Leo will ohne Angst leben: Erster CSD in oberbayerischer Kleinstadt - nach Angriffen auf die Community
Sich allein und unsichtbar fühlen – das ist für viele queere Menschen auf dem Land Alltag. Leo Köppl teilt in einem Gespräch, welche Bedeutung Sichtbarkeit für die LGBTQ+-Community hat.
Wenn man sich jahrelang wie die einzige queere Person in der Umgebung fühlt, wird Sichtbarkeit zur Befreiung. Am 26. Juli findet in Wolfratshausen der erste Christopher Street Day statt – mitten im ländlichen Oberland. Für Leo Köppl, Teil des Organisationsteams und der LGBTQ+-Community, ist das mehr als nur ein Fest: Es ist ein politisches Statement, ein Akt der Solidarität – und ein Zeichen gegen das Alleinsein. Im Interview spricht Leo (siehe Kasten) darüber, wie es ist, im ländlichen Raum queer zu leben, warum Sichtbarkeit so wichtig ist – und was sich dringend ändern muss.
„Wir sind hier – und wir haben das Recht, sichtbar zu sein“
Leo, warum war es Ihnen so wichtig, dass es hier im ländlichen Raum einen eigenen CSD gibt?
Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie einsam und unsichtbar man sich als queere Person auf dem Land fühlen kann. Der CSD in Wolfratshausen soll ein Zeichen sein: Wir sind hier, wir leben hier – und wir haben das Recht, genauso sichtbar zu sein wie in jeder Großstadt. Mir war wichtig, einen Raum zu schaffen, in dem wir nicht nur für unsere Rechte einstehen, sondern uns auch gegenseitig stärken können. Gerade in kleineren Städten fehlt oft so ein Moment der kollektiven Sichtbarkeit.
Wie empfinden Sie es, auf dem Land queer zu sein? Wie unterscheidet sich das, Ihrer Meinung nach, zu Großstädten?
Auf dem Land queer zu sein bedeutet oft: Man ist „die eine“ queere Person, oder glaubt es zumindest. Das kann sehr einsam machen – besonders, wenn es keine sichtbaren Vorbilder oder Treffpunkte gibt. In Großstädten ist man nicht so schnell „der/die/dey erste“ oder „der/die/dey einzige“, und man findet schneller Anschluss an eine Community. Auf dem Land muss man sich viel öfter erklären – und das kostet Kraft. Aber es hat auch Potenzial: Man kann hier wirklich etwas verändern.
Pronomen
Zur Erklärung: Leo Köppl verwendet nicht nur ein Pronomen – wie „er“ oder „sie“, sondern alle. Am liebsten ist Leo, wenn man diesen Namen verwendet. Wenn Leo in diesem Interview von „der/die/dey“ spricht, ist das eine gängige nicht-binäre Pronomenkombination aus der Community der queeren Personen. Einige nicht-binäre Menschen bevorzugen diese oder andere geschlechtsneutrale Pronomen, um ihre Identität auszudrücken, während andere gar keine Pronomen verwenden möchten oder andere Formen bevorzugen.
In vergangener Zeit gab extremistische Angriffe – zum Beispiel auf ein Cafe in der Altstadt Wie beeinflusst so etwas das Sicherheitsgefühl der queeren Community?
Mich persönlich hat dieser Vorfall sehr mitgenommen. Mein Sicherheitsgefühl hat sich seitdem stark verändert. Ich habe deutlich mehr Angst – besonders nachts, aber auch tagsüber. Ich überlege zweimal, ob ich alleine durch die Stadt gehe, und spüre oft Anspannung, wenn ich einfach nur sichtbar queer bin. Solche Vorfälle zeigen, wie notwendig Sichtbarkeit und Solidarität sind – aber auch, wie dringend wir Schutz und klare Zeichen gegen Queerfeindlichkeit brauchen.
Haben Sie das Gefühl, dass sich die Region in den letzten Jahren in Sachen Akzeptanz verändert hat?
Ehrlich gesagt nehme ich die Entwicklung derzeit eher kritisch wahr. Es gibt zwar einzelne Fortschritte und engagierte Menschen, aber gefühlt schlägt uns queeren Menschen aktuell wieder mehr Ablehnung und Feindseligkeit entgegen als noch vor ein paar Jahren. Queerfeindliche Aussagen, Desinformation und offene Ablehnung nehmen spürbar zu – nicht nur im Internet, sondern auch im Alltag und auch auf politischer Ebene. Das macht vielen queeren Menschen Angst, mir eingeschlossen. Gerade deshalb ist es so wichtig, jetzt sichtbar zu bleiben und nicht nachzugeben. Der CSD ist für mich ein Zeichen: Auch wenn die Stimmung schwieriger wird, wir sind da – und wir lassen uns nicht zurückdrängen.
Was wünschen Sie sich für queere Menschen hier in der Region?
Ich wünsche mir, dass queere Menschen hier ohne Angst und ohne dauerndes Erklären leben können. Dass sie nicht überlegen müssen, wo sie sich outen können – sondern ob sie es wollen. Und ich wünsche mir, dass queere Jugendliche sehen: Sie sind nicht allein. Es gibt Platz für sie – auch hier, direkt vor ihrer Haustür. Und dass niemand Angst haben muss alleine durch Wolfratshausen zu laufen, sondern jede queere Person weiß und gezeigt bekommt, sie ist hier willkommen.
Können Sie in zwei einfachen Sätzen erklären, was es für Sie ganz persönlich bedeutet, sich als queer zu definieren?
Queer zu sein heißt für mich, frei über meine Identität und mein Leben entscheiden zu können – ohne Schubladen, ohne Entschuldigung. Es ist eine Haltung, die Vielfalt zulässt – und das Recht, ich selbst zu sein, nicht mehr und nicht weniger.