Neue Studie: Syrer arbeiten vor allem in systemrelevanten Berufen – Rückkehr hätte „merkliche Folgen“

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Über eine Million Menschen mit syrischer Einwanderungsgeschichte leben in Deutschland. Eine neue Studie zeigt: Die Mehrheit von ihnen arbeitet in Mangel- und systemrelevanten Berufen.

Nürnberg – Berlin – Nach dem Sturz von Diktator Assad in Syrien wurden schnell Stimmen laut, die Rückkehr geflüchteter Syrer in ihr Heimatland forderten. Die Wirtschaft zeigt sich von den unter anderem von CDU-Politiker Jens Spahn vorgebrachten Vorschlägen wenig begeistert. Denn viele Menschen mit syrischer Einwanderungsgeschichte sind in Branchen tätig, die mit akutem Personalmangel zu kämpfen haben. Eine neue Analyse zeigt nun, wo es besonders eng werden könnte.

Über 1 Million Menschen mit syrischer Einwanderungsgeschichte leben in Deutschland. Ihre Rückkehr in die Heimat würde auf dem Arbeitsmarkt riesige Lücken reißen – in vielen Branchen.
Über 1 Million Menschen mit syrischer Einwanderungsgeschichte leben in Deutschland. Ihre Rückkehr in die Heimat würde auf dem Arbeitsmarkt riesige Lücken reißen – in vielen Branchen. © Sebastian Kahnert/dpa

Mehrheit der syrischen Geflüchteten arbeitet in Mangel- und systemrelevanten Berufen

Der seit 2011 andauernde Bürgerkrieg in Syrien und der darauffolgenden Vertreibung und Flucht von über 13 Millionen Menschen hat sich auch auf die deutsche Bevölkerung ausgewirkt: Ende 2023 lebten laut Mikrozensus knapp 1,3 Millionen Menschen mit syrischer Einwanderungsgeschichte in Deutschland, 18 Prozent von ihnen sind sogar hier geboren.

Eine am Freitag (13. Dezember) veröffentlichte veröffentliche Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt jetzt nicht nur, wie viele Syrer in Deutschland arbeiten, sondern vor allem, welche Rolle sie auf dem deutschen Arbeitsmarkt spielen. 62 Prozent der beschäftigten Syrer und Syrerinnen arbeiten demnach in systemrelevanten Berufen, wie etwa im Gesundheitswesen, im Bereich Transport und Logistik oder in der Lebensmittelproduktion – also in Branchen, in denen es einen starken Personalmangel gibt. Bei den deutschen Arbeitnehmern sind es gerade einmal 48 Prozent.

„Große arbeitsmarktpolitische Bedeutung“: 62 Prozent aller Syrer arbeiten in systemrelevanten Jobs

„Der überproportional hohe Beschäftigungsanteil syrischer Geflüchteter in Mangel- und systemrelevanten Berufen, wie im Gesundheitswesen, im Transport- und Logistikbereich und ausgewählten Produktionsbereichen, hat eine große arbeitsmarktpolitische Bedeutung“, berichtet die IAB-Forscherin Yuliya Kosyakova im Gespräch mit IPPEN.MEDIA.

Über 1 Million Menschen mit syrischer Einwanderungsgeschichte leben in Deutschland. Ihre Rückkehr in die Heimat würde auf dem Arbeitsmarkt riesige Lücken reißen – in vielen Branchen.
Über 1 Million Menschen mit syrischer Einwanderungsgeschichte leben in Deutschland. Ihre Rückkehr in die Heimat würde auf dem Arbeitsmarkt riesige Lücken reißen – in vielen Branchen. © Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB)

Die Studie zeigt: Syrische Männer arbeiten überwiegend in Verkehrs- und Logistikberufen (22 Prozent), in Fertigungs- und fertigungstechnischen Berufen (21 Prozent), im Lebensmittel- und Gastgewerbe (14 Prozent), im Gesundheitswesen (11 Prozent) sowie im Bau- und Ausbaugewerbe (9 Prozent). Syrische Frauen sind vor allem in sozialen und kulturellen Dienstleistungen (28 Prozent), im Gesundheitswesen (18 Prozent), im Lebensmittel- und Gastgewerbe (17 Prozent) und im Handel (11 Prozent) tätig.

Syrer in Deutschland: Anforderungsniveau der ausgeübten Tätigkeit steigt mit zunehmender Aufenthaltsdauer

Auffällig ist, dass die Beschäftigung syrischer Geflüchteter im Laufe ihrer Beschäftigung im Helferbereich abnimmt und im Fachkraftbereich sowie in höher qualifizierten Tätigkeiten zu. Insgesamt üben 75 Prozent der Erwerbstätigen eine qualifizierte Tätigkeit aus, arbeiten also als Fachkräfte, an denen besonderer Mangel am Arbeitsmarkt besteht – und auf deren ausländische Fachkräfte Deutschland darum angewiesen ist.

Insgesamt waren sieben Jahre nach dem Zuzug 74 Prozent der erwerbstätigen syrischen Geflüchteten in qualifizierten Tätigkeiten tätig, die üblicherweise einen Berufs- oder Hochschulabschluss voraussetzen.
Insgesamt waren sieben Jahre nach dem Zuzug 74 Prozent der erwerbstätigen syrischen Geflüchteten in qualifizierten Tätigkeiten tätig, die üblicherweise einen Berufs- oder Hochschulabschluss voraussetzen. © Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB)

Syrische Arbeitnehmer gleichen demografischen Wandel aus – jedoch gerade mal für ein Jahr

Der Anteil syrischer Beschäftigter an der Gesamtbeschäftigung in Deutschland liege bei etwa 0,6 Prozent; berücksichtige man Eingebürgerte, betrage dieser Anteil rund 0,8 Prozent: „Dies gleicht in etwa Rückgang der Erwerbsbevölkerung infolge des demografischen Wandels aus – allerdings nur für ein Jahr“, so Kosyakova. „Um das Schrumpfen der Erwerbstätigenzahlen nachhaltig auszubremsen, bräuchte der deutsche Arbeitsmarkt jährlich 400.000 Personen, die nach Deutschland kommen und hier auch bleiben“, gibt die Professorin für Migrationsforschung an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg zu bedenken.

„Ein Wegfall dieser Kräfte durch Rückkehrmigration wäre zwar auf gesamtwirtschaftlicher Ebene nicht dramatisch, könnte aber regional und branchenspezifisch durchaus spürbare Auswirkungen haben – insbesondere in jenen Tätigkeitsfeldern und Regionen, die bereits heute unter Arbeitskräftemangel leiden“, so Kosyakova. Sie nennt als Beispiel die medizinische Versorgung im ländlichen Bereich: „Wenn dort der syrische Arzt oder Ärztin entscheidet, zurück in die Heimat zu kehren, könnte es merkliche Folgen haben.“.

Gesundheitswesen: Wegfall syrischer Angestellter wäre „relevante Belastung“

Die rund 16.000 syrischen Angestellten im ohnehin kriselnden deutschen Gesundheitsbereich seien eine wichtige Säule, bestätigt auch Susanne Johna, Vorsitzende des Marburger Bundes.: „Die syrischen Ärztinnen und Ärzte stellen mit rund 6.000 Berufstätigen die größte Gruppe der Ärzte mit ausländischer Qualifikation in Deutschland dar. Würden sie fehlen, wäre das eine relevante Belastung für die ohnehin angespannte ärztliche Versorgungslage“. Diese zu verlieren, dürfte besonders an Krankenhäusern, die schon jetzt mit Personalmangel kämpfen, nicht spurlos vorbeigehen.

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