kreisler das Album, das sich zum ‚best of‘ des österreichischen Komponisten, Sängers und Dichters entwickeln sollte. Dunkel sind die Hits, denn hoffnungsvoll grün schimmert Kreislers Humor wahrhaft nicht. Und das Lachen, das er erzeugt, ist eines derjenigen, das dem Zuhörer nicht im Hals, sondern im Herzen steckenbleibt. Denn trotz allem Zynismus sind Kreislers Worte – manchmal auch derbe – Poesie. Sie bergen eine tiefe Lust am Leben. Wiener Schmäh eben. Und in dem fühlt sich Lady Bug am wohlsten.
Nikolaus Habjan und Musicbanda Franui in Landsberg: Die Soubrette Lady Bug
Die Puppe Lady Bug, die Habjan für diesen Kreisler-Abend zum Leben erweckt, ist jenseits von liebenswert. „Jetzt redet der auch noch!“ mault die in die Jahre gekommene Soubrette aus dem Off in die Begrüßungsworte Andreas Schettlers, des musikalischen Leiters der Musicbanda Franui. Und streitet gleich mit ihm über die Anzahl der Jahre, die sie nun schon gemeinsam auftreten. Ihr Auftritt: glamourös. Das Abendkleid gülden, die Gestik divenhaft exaltiert, wenn die Klappmaulpuppe die Beine galant übereinanderschlägt, die Hand sinnend an der Stirn, bevor sie beim „Tauben vergiften“, dem logischen Show-Opener, ekstatisch die Arme in die Luft reckt.
„Lady Bug“ bedeutet auf deutsch Marienkäfer, was nicht ganz dem derben Schmelz der Soubrette gerecht wird. „Ruhe!“ brüllt sie ihre Musiker an. Und wenn es sein muss mokiert sie sich auch übers Publikum, sollte es wagen zu husten oder an falscher Stelle zu lachen: „Man merkt die Provinz.“ Was wäre wohl geschehen, hätte gar ein Handy geklingelt!
Divenhaft verfällt sie auch gern ins Säuseln. Kreisler wird bei ihr zu „mein Georg“. Ist sie mit dem großen Komponisten bekannt, gar eine Verflossene? „Ihren wahren Namen kennt niemand“, sagt Franui-Leiter Schettler. Nicht einmal ihr Schöpfer, wie Nikolaus Habjan im Gespräch nach der Vorstellung erzählt. „Die Figur ist bei einer Stückentwicklung eines anderen Kreisler-Abends entstanden“, erklärt der 37-jährige Grazer. Sie hätten mit mehreren Puppen „ohne Gesicht“ gespielt. „Lady Bug hat sich da irgendwie zu einer Art Conférencier entwickelt.“ Und dann hat sie sich Kreisler unter den Nagel gerissen.
Habjan spricht von seinen Puppen – die er auch selbst baut – wie von eigenen Persönlichkeiten. Wohl mit eine Voraussetzung dafür, dass sie in seinem Spiel so lebendig wirken. Denn schon mit der ersten Geste, dem ersten Wort verschwindet der Mensch hinter Lady Bug. Die Puppe saugt die Person Habjan komplett auf, übernimmt nicht nur deren Stimme, sondern auch deren Gestik. Und das, obwohl die Gesichter von Habjans Puppen bis auf das Maul unbeweglich sind. Fast wie Zauberei.
Aber dieser Kreisler-Abend entwickelt sich: Der Puppenspieler Habjan wird sichtbar. Und das beginnt mit einem Kuss. Den zwingt Lady Bug ihrem Meister nach einem Tänzchen zu „Wien ohne Wiener“ auf. Und nach dieser Machtdemonstration legt sie sogar selbst Hand an – und wird zur Puppenspielerin. In „Geflügelzucht“, einem von Kreislers Texten, der die Amtsbürokratie gewohnt charmant-böse aufs Korn nimmt, steckt ihre Hand – und damit natürlich die Habjans – in einer kleinen Beamten-Handpuppe. Wie souverän Habjan hier zwischen Soubrette und Beamten wechselt, ist atemberaubend.
Habjan war bereits mit Der Herr Karl und F. Zawrel im Stadttheater zu sehen.
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Habjans Puppenspiel als Lebens-Metapher: „Andreas, tu ihn weg!“
Nach diesem Akt des ‚Eigensinns‘ geht es mit Lady Bugs Selbstständigkeit rapide bergab. Den Bruch, bei dem sich auch die Stimmung des Abends hin zur Ernsthaftigkeit wendet, markieren die zehn Musiker der osttiroler Musicbanda Franui mit einem famosen Soloauftritt samt Hackbrett, Harfe, Streichern und Bläsern. Zu hören: Lieder aus Tschaikowskis „Kinderalbum“ wie „Die Beerdigung der Puppe“. Ab da ist alles anders. Lady Bugs Blick liegt verwirrt auf Habjan. „Ich kann das jetzt allein“, sagt sie, „Andreas, tu ihn weg“, weist sie den Franui-Leiter an. Aber Habjan widerspricht: „Das geht leider nicht.“ Auch wenn Lady Bug ihn noch so oft schlägt.
Die Stimmung kippt. Und beim Publikum entsteht doch noch Mitleid mit der Soubrette, die ihr Puppendasein, ihre Machtlosigkeit erkennt – ein Bild, in dem sich manch einer wiedererkennen mag. Und so konstatiert Lady Bug im titelgebenden Lied „Alles nicht wahr“, dass die Lüge am Werk sein muss, „wenn die Menschheit den Krieg ganzheitlich beilegt.“
Mit diesem dramaturgischen Kniff und Liedern wie „Meine Freiheit, deine Freiheit“ oder „Der Mensch muss weg“ zeigt der Abend auch den hochpoetischen Kreisler, den verzweifelten, politischen, lebensklugen. Es geht eben nicht nur ums Triangel-Spielen, es geht auch ums Leben – und Sterben. „Es kann so gut tun, über Nacht zu sterben“, liest eine der Musikerinnen. „Dann hast du es hinter dir“, beschwichtigt Habjan Lady Bug. Zieht den Arm aus der Puppe, stopft sie in den Koffer, Klappe zu.
Nikolaus Habjan ins Landsberg: Der Kunstpfeifer mit Schubert
So tief melancholisch hätte aber auch wohl Kreisler einen Abend nicht beenden wollen Weshalb Habjan das Lied „Du hast ja noch dein Grab“ anstimmt. Denn da kann man sich immer noch drehen. Und wenn man dann endlich zu Dreck geworden ist, geht‘s schon wieder aufwärts. Eventuell als Veilchen. Vielleicht auch als Stinktier. Und diese ganze Sinnfragerei ist doch eh unnütz. Denn „nur ein Zufall ist das Leben, weiter nichts.“
Das Publikum gibt Standing Ovations. Und darf dann noch Habjans weiteres Talent sehen: das des Kunstpfeifers (es gibt auch die Internationale Philharmonische Gesellschaft für Pfeifkunst), der den Abend mit Schuberts „Du bist die Ruh“ im schönsten Vibrato samt sanfter Musicbanda ins Dunkel des Zuschauerraums entlässt.
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