„Mit Hass, ohne Respekt“: Französische Tuning-Kits machen Luftschläge gegen Putin möglich
Die Ukraine kann zum Gegenschlag ausholen – mit dem „Hammer“. Frankreich macht Bomben mit Raketen smart, und die F-16 könnte sie nach Russland tragen.
Awdijiwka – „Für die Kinder von Odessa. Mit Hass, ohne Respekt“, soll die Aufschrift bedeuten; das berichtete das ukrainische Militärblog Militarnyi über einen unerwarteten Coup der Ukraine: Den erfolgreichen Einsatz französischer gelenkter Bomben gegen die Truppen von Wladimir Putin. Die Kiew Post macht daraus jetzt eine „Eine neue Facette für die ukrainische Luftwaffe“. Tatsächlich scheint die Ukraine aktuell mit gleicher Münze zu vergelten, was Russland schon seit mehr als einem Jahr praktiziert: Den Gegner empfindlich zu treffen von weit außerhalb seiner Abwehrreichweite – mit Sprengkörpern, die Gleitbomben und Marschflugkörpern gleichermaßen ähneln.
Frankreich hat die ukrainische Luftwaffe anscheinend enorm ertüchtigt; aber wie viel Waffen nach Emmanuel Macrons verlorener Europawahl noch die Ukraine erreichen werden, bleibt abzuwarten. Er hat die Nationalversammlung aufgelöst und steht vielleicht selbst bald zur Debatte.
Am 6. März habe die russische Nachrichtenagentur Tass gemeldet, laut Auskunft des russischen Verteidigungsministeriums sei eine AASM-Waffe abgefangen worden, schreibt das Magazin Aviation Week. Am 3. März hatte die ukrainische Luftwaffe nach eigenen Angaben die französischen Raketen gegen russische Stellungen auf dem Gelände einer Kokerei bei Awdijiwka eingesetzt, so Militarnyi. Im April wollen russische Militärblogger so eine Rakete auch über Cherson gesichtet haben.
Aktuell berichten verschiedene Medien darüber, dass die Ukraine Gleitbomben französischer Produktion wohl inzwischen systematisch einsetzt: „Ukrainische Su-25 jetzt mit französischen Hammer-Bomben bewaffnet“, schreibt das Online-Magazin Defence Blog. Damit kann auch die ukrainische Luftwaffe statt schlicht frei fallender Bomben nun auch smarte Waffen aus sicherer Entfernung einsetzen: „Das AASM HAMMER-System verwandelt frei fallende, ungelenkte Bomben durch die Integration eines Lenkabschnitts und eines Raketenboosters in präzisionsgelenkte Munition“, schreibt Defence Blog. Aber damit nicht genug.
„Es würde mich nicht überraschen, wenn die Ukrainer die F-16 nutzen würden, um den Kampf nach Russland zu tragen, indem sie einige sehr tiefe Angriffe auf strategische Ziele in Russland durchführen.“
Die Ukraine will auch die kommenden F-16-Bomber so umrüsten, dass die französische Bewaffnung darunter passt. Anfang diesen Jahres hatte Frankreich angekündigt, pro Monat 50 Stück liefern zu wollen, insgesamt 600 bis zum Jahresende 2024. AASM HAMMER ist die französisch-englische Abkürzung für „Armement Air-Sol Modulaire“ (Modulare Luft-Boden-Waffe) – „Highly Agile Modular Munition Extended Range“, die englische Zusatzbezeichnung. Wie das Magazin futurezone erklärt, steckt hinter Hammer ein Tuning-Kit, um normal frei fallende Bomben in Bewegung zu setzen: „Bei Hammer wird die Bombe aber nicht nur mit einem Zielsuchkopf und Leitwerk ausgestattet, sondern auch mit einem Raketenantrieb. Die Bombe wird somit zu einem Marschflugkörper. Hammer ist für mehrere Bombengrößen verfügbar. An die Ukraine wird vorerst wohl nur die Standardversion mit einer 250 Kilogramm schweren Bombe geliefert.“
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Die Waffe wird also intelligent. futurezone gibt die Reichweite der 250 Kilogramm schweren Sprengkörper mit 70 Kilometern an. Der nachgerüstete Raketenantrieb macht die Reichweite damit unabhängig von der Höhe, aus der die Bombe abgeworfen beziehungsweise ausgeklinkt wird. futurezone stellt auch die Frage der Trägersysteme – Frankreich nutzt dafür die Dassault Rafale – die von Frankreich zugesagten Mirage-Jets könnten diesen Waffentyp wohl ohne Modifikationen nicht tragen; ob diese Flieger ebenfalls modifiziert werden, bleibt offen; tauglich sind laut futurzone vor allem die in der Ukraine genutzten Mig-29 und Su-27. Die Umrüstung weiterer von der Nato genutzter Flugzeugmodelle scheint ebenfalls möglich, falls die in der Ukraine zum Einsatz kommen sollten.
Allerdings sieht das Magazin Defense Express Schwierigkeiten in der Umrüstung beziehungsweise Anpassung der verschiedenen Flugzeugtypen der Nato: „Dennoch wird die Vorstellung einer vollständigen Interoperabilität westlicher Flugzeuge oft überschätzt. Probleme können aufgrund von Softwareanforderungen auftreten. Dies war beispielsweise der Fall, als sich Großbritannien verpflichtete, Paveway-IV-Bomben an die ukrainische Luftwaffe zu liefern. Diese Waffe musste ebenfalls an die F-16 angepasst werden.“
Auch die jetzt kommenden us-amerikanischen F-16 sollen für diesen Waffentyp konditioniert werden – der Defence Express vermisst die Logik dahinter – zumal Thomas Gassilloud die Integration der Waffe in das Flugzeug als „erhebliche Arbeiten“ beschreibt. Im Mai hatte das Magazin den französischen Parlamentsabgeordneten und Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses damit zitiert. Für den Defence Express seien die Modifikationen zusätzlicher Maschinen zu aufwändig gegenüber den mit 600 Stück insgesamt wenigen zugesagten französischen Bomben. Die Kiew Post berichtet, der AASM-Hersteller Safran Electronics & Defense habe erklärt, auch 90 Stück pro Monat liefern zu können, sofern die französische Regierung zustimme. Verhandlungen in diese Richtung sollen bereits laufen.
Insofern kalkuliert auch der Defence Express mit einer möglicherweise auf mehrere Jahre hin ausgelegten Zusammenarbeit. Ein Argument soll im Preis liegen. futurezone beziffert den Stückpreis auf rund 165.000 Euro, die französische Zeitung Liberation soll den Stückpreis anhand der Entwicklungskosten zur Indienststellung 2007 auf mehr als 300.000 Euro heruntergebrochen haben. Aber dennoch sei das Tuning-Kit ein Schnäppchen, schreibt futurezone über den Vergleich zum britisch-französischen Marschflugkörper Storm Shadow, dessen Preis das Magazin mit einer Million Euro beziffert – allerdings könne eine Storm Shadow rund eine halbe Tonne Waffenlast rund 250 Kilometer weit tragen. Die „Hammer“ sei mit 90 Kilogramm demgegenüber eher gemäßigt zerstörerisch – laut der Kiew Post könnten modifizierte Raketenmotoren die „Hammer“ auch bis zu 200 Kilometer weit tragen.
Offenbar fehlt aber eine Absichtserklärung Frankreichs, die leistungsstärkeren Modelle zu finanzieren. Die AASM bietet auch entwickelte Versionen, die sollen laut der Kiew Post 125, 500 und sogar 1.000-Kilogramm tragen können. Die Herstellerfirma Safran behauptet demzufolge, die Waffe würde den „taktischen Gamechanger“ darstellen und hätte eine Erfolgsquote von 99 Prozent. Laut dem britischen Telegraph hätten Gleitbomben das Potenzial dazu gehabt, den Verlauf des Ukraine-Krieges zu verändern. Allerdings scheint auch die Europawahl eine unbekannte Größe zu werden bezüglich der Lieferung der übrigen Waffen – immerhin bliebe Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auch nach einer Neuwahl mit veränderten Mehrheiten der Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Lenker der Außenpolitik. Innen- und wirtschaftspolitisch könnte Macron allerdings in neue Abhängigkeiten geraten.
Aktuell bescheinigt ihm die Presse eine gewisse Kriegslüsternheit: „Man hat den Eindruck, dass er Lust auf einen Krieg hat“, titelt beispielsweise Zeit Online. Analysten hatten ohnehin vermutet, dass Macron den starken Mann in Europa markieren wollte, um seine Chancen innenpolitisch zu erhöhen – was ihm jetzt misslungen ist. Insofern bleibt zu fragen, welche und wieviele Waffen noch aus Frankreich in die Ukraine geliefert werden. Auch die Lieferung von Mirage-Jägern war offenbar sein persönlicher politischer Coup: „Eine Überraschung, denn bis vor Kurzem hatten Vertreter der französischen Regierung stets erklärt, eine solche Lieferung sei technisch schwierig und militärisch sinnlos. Macron hat alle Bedenken beiseite gewischt“, betont Zeit-Autor Matthias Krupa.
Allerdings scheint die Zeit reif für einen massierten Gegenschlag tief in russisches Territorium hinein, wozu die westlichen Nationen der Ukraine bedingt freie Hand gelassen haben. Und auch die F-16 werde wohl eher als Artillerie am Himmel eingesetzt – das vermutet jedenfalls David Kern, wie Radio Free Europe den Testpiloten der US-Luftwaffe zitiert. Kern rechnet somit eher mit Angriffen ukrainischer Flieger auf russische Ziele – womöglich auch auf deren eigenem Territorium: „Es würde mich nicht überraschen, wenn die Ukrainer die F-16 nutzen würden, um den Kampf nach Russland zu tragen, indem sie einige sehr tiefe Angriffe auf strategische Ziele in Russland durchführen.“