„Boah, 160!“ Handyvideo belastet Sylvenstein-Raser vor Gericht

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„Mehrere Schutzengel im Dienst“: Bei einem nächtlichen Unfall im Juli 2024 gerieten Camper am Sylvenstein in Lebensgefahr. Der Verursacher sowie ein weiterer junger Mann sind wegen eines unerlaubten Kraftfahrzeugrennens angeklagt. © Karl-Josef Hildenbrand

Zwei Autos rasen nachts über die B307 am Sylvenstein. Unbeteiligte geraten in Lebensgefahr. Vor Gericht bestreiten die Fahrer, dass es ein illegales Rennen war.

Lenggries – „Da waren mehrere Schutzengel im Dienst in dieser Nacht“: Das sagte am Freitag ein 24-jähriger Polizist, der vor dem Amtsgericht Wolfratshausen zu einem Unfall in der Nacht zum 27. Juli 2024 in der Nähe des Sylvensteinsees aussagte. Tatsächlich hätte es auch mehrere Tote geben können, als ein damals 19-Jähriger aus Unterschleißheim mit seinem Honda unkontrolliert von der B307 auf einen Parkplatz schlitterte.

Anklage wegen unerlaubten Kraftfahrzeugrennens

Dort verfehlte er um Haaresbreite eine Gruppe junger Leute, und kollidierte schließlich mit einem geparkten VW, in dem ein 18-Jähriger schlief. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Unterschleißheimer und einem 22-jährigen Pullacher ein verbotenes Kraftfahrzeugrennen vor. Zudem sind sie der fahrlässigen Körperverletzung in sieben Fällen angeklagt.

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Dass sie in jener Nacht auf der B307 unterwegs waren, das bestätigten die beiden Angeklagten vor Gericht – stritten aber ab, dass es sich um ein Rennen gehandelt habe. Demnach kannten sich die beiden flüchtig aus einer Whatsapp-Gruppe für Freunde japanischer Autos. Am späten Abend des 26. Juli traf man sich auf einem Parkplatz im Gewerbegebiet Brunnthal, „um Musik zu hören und über die gemeinsamen Interessen zu reden“, sagte der 22-Jährige.

An den Sylvenstein wegen der Kurven

„Ich habe dann vorgeschlagen, an den Sylvenstein zu fahren und dort eine Runde zu drehen“, sagte der Unterschleißheimer. Die Strecke sei „schön“, sagte der Pullacher. „Aber es war dunkel“, hakte die Staatsanwältin nach. Es sei nicht um die Landschaft gegangen, sondern um die gut fahrbaren Kurven, präzisierte der Angeklagte.

Von Fall nach Vorderriß fuhr der Pullacher in seinem roten Mazda voraus, laut Staatsanwältin „mit sehr geringem Abstand“ gefolgt vom Unterschleißheimer in seinem blauen Honda. Beide Angeklagten sagten aus, dass sie mit rund 120 km/h unterwegs gewesen seien. Auf dem Rückweg fuhr der Jüngere voraus. Dabei habe er bis auf 150 Stundenkilometer beschleunigt, das Tempo vor Kurven aber auf 125 bis 130 reduziert. Als sein Beifahrer ihn gebeten habe, vom Gas zu gehen, habe er in einer Linkskurve gebremst. Dabei brach das Heck des Honda aus.

Auf einmal habe ich einen Schlag gespürt – von den nächsten zehn Sekunden weiß ich nichts mehr.

Das Auto drehte sich, schlitterte quer über einen Grünstreifen und auf einen Parkplatz neben der Straße. Dort hielten sich gegen 1.45 Uhr sechs junge Leute aus München auf. „Wir wollten am Sylvenstein campen“, schilderte einer von ihnen vor Gericht. „Aber dort hat uns ein Wildschützer weggeschickt.“ Die Gruppe beschloss daraufhin, in ihren Autos auf dem Parkplatz zu nächtigen. Fünf setzten sich noch zum Kartenspielen zusammen. „Ich war müde und habe beschlossen zu schlafen.“ Im VW habe er den Beifahrersitz umgeklappt und sich hingelegt. „Auf einmal habe ich einen Schlag gespürt – von den nächsten zehn Sekunden weiß ich nichts mehr.“

Laut Anklageschrift waren von den Kartenspielern vier gerade noch vor dem heranschlitternden Honda zur Seite gesprungen, ein fünfter wurde am Arm gestreift. Durch den Aufprall des Honda wurde der VW nach oben gedrückt und kam mit der Seite auf den Honda aufgeständert zum Stehen. Der Beifahrer im Honda erlitt einen Beckenbruch, der Fahrer selbst schwere Prellungen. Der im VW Schlafende trug Verletzungen im Gesicht davon. „Und alle anderen erlitten einen Schock und klagten in der Folge über Schlafprobleme“, so die Staatsanwältin.

Angeklagter kämpft mit den Tränen

Der Pullacher in seinem Mazda war nach eigenen Angaben zu jenem Zeitpunkt mit größerem Abstand hinter dem Honda gefahren. An der Unfallstelle sei ihm nur Schotter auf der Fahrbahn aufgefallen. Als sein Bekannter dann am vereinbarten Treffpunkt am Sylvensteinsee nicht anzutreffen war, habe sein Beifahrer versucht, diesen anzurufen, sagte der Pullacher. Dann erst sei er zurück zu dem Parkplatz gefahren und habe dort das Unfallszenario vorgefunden.

„War es ein Rennen oder nicht? Allein die gefahrene Geschwindigkeit ist da nicht ausreichend“, sagte vor Gericht der Anwalt des Mazda-Fahrers. Er argumentierte, dass sein Mandant dem Unterschleißheimer fahrerisch weit überlegen sei und verwies auf mehrere gewonnene Titel bei Go-Kart-Rennen. Außerdem sei der Mazda mit seinen 200 PS und Turbolader-Kitt – zugelassen in Tschechien, wo so etwas legal ist –, deutlich stärker als der Honda. Bei diesen ungleichen Verhältnissen „hat mein Mandant nie Ambitionen zu einem Rennen gezeigt. Für den Unfall ist er nicht verantwortlich und er hat sich in keiner Form strafbar gemacht.“

Nach dem Unfall wurde mir bewusst, dass ich jemanden hätte umbringen können.

Der Honda-Fahrer kämpfte vor Gericht immer wieder mit den Tränen. „Nach dem Unfall wurde mir bewusst, dass ich jemanden hätte umbringen können. Mir tut unendlich leid, was passiert ist“, sagte er. Seine Aussage, es habe sich um kein Rennen gehandelt, wurde jedoch durch ein Handyvideo infrage gestellt, das sein Beifahrer gedreht hatte und das im Gerichtssaal gezeigt wurde. Darin sind die Ausrufe zu hören „Boah, 160!“ und „Wir hängen den Andi (Name geändert) ab!“ Kurz darauf kracht es. Der Prozess wird kommende Woche fortgesetzt. (ast)

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