Von den Nazis nach Auschwitz deportiert: Eine Hommage an den „Ghetto-Swinger“

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Die Musik von „Coco“ Schumann spielten (v. li.) Matthias Gmelin, Benni Schäfer, Alex Czinke und Titus Vollmer. © Sabine Hermsdorf-Hiss

Der Badehausverein lud zum Gedenken an den jüdischen Jazzmusiker Heinz Jakob Schumann ein. Es war ein bewegender Konzertabend.

Wolfratshausen – 80 Jahre ist es her, dass der jüdische Jazzmusiker „Coco“ Schumann in das Lazarett in Föhrenwald kam. Kürzlich war seine Musik im Erinnerungsort und Dokumentationszentrum Badehaus in Waldram zu hören.

Im Gedenken an Heinz Jakob „Coco“ Schumann spielten Musiker aus der Region bekannte Jazz-Standards und Stücke des Gitarristen selbst. Die kürzlich mit dem Oberbayerischen Kulturpreis ausgezeichnete Badehaus-Vorsitzende Dr. Sybille Krafft (wir berichteten) gab zuvor eine kurze Einführung in „Cocos“ Leben – und ließ ihn selbst durch ein kurz vor seinem Tod aufgezeichnetes Interview sprechen.

Als Minderjähriger trat er in illegalen Jazz-Bars auf

1924 geboren schloss er sich mit zwölf Jahren der „Swing-Jugend“ an, eine Gruppe, die trotz Verbots Swing hörte und spielte. Schon als Minderjähriger trat Schumann mit Schlagzeug und Gitarre in illegalen Jazz-Bars auf. Mit 19 Jahren wurde er deswegen verhaftet und in das Ghetto Theresienstadt gebracht. Dort reihte er sich bei den „Ghetto-Swingers“ ein und spielte ironischerweise für NS-Soldaten Swing. Im Jahr darauf nach Auschwitz deportiert, musste er mit einem Ensemble spielen, während Kinder aus dem Lager in die Gaskammer getrieben wurden, berichtete Schumann in dem Interview mit gebrochener Stimme.

Als „Ghetto-Swinger“ wurde Heinz Jakob Schumann bekannt. Ihm widmete das Badehaus in Wolfratshausen jetzt einen Konzertabend.
Als „Ghetto-Swinger“ wurde Heinz Jakob Schumann bekannt. Ihm widmete das Badehaus jetzt einen Konzertabend. © Sabine Hermsdorf-Hiss

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Nach der Befreiung vom Todesmarsch in Buchberg wurde „Coco“ am Ende seiner Kräfte in das Lazarett nach Föhrenwald geschickt. Er kaufte sich nach seiner Genesung in Wolfratshausen seine erste „Nachkriegsgitarre“, mit der er nach Berlin aufbrach. Von der Zeit im Konzentrationslager sprach er nachdenklich, jedoch versuchte er, kein „Berufs-KZler“ zu sein, wie er es nannte. „Ich bin kein KZler, der Musik macht, sondern ein Musiker, der im KZ war“, betonte er. Bald fing der erste Elektro-Gitarrist Deutschlands wieder an, Musik zu machen. Das Stück „Meine Gitarre erzählt“ interpretierten im Badehaus Benni Schäfer (Kontrabass), Titus Vollmer (Gitarre) und Matthias Gmelin (Schlagzeug) stimmungsvoll.

Das Leben hat sich unglaublich böse, aber auch entsetzlich schön gezeigt.

Als Alex Czinke als Überraschungsgast dazustieß, wechselten die zwei Gitarristen sich in ihren Soli ab. Die Musiker wählten ein abwechslungsreiches Programm, das der Stimmung des Abends gut entsprach – von Gershwins melancholischem „Summertime“, über Schumanns frechem „Coco nuts“ bis zu einem anrüchigen „Stripper-Blues“. Wie „Cocos“ Repertoire und Leben war der Abend vielfältig – und mit ihrer mal traurigen, mal fröhlichen Stückauswahl hielten die Jazzer das Gedenken an Schumann in Ehren. Trotz der Grausamkeiten, die der Musiker erlebte, verlor er nie den positiven Blick auf die Welt.

Krafft zitierte den am 28. Januar 2018 in Berlin verstorbenen Jazzmusiker und Gitarristen: „Das Leben hat sich unglaublich böse, aber auch entsetzlich schön gezeigt.“ Tamina Schwenger

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