Nikolaus Habjan in Landsberg: Wir alle sind „Der Herr Karl“

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Regisseur und Puppenspieler Nikolaus Habjan mit dem rauchenden „Herrn Karl“ auf dem Schoß und einem weiteren Klappmaulpuppen-Protagonisten am Haken. © Greiner

Der Monolog ist berühmt: Helmut Qualtinger, wie er als „Herr Karl“ vom Kaffeehaustisch in moralische Abgründe raunzt. Ausgestrahlt Anfang der 1960er im ORF, fand sich die Puppenversion 2010 im Schubert Theater - mit dem begnadeten ‚Maulklapp-Puppen-Helden‘ Nikolaus Habjan. Am Donnerstagabend begeisterte der 37-jährige Österreicher das Publikum im Stadttheater Landsberg. Und das mit mehr als einem Herrn Karl.

Landsberg - Der Vorhang ist schon offen. Auf der Bühne ein Tisch, zwei Stehpulte, an ihnen stehen und sitzen Puppen. Vier denkt man am Anfang, so unauffällig gliedert sich Habjan zwischen seine Puppen-Helden, sichtbar erst, als er sich bewegt. Der Regisseur und Schauspieler (und ja, auch Kunstpfeifer und Sänger) bringt nicht einfach das Stück von Qualtinger und Carl Merz auf die Bühne - sondern seine Schubert-Theater-Eigenbearbeitung. Und die macht aus einem Herrn Karl gleich drei. Plus Habjan als ‚Hilfskellner‘.

Nikolaus Habjan in Landsberg: Wiener Schmäh in Perfektion

Der Inhalt: Der Feinkostmagazineur „Herr Karl“ erzählt sein Leben: das des opportunistischen Kleinbürgers in Österreich, der sich strotzend - fast erstickt er an seiner Selbstüberzeugung -, manövrierend, liederlich Komplimente heischend und als perfekter Mitläufer jeder politischen Richtung vom Ende des ersten Weltkriegs bis zum Ende der Besatzungszeit durchs Leben laviert. Wiener Schmäh in Perfektion. Wobei Habjan noch ein paar aktuelle Bezüge einbaut, wenn beispielsweise das Feinkostmagazin inzwischen vegan ist.

Dass Habjan den Herrn Karl auf drei Figuren ausweitet, trägt ungemein zur Unterhaltung bei. Vor allem aber zeigt es dessen Wesen, die Wandelungen des Herrn Karl. Mal der kettenrauchende und nur ungern dienende Kellner unter der Fuchtel seiner Chefin, die er stets hinterrücks runterputzen muss. Mal der Gast, der sich erinnernd und in der Erinnerung selbstmitleidig verlierend langsam zur Besinnungslosigkeit säuft. Und die verruchte ältere Frau im Glitzerkleid und blaudickem Lidschatten, den feschen Polizisten huldigend, „aber der Einmarsch der Deutschen, wie die Heuschrecken. Schrecklich.“

„Der Herr Karl“: Habjan macht aus Puppen Menschen

Die Puppen baut Habjan selbst. Schenkt ihnen schwülstige Lippen und Glitzeraugen, den schmalen Schnurrbart samt schiefen Brauen, verknotete Gichtfinger oder das Marlene-Dietrich-Muttermal. Schon allein das Aussehen macht aus ihnen Personen. Und dazu dann noch Habjans Puppenspiel - zum Niederknien: Nimmt er die Puppen von ihren von der Decke herabhängenden Haken, erzeugt jede (also Habjan) ihr personifiziertes Geräusch. Habjan raucht schmatzend mit dem Kellner, rülpst für den Gast und seufzt und schmachtet im Auftrag der weiblichen Herr-Karl-Ausprägung. Die Mundbewegungen der Klappmaulpuppen laufen absolut synchron mit denen Habjans - weshalb man den Puppenhalter und Sprecher komplett ‚übersieht‘: Die Puppen haben ein Eigenleben. Selbst seinen Körper dient Habjan den Puppen an und macht die buchstäblich körperlosen Figuren zu ‚vollständigen‘ Personen: Sein Bein wird das des Kellners, sein Arm hält das Glas des Gastes. Und als der Kellner sich über die halbohnmächtige Dame hermacht - „Immer mit Herz, bei mir ist immer a bisserl Herz dabei“ -, scheint Habjan vor Scham in der Unsichtbarkeit zu versinken.

Dazu kommt noch die Interaktion der Puppen - einerseits mit Habjan (‘Sei still, ich weiß den Text“), andererseits die der Puppen mit dem Publikum. Ein Handy klingelt? Herr Karl liest Ihnen die Leviten. Husten? Das ist ja widerwärtig! Und wenn sich dann unweigerlich der hysterische Lachwahn beim Zuschauer regt, legt der Herr Karl mit seinem Anraunzen erst richtig los.

Der österreichische Puppenbauer und -spieler präsentiert mit Herrn Karl nicht zuletzt seine Wandelbarkeit. In Landsberg begeisterte er bereits mit „F. Zawrel – erbbiologisch und sozial minderwertig“, einem eindringlich ruhigen, ernsten Abend. Mit dem Herrn Karl reist Habjan zum schrillen, bösen Humor. Beides überzeugt. Beides wird bejubelt. Und beides regt zum Nachdenken an. Denn irgendwie sind wir doch alle ein bisschen „Der Herr Karl“.

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