Ringen um die Bezahlkarte – Länder drängen auf Rechtssicherheit

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Geflüchtete sollen Einkäufe in Zukunft mit einer Karte bezahlen. Doch der Streit um Regelungen für Asylbewerber ist nicht beendet.

Berlin – Die umstrittene Bezahlkarte für Geflüchtete soll noch in diesem Jahr kommen; erste Ausschreibungen haben bereits begonnen. Auch wenn die Ampel-Koalition zunächst entschlossen war, das Vorhaben gemeinsam mit den Ländern rasch anzugehen, bremst die Frage nach der rechtlichen Absicherung die Umsetzung vorerst aus.

Bereits im November 2023 war - bei einem Treffen der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) - die Einführung einer bundesweiten Bezahlkarte vereinbart worden. Die Details wurden daraufhin von einer Arbeitsgruppe ausgelotet, die von der Ministerpräsidentenkonferenz eingesetzt worden war; ein Prozess, der Ende Januar dieses Jahres abgeschlossen war. Inzwischen läuft die gemeinsame Auftragsvergabe, an der sich 14 der 16 Bundesländer beteiligen. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern gehen beim Vergabeverfahren hingegen einen Sonderweg.

Bezahlkarte statt Bargeld - Weniger Verwaltungsaufwand für Kommunen oder „Diskriminierungsinstrument“?

Das Funktionsprinzip der Karte ist trotzdem in allen Bundesländern gleich: Geflüchtete sollen, solange ihr Asylantragsverfahren noch nicht abgeschlossen ist oder nur ein Duldungsstatus vorliegt, weniger Bargeld von den Kommunen bekommen. Einkäufe sollen stattdessen von einer Karte mit Debit-Funktion bezahlt werden. Diese Debitkarte ist nicht mir einem Konto verknüpft; sie wird per Überweisung von den Sozialbehörden an Banken regelmäßig mit Guthaben aufgeladen. Jedes Bundesland entscheidet über die Höhe des Barbetrags sowie über weitere Zusatzfunktionen und Einschränkungen selbst. Überweisungen und ein Einsatz im Ausland sind grundsätzlich nicht vorgesehen.

Laut der Ministerpräsidentenkonferenz erhofft man sich davon, „den Verwaltungsaufwand bei den Kommunen“ zu senken, sowie „die Möglichkeit, Geld aus staatlicher Unterstützung in die Herkunftsländer zu überweisen“ zu unterbinden. Somit wolle man auch der „menschenverachtenden Schlepperkriminalität“ entgegenwirken. Die Organisation Pro Asyl sieht die Bezahlkarte hingegen als „Diskriminierungsinstrument“, das Geflüchteten das Leben in Deutschland schwerer mache und oft „auch mit der öffentlichen Diffamierung der Betroffenen verbunden“ sei.

Bezahlkarte für Asylbewerber
Eine Bezahlkarte wird bei einer Pressekonferenz gezeigt. © Bodo Schackow/dpa

Länder wollen „effektive und flächendeckende Lösung“ - Jetzt ist die sich Ampel-Koalition uneins

Andere, darunter Finanzminister Christian Lindner (FDP), heben immer wieder darauf ab, dass man die Attraktivität Bundesrepublik als Fluchtziel durch eine solche Bezahlkarte verringern wolle. Migrationsforschende widersprechen und sagen, die staatlichen Leistungen seien nicht der Hauptgrund, warum Menschen ihre Heimat verlassen und nach Deutschland kommen. Für die Theorie, dass Migration tatsächlich durch sogenannte Push- und Pull-Faktoren angeregt wird, gebe es keine ausreichenden Belege.

Was sind Push- und Pull-Faktoren? Warum sind sie umstritten?

Push-Faktoren sind negative Aspekte oder Bedingungen, die Menschen dazu veranlassen, ihren aktuellen Wohnort zu verlassen. Diese Faktoren drängen die Menschen buchstäblich „weg“ (pushen) und können verschiedene Formen annehmen, darunter wirtschaftliche, soziale, politische oder ökologische Gründe. Beispiele für Push-Faktoren sind Arbeitslosigkeit, Armut, politische Instabilität, Konflikte, Naturkatastrophen oder mangelnde Bildungsmöglichkeiten.

Pull-Faktoren sind positive Anreize oder Bedingungen, die Menschen dazu veranlassen, sich an einem bestimmten Ort niederzulassen. Diese Faktoren ziehen Menschen buchstäblich „an“ (pullen) und können beispielsweise bessere wirtschaftliche Möglichkeiten, politische Stabilität, höhere Lebensqualität, Bildungschancen oder ein sichereres Umfeld umfassen.

Die Theorie geht auf den US-amerikanischen Soziologen Everett Lee zurück und stammt aus den 1960er-Jahren. Lee versuchte damals, universelle Faktoren für Migrationsbewegungen aufzustellen. In der Migrationsforschung gilt die Theorie längst als überholt, auch wenn sie immer wieder hervorgeholt wird. Zum einen stellt die Theorie ökonomische Fluchtursachen stark in den Vordergrund. Zum anderen stellt sie die Realität und die aus ihr resultierenden Fluchtentscheidungen oft zu stark vereinfacht dar.

Trotz der Kritik waren Ampel-Koalition und Bundesländer sich einig, dass die Bezahlkarte eingeführt werden muss. Man brauche „eine effektive und flächendeckende Lösung zur Bezahlkarte, die rechtssicher ist“, so Tobias Rösmann, der Sprecher der hessischen Landesregierung. Bei der Frage, ob es für die Karte einer bundesgesetzliche Regelung bedarf, entzweite sich die Koalition zuletzt jedoch. Während SPD und FDP eine gesetzliche Regelung für notwendig halten, stemmen sich die Grünen dagegen, da sie die vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten für ausreichend halten. Ricarda Lang (Grüne) verwies gegenüber der Bild darauf, dass alle notwendigen Voraussetzungen und Optionen bereits vorhanden seien – schließlich laufe die Umsetzung „in der Realität“ bereits.

Kretschmann sieht keinen Grund für Zweifel an Bezahlkarte - Trotzdem verläuft die Einführung chaotisch

Die Länder drängen hingegen auf Rechtssicherheit - so auch Winfried Kretschmann (Grüne), der baden-württembergische Ministerpräsident. „Ich bin da klar aufgestellt: Die muss rechtssicher sein“, so Kretschmann. Werde die Karte eingeführt und dann erfolgreich beklagt, zeige man als Staat, dass man „in solchen Fragen nicht handlungsfähig ist“. Er habe „keinen Grund, daran zu zweifeln“, dass eine bundesgesetzliche Regelung notwendig sei. Immerhin habe Florian Stegmann, Chef der Staatskanzlei Baden-Württemberg, dies „ja mit den anderen geprüft und mitverhandelt“.

Andere Landesoberhäupter sind ähnlicher Meinung und fordern die Umsetzung der Abmachung zwischen Bund und Ländern, bevor sie das Vorhaben angehen. Lediglich vier Bundesländer sind anderer Meinung. Bayern hält die Bezahlkarte schon jetzt für rechtskonform, wie Florian Herrmann (CSU) gegenüber der Bild klarstellte. In Hamburg läuft die Karte schon jetzt als Pilotprojekt - genau wie in Thüringen. Mecklenburg-Vorpommern hat bereits am Donnerstag (22. Februar) die Ausschreibung gestartet, auch wenn die Rechtslage noch nicht eindeutig ist. (tpn)

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