Taub gegenüber Störgeräuschen: Drei US-Nerds erklären Putin mit Billig-Drohne den Krieg

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Günstig, schnell gebaut und stocktaub: US-Studierende haben jetzt eine Drohne konstruiert, die widerstandsfähig ist gegen Beeinflussung durch Elektronische Kriegführung. (Symbolbild) © dpa

Sie ist spottbillig, im Handumdrehen fertig und extrem dickköpfig: US-Studierende basteln eine Billig-Drohne mit dem Können eines Marschflugkörpers.

El Segundo / Los Angeles – Sie sind zwischen 20 und 24 Jahren alt und könnten als „Nerds“ gelten – je nach Definition umgangssprachlich also als „Schwachköpfe“, „Streber“, „Sonderlinge“, „Eigenbrötler“ oder „Fachidioten“. Andere Quellen sehen in solchen Typen weniger die Außenseiter als vielmehr diejenigen Menschen, die die Gesellschaft voranbringen – ähnlich einem Archimedes oder einem Bill Gates.

In der Ukraine könnten sie bald schlicht als Helden gelten, denn sie haben wahrscheinlich etwas ausgetüftelt, was Wladimir Putin im Ukraine-Krieg in die Knie zwingen könnte: eine Drohne, die sowohl vergleichsweise ein Taschengeld kostet als auch stur ihren Kurs aufs Ziel verfolgt, weil sie taub ist gegenüber Störgeräuschen. Der Spiegel schwärmt von ihr bereits als mögliche Alternative zu Taurus. Tatsächlich könnte sie die bisher ergebnislose Gegenoffensive gegen Russland neu befeuern.

Als Ergebnis eines 24-stündigen Hackathons im kalifornischen El Segundo behauptete ein Trio aus drei jungen Ingenieuren, sie hätten lediglich einen 3D-Drucker und rund 450 Euro benötigt für eine Drohne, die ihre GPS-Koordinaten ohne Signal berechnet und zwar mittels eines Algorithmus, der Satellitenbilder von Google Maps mit Bildern ihrer Kamera abgleicht. Der Drohnen-Prototyp weist Ähnlichkeiten mit dem an die Geländekontur angepassten Leitsystem des Marschflugkörpers Tomahawk auf, wurde jedoch zu einem Bruchteil der Kosten und des Zeitaufwands entwickelt. Der Clou an dem Schnäppchen: Das System soll resistent sein gegen elektronische Störsignale, dem „jamming“ beziehungsweise „spoofing“ – darüber berichtet Aviation Week.

Drone-Jamming und Drone-Spoofing: die feindliche Übernahme

Jamming bezeichnet die absichtliche Verwendung eines die Übertragung blockierenden Signals, um die Kommunikation zwischen einer Drohne und ihrem Piloten zu stören. Sobald ein Signal eine Drohne blockiert, kann der Sender die Drohne zwingen,

auf der Stelle zu landen und jede weitere Bewegung zu stoppen, oder

zur ,Heimat‘-Position zurückzukehren. Dies ist eine normale Funktion einer Drohne mit GPS und einer Heimatortungsfunktion. Sie ist so konzipiert, dass Ihre Drohne bei einer Unterbrechung der Verbindung zu ihrem Startort zurückkehrt.

Spoofing einer Drohne bezeichnet die Übernahme der Drohne durch eine dritte Partei aus der Ferne, indem sie sich als die originäre Fernsteuerung ausgibt. Dabei empfängt die Drohne ein Signal, das die Drohne verwirren soll, so dass sie das Spoofing-Signal für legitim hält – was ein Irrtum ist. Spoofing ermöglicht einem Dritten

die Drohne zu übernehmen und den weiteren Flug zu steuern oder

Daten von der Drohne herunterzuladen beziehungsweise die Kamera-Aufnahmen anzusehen.

Das Team, das unter dem Namen Theseus ein start-up gegründet hat, wollte seine Nurflügler-Drohne so kostengünstig, einfach und hocheffizient wie möglich halten; damit künftig Verteidigung auch ohne globale Konzerne möglich wird. Die Komponenten des UAV (Unmanned Aerial Vehicle) – einschließlich der Flugzeugzelle und der Scharniere für die Steuerflächen – wurden in fünf Stunden im 3D-Druckverfahren hergestellt und innerhalb von zwei Stunden montiert. Die Elektronik ist von der Stange beschafft, sagt Teammitglied Carl Schoeller, ein Maschinenbau-Student an der Stanford University. Diese Drohne könnte der Ukraine die Wende bringen und Russland mit den eigenen Prinzipien schlagen: mit billigen Einweg-Waffen, die in Massen an die Front geworfen werden.

Masse statt Klasse: Experten raten der Ukraine, den russischen Weg zu gehen

Bereits vor einem Jahr hatte das Online-Magazin Breaking Defence schon diesem Prinzip gehuldigt – ohne allerdings den technischen Innovationsgeist der amerikanischen Nerds vorhersehen zu können: Der nächste logische Schritt im Wettrüsten mit Mini-Drohnen bestünde für die Ukraine darin, die Drohnen gegen Angriffe der elektronischen Kriegführung zu härten – aber mehrere Experten hätten eingewandt, dass sich das wahrscheinlich nicht lohnen würde. Stattdessen bestünde die Antwort einfach darin, mehr zu Drohnen zu kaufen und zu fliegen, also eher Masse statt Klasse.

„Das System muss keine Koordinaten abgleichen. Es weiß einfach, wo es ist. Wenn Sie in Italien waren, können Sie Italien auch erkennen, wenn sie es wiedersehen.“

Demnach gewinne auch im Krieg die Quantität ihre eigene Qualität: Je günstiger das Material, desto risikoreicher könne sie eingesetzt werden, Verluste verlören im Vergleich zum Einsatz damit ihre Bedeutung – die Ukraine solle sich dieses Prinzip von den Russen abschauen, empfiehlt beispielsweise der Amerikaner Zachary Kallenborn, wie Breaking Defence schreibt: Dem Politikwissenschaftler von der George Mason University zufolge sei allein ökonomisch sinnvoll, wenige Tausende in Drohnen zu investieren, um den einzelnen Soldaten davor zu bewahren in einen Hinterhalt zu geraten oder daran zu hindern, Artilleriegranaten mit einem Vielfachen an materiellem Wert schlimmstenfalls am Ziel vorbeizufeuern. Kallenborn: Je günstiger die Drohnen seien, desto aggressiver können sie eingesetzt werden, weil deren Verlust quasi unerheblich blieben.

Im Prinzip habe die Ukraine nach Expertenmeinung keine andere Wahl als konsequent auf die Drohne zu setzen, prophezeit das amerikanische Foreign Policy Magazine; mit anderen Worten: Wenn die Ukraine alles an und hinter der Front sehen könnte, auch Einheiten und sogar einzelne Truppen, die sich in ihrem Rücken bewegen, gerate für Russland der klassische Bodenangriff aus gepanzerten Massenverbänden zur überholten Taktik. Im uralten Wettlauf militärischer Vorgehensweisen zwischen Verstecken und Aufspüren scheint somit Letzteres gewonnen zu haben – zumindest bis die nächste Technologiewelle das Gleichgewicht erneut verschiebt.

Die US-Ingenieure machen Drohnen-Technik unschlagbar günstig

Traditionelle Militärstrategien und Hauptauftragnehmer im Verteidigungssektor, die stark in zentralisierte und teure Hardware investiert haben, sind nach Ansicht des Studierenden-Trios nicht in der Lage, in einer neuen Ära des Konflikts zu gewinnen. Die us-amerikanischen IT-Tüftler sind überzeugt, das traditionelle Militärstrategien überholt seien, wie sie Aviation Week gegenüber äußern: „Eine Tomahawk-Rakete kostet zwei Millionen Dollar, was unserer Meinung nach ein wenig lächerlich ist – es ist ein Metallrohr mit etwas Dünger hinten“, sagt Schoeller. „Eines davon jedes Mal in die Luft zu jagen, wenn man eine Mission erfüllen will, halten wir in Zukunft nicht für realisierbar, wenn man einen Gegner hat, der wirtschaftlich mindestens so mächtig ist wie man selbst.“

Das Theseus-Team geht davon aus, dass eine kleine Drohne, damit sie ihren Standort nahezu überall erkennen kann, keine gigantische Datenbank mit Satellitenbildern mitführen und verarbeiten muss, um die Merkmale wiederholt mit der Kameraansicht des UAV abzugleichen. Stattdessen kann es mithilfe eines Deep-Learning-Modells namens „Large Vision Transformer“ auf die Beziehungen zwischen bestimmten GPS-Koordinaten und lokalen Geländemerkmalen trainiert werden. Die Drohne bekommen einen intuitiven Eindruck von der Erdoberfläche, was die ursprünglichen Satellitenbilder nicht leisten könnten.

Die Drohne mit Erinnerungen: Wenn sie einmal Italien gesehen hat, erkennt sie Italien wieder

Künstliche Intelligenz soll das ermöglichen; die Drohne agiert sozusagen autonom anhand gespeicherten und verarbeiteten Wissens, ist also unabhängig von externer Steuerung und letztendlich taub gegenüber externer Beeinflussung. Das Trio arbeite an einer Navigationspräzision, die in 95 Prozent der Fälle innerhalb eines Radius‘ von fünf Metern bliebe, erklärt gegenüber Aviation Week das Teammitglied Sacha Levy, Doktorand in Informatik an der Yale University. Levy: „Das System muss keine Koordinaten abgleichen. Es weiß einfach, wo es ist. Wenn Sie in Italien waren, können Sie Italien auch erkennen, wenn sie es wiedersehen.“

Für beide Kontrahenten im Ukraine-Krieg wird die Drohnen-Abwehr zum Unterfangen mit vielen Unbekannten – und reicht längst bis in die elektronischen Schaltungen hinein – Drohnen-Abwehr heißt zunächst: die Kleinstflieger sichtbar zu machen. Für das Auge oder das Radar. Weil die aktuellen Drohnen zu einem großen Teil mit Teilen aus dem Baumarkt flögen, seien sie gegenüber Störungen über Funk sehr sensibel, sagt Abwehr-Spezialist Steve Wright gegenüber Newsweek. Laut Fortune Business Insights wird der weltweite Markt für militärische Drohnen von aktuell 13,3 Milliarden Euro auf 33,4 Milliarden Euro im Jahr 2030 wachsen. Und die Ukraine ist die Labor-Situation für die Ingenieure der künftigen militärischen Konflikte.

Die Ukraine bastelt schon länger an einer „Drohnenarmee“. Die konventionelle Kriegführung ist auf Dauer schlichtweg unbezahlbar, die Ukraine insofern zum Fortschritt gezwungen. Darüberhinaus herrscht am Boden ein Patt. Im Raum elektromagnetischer Wellen scheint Russlands Armee dagegen in die Offensive zu gehen und im Vorteil zu sein: Sie dominiert im Ukraine-Krieg die Elektronische Kriegführung. Deshalb denkt das Trio im Kleinen ganz groß – ihre Idee: Zehntausende günstige, vernetzte Drohnen. Es sei viel einfacher, ein großes Vorhaben anzupeilen, als sich in Tausenden oder Hunderttausenden kleiner Projekte zu verlieren, sagt Team-Mitglied Schoeller. Sobald man ein Netzwerk dieser kleinen Drohnen am Himmel aufspanne, ergäben sich viele interessante Optionen. (Karsten Hinzmann)

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