Einmal Pop-Olymp und zurück: Aufstieg und Absturz der Spider Murphy Gang

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Die Spider Murphy Gang: Franz Trojan, Günther Sigl, Barny Murphy und Michael Busse (v. li.). © Istvan Bajzat / dpa

Rock’n’Roll, Drogen und Naivität: Wie aus der Spider Murphy Gang Superstars und teilweise tragische Figuren wurden: Eine rührende Doku widmet sich der Band.

Am Anfang sieht man Günther Sigl und Barny Murphy kurz vor einem Konzert. Die Luft knistert, draußen lärmt die Menge vor Erwartung. Aber die beiden hinter den Kulissen bleiben cool. Der Gitarrist steckt sich eine Fluppe an, der Sänger gibt dem Roadie Anweisungen, wann er seinen Bass stimmen soll. Ein letzter Schluck aus dem Steinkrug, ein Augenzwinkern in Richtung Kamera – und Sigl ruft mit seiner unkaputtbaren Bubenstimme ins Publikum: „Wo seid Ihr?“ Da sind sie ja – frenetischer Applaus. Die alten Herren spielen „Skandal im Sperrbezirk“, und immer wieder flackern passgenaue körnige alte Live-Bilder aus der Mitte der Achtziger in den Auftritt. „Moral! Skandal!“, der Song bleibt für immer jung. 40 Jahre sind vergangen, die Gesichter sind faltiger geworden – aber die Spider Murphy Gang gibt es immer noch.

Der erste Song, den Barny spielte, war „Smoke on the Water“

„Glory Days of Rock’n’Roll“ heißt die Dokumentation von Jens Pfeifer aus dem Jahr 2019, mit der das Bayerische Fernsehen an diesem Donnerstagabend um 23.30 Uhr seinen Musiksommer startet (siehe Kasten). Sigl und Murphy (bürgerlich Gerhard Gmell) sitzen am Chinesischen Turm, kraxeln durch die Ruine des „Schwabinger Podiums“ an der Siegesstraße, wo sie einst auftraten, hören mit leuchtenden Augen alte Platten und erinnern sich während dieser anderthalb Stunden an die alten Zeiten, die nicht immer nur gut waren.

Erinnern sich an wilde Zeiten: Günther Sigl (li.) und Barny Murphy im Dokumentarfilm „Glory Days of Rock’n’Roll“
Erinnern sich an wilde Zeiten: Günther Sigl (li.) und Barny Murphy im Dokumentarfilm. © „Glory Days of Rock’n’Roll“

Das Bayerische Fernsehen hat den Vorteil, die Band von Anfang an begleitet zu haben, die Doku wuchert mit alten Aufnahmen und Interviews. Aus der Zeit, wo sie noch keine routinierten alten Hasen waren. Und so erzählen die Gründungsmitglieder Michael Busse (Keyboard) und Schlagzeuger Franz Trojan, wie sie die anderen kennengelernt haben. Sigl selbst erinnert sich an sein erstes Treffen mit Murphy – im Übungsraum an der Harthauser Straße in Harlaching. „Du hast gspuit, i woaß no wia heit: Smoke on the Water.“ Murphy, sichtlich peinlich berührt: „Echt?“ Gelächter. Ein alter Mitschnitt zeigt die Band 1978 bei einer ihrer ersten Shows im „Memoland“. Benannt haben sie sich nach dem schlimmen Finger Spider Murphy aus Elvis’ „Jailhouse Rock“.

Der Bayerische Rundfunk zwang die Band geradezu, auf Bairisch zu singen – es wurde das Erfolgsrezept

BR-Moderator Georg Kostya zwang die Gang quasi, bairisch zu singen, als er sie als Hausband für seine neue Reihe „Rockhouse“ verpflichtete. Als sie sich von „Skandal um Rosi“ des Schlagersängers Erik Silvester inspirieren ließen, wurde die Neuausrichtung zur Goldgrube. Von München ging es in den Pop-Olymp. „In dieser Zeit war jeder Auftritt magisch“, erinnert sich Busse heute. Man passte sowohl zur Neuen Deutschen Welle als auch zum Rockabilly-Revival. „Die erste Million war ein Schock“, sagt Murphy. Man besuchte die DDR (Sigl und Murphy schauen sich amüsiert die alten Stasi-Akten von der Reise an), man drehte einen Film, der Fiskus klopfte an – und das meiste Geld war wieder weg.

Die tragischen Seiten lassen also nicht auf sich warten. Franz Trojan erinnert sich in seinem ärmlichen Exil in NRW an seine Exzesse. „Barney ist in meiner Kokain-Zeit immer ausgeflippt, weil ich so schnell gespielt habe. Ich habe mich aufgeführt wie ein Geisteskranker.“ Sigl zahlte ihm 500 000 Mark aus und warf ihn aus der Band, Trojan starb 2021 verarmt. Busse stieg 1986 aus, weil er es nicht mehr ertrug, wie die Band sich immer mehr dem Pop-Zirkus unterwarf.

Aufstieg und Absturz zum Trotz: Heute spielen die Musiker stolz die alten Hits

Und so lebt die Doku vor allem vom berührenden Kontrast zwischen den Zeiten unfassbarer Berühmtheit und dem Heute, wo die Band kleine Semmeln backt – und in Bierzelten und bei Vereinsfesten stolz die alten Hits aufführt, auch wenn’s im Rücken knackt.

Die beiden verbliebenen Alpha-Tiere kommen dabei rüber wie Brüder: „Ich würde gerne ein paar neue Nummern spielen“, sagt Murphy. „Aber Günther mag nicht mehr proben.“ Sigl sagt: „Der Barny ist immer mit nix zufrieden und red mir immer drein.“ Sie widmen sich dann doch noch einem neuen Stück von Sigl: „Glory Days of Rock’n’Roll“, heißt es, über die gute alte Zeit. Murphy ist nicht beeindruckt. „Das klingt ja wie ein Grablied.“ Sie spielen es dann doch, unpluggend in der Münchner Philharmonie. Es erntet Riesenjubel.

Irgendwann stehen die beiden im Foyer des Circus Krone, wo sie dutzende Male aufgetreten sind, und blicken auf die Schaukästen. „Die Elefanten wird’s auch bald nicht mehr geben“, sagt Sigl. Worauf Murphy zur Tür geht und sagt: „Ich geh dann mal eine rauchen.“ Sigl lacht sich kaputt. 50 Jahre sind sie jetzt zusammen, obwohl sie sich andauernd so fetzen. „Der Günther ist in meinem Herzen“, sagt Murphy. „Wenn der Barny ein Problem hätte, dann wär ich da“, sagt Sigl. Sie schauen sich an, und dann dreschen sie vor leeren Rängen so leidenschaftlich in die Saiten, dass es qualmt. A boarischer Rock’n’Roller gibt ned auf.

Der BR-Musiksommer

An jedem späten Donnerstagabend im August zeigt das Bayerische Fernsehen faszinierende Musik-Dokumentarfilme. Bis Ende des Monats stehen neben „Glory Days of Rock’n’Roll“ ㈠(1. August, 23.30 Uhr) noch „Haindling – und überhaupts…“ von Toni Schmid (8. August, 23.30 Uhr), „Dreiviertelblut – Weltraumtouristen“ von Marcus H. Rosenmüller (15. August, 23.45 Uhr), „Wo bist du, João Gilberto?“ von Georges Gachot (22. August, 23.30 Uhr) und „Super Duper Plastic Man – Die vergessene Funk-Legende Ike White“ von Daniel Vernon (29. August, 23.30 Uhr) auf dem Programm. Alle Filme sind nach der Ausstrahlung auch in der ARD-Mediathek abrufbar.

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