Wenn die Krim fällt: Putins möglicher Anlass für einen Angriff mit Atomwaffen

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Aufmunitioniert und atomwaffenfähig: ein russischer Kampfjet Su-34. Dieser Flugzeug-Typ ist auch auf der Krim stationiert und bietet einen Hinweis, dass Russland die Krim als Startpunkt für Angriffe mit Atomwaffen nutzen könnte. (Symbolfoto) © IMAGO / Depositphotos

Jedes verlorene Schiff macht Russland nervöser: Sergej Schoigu hat jetzt befohlen, die Krim zu verstärken – der Einsatz von Atomwaffen wird möglich.

Simferopol – Trotz der dauernden Bedrohung mögen die russischen Matrosen nicht den leisesten Schimmer gehabt haben, was da im Dunkel der Nacht auf sie zuraste. Ein Video-Zusammenschnitt aus Quellen des ukrainischen Geheimdienstes nährt die Vermutung, als hätte höchstens ein Matrose in letzter Sekunde das Feuer eröffnet. Aber das hatte ohnehin keine Bedeutung mehr gehabt: Die Magura 5-Überwasserdrohne schlug in der Backbordseite der Caesar Kunikow ein. Wahrscheinlich wurde das Kriegsschiff Russlands noch von zwei weiteren Drohnen getroffen – das Schiff sank am 14. Februar vor der Küste der Krim-Halbinsel. Ein weiterer Schlag der ukrainischen Verteidiger gegen Wladimir Putins Schwarzmeer-Flotte.

Jetzt hat der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu die Krim besucht und zur Stärkung der Verteidigung gemahnt, wie die Ukrainska Prawda schreibt. Schoigu hämmerte seinen Untergebenen ein, „sowohl tagsüber als auch nachts ständige Schulungen zur Abwehr feindlicher Terroranschläge durchzuführen“ sowie „die Überlebensfähigkeit von Schiffen und die Sicherheit der Infrastruktur im Verantwortungsbereich des Staates zu erhöhen“. Zudem befahl er darüber hinaus die Installation zusätzlicher Feuerwaffen, darunter schwere Maschinengewehr-Systeme, um Angriffsdrohnen zu zerstören.

Die Krim hat weiterhin das Zeug zum entscheidenden Schauplatz im Ukraine-Krieg zu werden, wie der Militärökonom Marcus Keupp im Interview mit der Tagesschau gesagt hat: „Die Krim ist nicht nur das logistische Zentrum, sie ist auch das militärische Kraftzentrum der ganzen russischen Operation gegen die Ukraine, und deswegen wird sie auch das große Finale des Krieges sein und möglicherweise schneller, als so mancher das erwartet hat.“ Die russischen Bemühungen scheinen das zu belegen: Die Washington Post will die russischen Befestigungsanlagen auf Bildern des Satellitendienstes Maxar genau verortet haben und addiert inzwischen mehr als 30 Kilometer an Schützengräben auf der Krim.

Gegenoffensive der Ukraine zur See: die schleichende Vernichtung von Russlands Schwarzmeer-Flotte

Nach Angaben russischer Medien hat das Militär mehr als 200 Objekte über die Halbinsel verteilt: Luftwaffenstützpunkte, Munitionsdepots oder Kasernen. Mehrere Zehntausend Soldaten sind angeblich dort stationiert. Der Hafen von Sewastopol ist der Stützpunkt der russischen Schwarzmeer-Flotte. Überall dort hatte die russische Invasionsarmee in einem Jahrhundertsturm offenbar enorme Verluste ohne Feindeinwirkung einstecken müssen. Der Schlag gegen das Patrouillenboot Caesar Kunikow war daneben der jüngste Streich der Ukraine gegen die Marine Russlands. Die Krim ist eine schwärende Wunde für beide Seiten.

Die verpuffte Gegenoffensive der Ukraine auf dem Land machen die Verteidiger auf See dagegen fast wieder wett – mit der schleichenden Vernichtung von Russlands Schwarzmeer-Flotte, wie Zeit Online urteilt: Ein Drittel davon sei zerstört oder beschädigt, teilte das Militär der Ukraine mit. 24 russische Kriegsschiffe und ein U-Boot seien außer Gefecht gesetzt worden. Unabhängige Beobachter lieferten mit 20 Schiffen und einem U-Boot eine nur geringfügig niedrigere Zahl. Die Krimtataren treiben den Preis für die Besetzung für Russland mit ihrem Partisanen-Krieg in beinahe unerschwingliche Höhen.

Russlands Demütigung der Krimtataren: Auslöser für den Aufstieg der Atesh-Partisanen

Indem man der Krim den Landweg abschneide und mit Fernwaffen Versorgungspunkte angreife, könne man versuchen, Russland das Halten der Krim untragbar zu machen, sagte beispielsweise Militärexperte Gustav Gressel im ZDF. Auf der Krim habe der Konflikt in 2014 begonnen, dort könne er irgendwann auch enden – oder auch für die Nato ein Böses Erwachen bedeuten. Die im Sommer 2022 gegründete Partisanen-Bewegung Atesh (auf Krimtatarisch „Feuer“) spielte wohl eine entscheidende Rolle für die ukrainischen Erfolge auf der Krim. Die erzwungene Rekrutierung von Menschen aus der Krim in die Moskauer Streitkräfte bot der entstehenden Widerstandsbewegung eine große Chance, die russische Armee von innen auszuhöhlen, schreibt Elina Beketowa vom Zentrum für europäische Politikanalyse. Das bekommt Russland jetzt zu spüren.

Russlands Präsident Wladimir Putin gerät auf der Krim mehr und mehr in Zugzwang, er will seine ehrgeizigen Ziele in die Zukunft retten: internationale Seemacht zu werden und Herrscher über das Schwarze Meer. Das Schwarze Meer ist die Nahtstelle zwischen der Russischen Föderation und der Nato. So schreibt der deutsche Fregattenkapitän Göran Swistek für den Thinktank Stiftung Wissenschaft und Politik: „Russland verfolgt im Schwarzen Meer seit Jahrhunderten sein Interesse an einem eisfreien und möglichst ganz­jährig warmen Zugang zu den vitalen See­verbindungswegen um Europa herum, der seinen Anspruch als Seemacht unter­mauert.“ Die ukrainischen Seedrohnen sowie die Aufklärung der Partisanen machen ihm diesen Anspruch streitig.

Putins Verstärkung der Krim-Besatzer bis 2025: Alarmsignal für die Nato

Bereits lange vor dem Beginn des Ukraine-Krieges hatte das Magazin European Security and Defence (ESD) ein Papier diskutiert, das belegen sollte, „wie Russland unter Verletzung internationaler Verträge diesen einst blühenden Ferienort in einen modernen Militärstützpunkt verwandelt und ihn sogar für den Einsatz von Atomwaffen vorbereitet hat“. Das 20-seitige Dokument war aufgetaucht im Rahmen des Forums für Sicherheitskooperation (FCS) der in Wien ansässigen OSZE (Organisation für Sicherheitskooperation in Europa).

Laut ESD bestanden im Jahr 2020 die russischen Streitkräfte auf der besetzten Krim aus 31.500 Soldaten – deutlich mehr als vor der Besetzung der Krim, die sich damals lediglich aus Angehörigen der russischen Schwarzmeer-Flotte rekrutiert hatte. Die ESD-Quelle ging auch ohne damalige Hinweise auf einen militärischen Konflikt davon aus, dass sich die Zahl der russischen Truppen bis 2025 um das 1,5-fache erhöhen würde, um Putin zu ermöglichen, umfassende Militäroperationen im Südwesten, auf See und an der Küste durchzuführen sowie im Luftraum über dem Asowschen und dem Schwarzen Meer bis hin zum Mittelmeer. Insofern hätten die Truppenverstärkungen auf eine Eskalation der Krim-Annexion hindeuten und die Nato zum zügigen Handeln zwingen können.

Moskaus Flaggschiff Moskwa: einstige Speerspitze der atomaren Bewaffnung der Krim

Laut dem ESD-Verteidigungskorrespondent Georg Mader wies dieses frühe Dokument Beweise aus, „dass luft- und seegestützte Mittel zur Lieferung von Putins Atomwafffen auf die Krim verlagert worden seien, während die alte Lagerinfrastruktur aus der Sowjetzeit in der Nähe von Feodossija und Sewastopol angeblich renoviert werde“ – beispielsweise auch der Flugplatz Baherove bei Kertsch. Mader erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass die Russische Föderation das Abkommen von 1997 mit der Ukraine über den Status der Schwarzmeer-Flotte einseitig gekündigt habe. Gemäß Artikel 5 dieses Abkommens hattet sich die Russische Föderation verpflichtet, keine Atomwaffen der auf dem Territorium der Ukraine stationierten Schwarzmeer-Flotte der Russischen Föderation zu besitzen. Moskau hätte dennoch argumentieren können, dass die Krim nicht mehr Teil der Ukraine ist. 

Dennoch stellt die mögliche Verstärkung der Streitkräfte durch nukleare Waffen angesichts der geopolitischen Lage der Krim die multilaterale Ächtung von Atomwaffen grundsätzlich infrage und setzt die Nato unter Zugzwang – entsprechende Drohungen von russischer Seite sind inzwischen zur Genüge gefallen. Russland hat längst verschiedene Trägersysteme und andere Mittel stationiert, mit denen Atomwaffen auf die Krim geliefert werden können. Darunter waren der inzwischen gesunkene Kreuzer Moskwa mit seinem Vulkan-Raketensystem, der Lenkwaffen-Zerstörer Smetliwy mit dem Startsystem Rastrub-B und eine Su-24M-Bombereinheit, die taktische Atomwaffen transportieren kann. Zu den weiteren russischen Luftfahrzeugen, die bereits seit längerer Zeit zu Trainingszwecken auf der Krim stationiert waren, gehörten die Mittelstreckenbomber Tu-22M3 und die taktischen Langstreckenbomber Su-34.

Die Gefahr eine Einsatzes von Atomwaffen kommt nicht von ungefähr – mit der Versenkung der Caesar Kunikow könnte Russlands Lunte niedergebrannt sein – die Wutrede Schoigus über die löchrige Verteidigung der Krim-Befestigung mag als Hinweis darauf gelten. Tatsächlich diskutieren Experten weiterhin über den Zeitpunkt eines möglichen Einsatz taktischer Atomwaffen durch Russland; sie halten auch bis zu 20 Jahre alte Geheimdienstpapiere für valide Indizien auf die Verhaltensweisen der russischen Militärs in den nachfolgenden Gefechten im Ukraine-Krieg, wie der Sicherheitsexperte Ulrich Kühn vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg gegenüber dem ZDF geäußert hat; nämlich, dass sich an den grundlegenden Überlegungen der russischen Militärstrategen bis heute wenig geändert habe.

„In dem Moment, wo die Front kollabiert, wird es heikel“, sagt Kühn. In dieser Lage nutze Russland die Androhung von Atomwaffen als Abschreckung, um seine Gegner zu beeinflussen. Seiner Meinung nach könne eine Rückeroberung der Krim könnte genauso ein Triggerpunkt sein, der einen Atomwaffeneinsatz heraufbeschwört. (kahin)

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