„International nicht wettbewerbsfähig“ – Wichtiger Wirtschaftszweig in der Krise
Die Chemiebranche steht unter Druck. Experten bringen einen erhöhten Preisdruck aus China ins Spiel. Was steckt dahinter?
Ludwigshafen – In mehreren Branchen, darunter die Solarbranche und die Windkraft, zeigt sich bereits das Risikopotenzial einer chinesischen Dominanz. Auch die Chemiebranche wird zunehmend davon betroffen. Ein Symptom davon ist das angekündigte milliardenschwere Sparprogramm des Konzerns BASF. Finanzvorstand Dirk Elvermann hatte noch im Juli 2024 davon gesprochen, bis Ende 2026 jährliche Einsparungen von 2,1 Milliarden Euro erreichen zu wollen. Was ist los in der Chemiebranche?
Wirtschaftliches Tief in der Chemiebranche – chinesisches Dumping drückt die Preise
Voraussichtlich kann sich die Chemieindustrie auch im laufenden Jahr 2024 nicht aus dem wirtschaftlichen Tief befreien. Auf absehbare Zeit wird sie an einem massiven Überangebot aus China leiden. Die chinesischen Hersteller produzieren gewaltige Mengen – weitaus mehr, als, berechnet an der Inlandsnachfrage, nötig wäre. Ihre Lösung: Sie exportieren Chemikalien in Rekordmengen und haben damit einen Preisverfall innerhalb der Chemiebranche ausgelöst.

Die Details dazu hatte kürzlich eine Datenanalyse des branchenführenden Marktforschers ICIS in Kooperation mit dem Handelsblatt offenbart. Diesem zufolge sind die Überkapazitäten vor allem in der Basischemie aufgetreten, also zum Beispiel bei „einfachen Massenkunststoffen“. China soll seit 2020 „riesige Mengen“ an frischen Kapazitäten in Betrieb genommen haben und dränge jetzt auf den Weltmarkt. Allerdings ist die Nachfrage nach wie vor schwach, ein globaler Aufschwung habe noch nicht stattgefunden. Trotzdem drücke die chinesische Übermacht auf die Preise – und damit auf die Gewinnspannen der Hersteller.
Stimmung in der Chemie-Industrie „spürbar abgekühlt“ – Umsatz mit Chemikalien sinkt
Auch der Branchenverband der chemischen Industrie e.V. (VCI) hatte kürzlich warnende Worte ausgesprochen. In einer Verbandsmeldung teilte der VCI mit, die Stimmung in der chemisch-pharmazeutischen Industrie habe sich im August „spürbar abgekühlt“. Der Grund: Die Weltwirtschaft habe nicht im erhofften Maße Fahrt aufgenommen. Besonders betreffe dies das Chemiegeschäft.
„Derzeit wächst der Druck auf deutsche und europäische Hersteller“, sagte Wolfgang Große Entrup, der Hauptgeschäftsführer des VCI, zu IPPEN.MEDIA. „Die weltwirtschaftliche Flaute und die schwache globale Industrieproduktion sind der Grund dafür, dass die Nachfrage nach chemischen Produkten weltweit sehr schwach ist.“ Das sei keinesfalls nur ein kurzfristiges Problem – die Produktionskosten seien in Teilen der Grundstoffchemie „international einfach nicht mehr wettbewerbsfähig“.
China habe lange Jahre „massiv“ in neue Chemieanlagen investiert, um die heimische Industrie und den Markt zu versorgen. „Aktuell ist aber auch die chinesische Industrieproduktion und damit die inländische Chemienachfrage ins Stocken geraten, während gleichzeitig die Produktion weiter ausgeweitet wurde. Die entsprechenden Mengen werden nun auf dem Weltmarkt zu niedrigen Preisen abgesetzt.“ China sei zwar nicht die einzige Region, die eine solche Strategie fährt, andere Beispiele dafür sind die Golfstaaten. Allerdings bestehe bei China der Verdacht, dass die Überproduktion nicht nur auf Standortvorteilen beruhe, sondern „aus strategischen Überlegungen heraus staatlich gefördert wird“.
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China als gefährlichster Rivale – Produktion soll zurück nach Europa
Das verschärft die ohnehin schwierige Lage der deutschen Chemie. „Unfaire Praktiken“ sollten, so findet der VCI, vonseiten der Europäischen Union mit Sanktionen beantwortet werden. „Wir beobachten, dass sie zunehmend Schutzinstrumente einsetzt.“ Weiterhin wünscht sich der Verband eine gemeinsame Lösung mit China, um Überkapazitätsfragen zu klären und die internationalen Subventionsregeln weiterzuentwickeln. „Generell auf Abschottung zu setzen, halten wir aber für den falschen Weg.“
Die forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) sehen wiederum eine wachsende wirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands von anderen Regionen. Anhand einer vfa-Umfrage, durchgeführt in Kooperation mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey, habe gezeigt, dass auch viele andere Entscheider in Politik, Verwaltung und Privatwirtschaft ähnlich denken. Rund 80 Prozent hätten dieser Einschätzung zugestimmt.
Den größten Wettbewerber sehen 85 Prozent der Befragten in China. Die USA lagen mit 80 Prozent auf dem zweiten Platz. Das gefährde die Versorgungssicherheit. Allerdings gab es bereits Ansätze, um diese zu erhalten: und zwar eine umfassende Rückholung von Produktionsstätten nach Europa. Moderne Produktionswerke müssten entstehen, um Zulieferrisiken zu minimieren.
„Es muss Chefsache werden, unserem Standort zu neuem Glanz zu verhelfen“, stellte Wolfgang Große Entrup fest. „Konkret brauchen wir in Deutschland vor allem wettbewerbsfähige Energiepreise, einen Steuersatz für Unternehmen von maximal 25 Prozent und den Mut, unnötiger Bürokratie endgültig den Laufpass zu geben. Wenn wir diesen Aufbruch wagen, wird unser Standort auf den Wachstumspfad zurückkehren und wieder attraktiver für Zukunftsinvestitionen.“