Eine Million Syrer leben in Deutschland: Was passiert, wenn sie alle zurück wollen?

  1. Startseite
  2. Wirtschaft

Kommentare

Jens Spahn fordert Anreize für schnelle Ausreisen syrischer Geflüchteter. Die Wirtschaft mahnt: Die Remigration könnte auf dem Arbeitsmarkt große Lücken reißen.

Frankfurt – Nach dem Sturz des Assad-Regimes entbrannte schnell eine Debatte um die in Deutschland lebenden Syrerinnen und Syrer. Unionsfraktionsvize Andrea Lindholz (CSU) forderte einen Aufnahmestopp, CDU-Politiker Jens Spahn möchte möglichst viele geflüchtete Syrer in Charterflugzeugen zurückschicken. Der CDU-Abgeordnete sprach sich sogar für eine Prämie von 1000 Euro für Rückkehrwillige aus. Berufsverbände zeigen sich irritiert. Denn viele Syrer arbeiten als Fachkräfte in Berufen, die ohnehin schon mit Personalmangel zu kämpfen haben.

Jens Spahn will Anreize für schnelle Ausreisen syrischer Geflüchteter setzen. Ihre Rückkehr in die Heimat würde auf dem Arbeitsmarkt riesige Lücken reißen.
Jens Spahn will Anreize für schnelle Ausreisen syrischer Geflüchteter setzen. Ihre Rückkehr in die Heimat würde auf dem Arbeitsmarkt riesige Lücken reißen. © Montage: IMAGO/Achille Abboud/picture alliance/dpa/Carsten Koall/fn

Lücke auf dem Arbeitsmarkt: Heimkehr von Syrern wäre für einige Branchen kritisch

Eine am Freitag, 13. Dezember, veröffentlichte veröffentliche Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt: 62 Prozent der beschäftigten Syrer und Syrerinnen arbeiten in systemrelevanten Branchen, bei den deutschen Erwerbstätigen sind es gerade einmal 48 Prozent.

Besonders im ohnehin kriselnden deutschen Gesundheitsbereich sind syrische Angestellte eine wichtige Säule. Mit über 5700 Ärztinnen und Ärzten bilden syrische Staatsangehörige laut Bundesärztekammer die größte Gruppe ausländischer Medizinerinnen und Mediziner. Diese zu verlieren, würde besonders an deutschen Krankenhäusern, die schon jetzt mit Personalmangel zu kämpfen haben, wohl nicht spurlos vorbeigehen.

5700 syrische Ärzte und Ärztinnen in Deutschland: Fehlen „wäre relevante Belastung“

„Die syrischen Ärztinnen und Ärzte stellen die größte Gruppe der Ärzte mit ausländischer Qualifikation in Deutschland dar. Würden sie fehlen, wäre das eine relevante Belastung für die ohnehin angespannte ärztliche Versorgungslage in Deutschland“, erklärt Dr. Susanne Johna, Vorsitzende des Marburger Bundes, gegenüber IPPEN.MEDIA.

Zur Deckung des Versorgungsbedarfs in Deutschland bräuchte es ausländische Ärztinnen und Ärzte: „Sie helfen, den Ärztemangel in Deutschland zu lindern und die Behandlung der Patienten sicherzustellen“, so Johna. Klar sei, dass sie auch in ihrem Herkunftsland dringend gebraucht werden, dafür habe man großes Verständnis. „Wir hoffen aber darauf, dass diejenigen syrischen Ärzte, die in Deutschland eine zweite Heimat gefunden haben, uns bei der Versorgung der Patientinnen und Patienten weiterhin unterstützen.“

Über 1 Million Menschen mit syrischer Einwanderungsgeschichte leben in Deutschland. Ihre Rückkehr in die Heimat würde auf dem Arbeitsmarkt riesige Lücken reißen – in vielen Branchen.
Über 1 Million Menschen mit syrischer Einwanderungsgeschichte leben in Deutschland. Ihre Rückkehr in die Heimat würde auf dem Arbeitsmarkt riesige Lücken reißen – in vielen Branchen. © Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB)

Zentralverband Baugewerbe: „Sind auf Zuwanderung angewiesen“

Auch die Baubranche würde die Folgen einer Rückmigration zu spüren bekommen: Im Dezember 2023 sind laut Bundesagentur für Arbeit (BA) von den 920.000 Beschäftigten im Bauhauptgewerbe schätzungsweise 15.000 syrische Arbeitskräfte bei uns beschäftigt. „Angesichts des weiterhin dringenden Bedarfs an Arbeitnehmern, sowohl für Facharbeiten als auch Bauhelfertätigkeiten, spielt die syrische Belegschaft keine unwichtige Rolle, weshalb ihr Verbleib im Arbeitsverhältnis von großer Bedeutung für uns ist“, erklärt Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes Deutsches Baugewerbe auf Nachfrage.

„Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist Deutschland auf Zuwanderung in den Arbeitsmarkt angewiesen“, andererseits könne aufgrund des politischen Wandels in Syrien der Grund für einen Asylstatus in Deutschland zukünftig wegfallen, so Pakleppa: „Wir empfehlen allerdings den Menschen, die sich gut integriert haben und sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, ein Bleiberecht anzubieten.“

„Potenzielle Rückkehr syrischer Staatsbürger sicherlich herausfordernd für viele Branchen“

Die potenzielle Rückkehr syrischer Staatsbürger sei sicherlich herausfordernd für viele Branchen, erklärt auch ein Sprecher des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL). „Im Straßengüterverkehr bzw. im Fernverkehr ist die Zahl aber recht gering“. Auch wenn Berufskraftfahrer dringend benötigt werden, seien die Fahrerlaubnisanerkennung und die hohen Führerscheinkosten in der Vergangenheit oft ein Hindernis gewesen. „Die syrischen Staatsbürger, die eingesetzt werden, sind dann eher in der Lagerlogistik bei Transportunternehmen“, sowie im Einzelstückgut und im Paketzustellbereich im Einsatz.

DEHOGA: Knapp 19.000 Syrerinnen und Syrer arbeiten im Gastgewerbe

„Im Gastgewerbe in Deutschland sind nach aktuellen Zahlen 18.491 syrische Staatsangehörige sozialversicherungspflichtig beschäftigt“, berichtet Sandra Warden, Geschäftsführerin im DEHOGA Bundesverband und Arbeitsmarktexpertin. Rückmeldungen aus dem Kreis der Mitglieder zu den Auswirkungen der neuen Lage in Syrien auf den gastgewerblichen Arbeitsmarkt hätten den Verband allerdings noch nicht erreicht. „Wir gehen nach jetzigem Stand davon aus, dass die allermeisten der Menschen, die sich in Beschäftigung befinden, damit sozial gut integriert sind und ihren Lebensunterhalt verdienen, zunächst die Entwicklungen in ihrem Heimatland abwarten und dann Entscheidungen über eine eventuelle Rückkehr treffen werden.“

Fakt ist: Der Anteil syrischer Beschäftigter an der Gesamtbeschäftigung „gleicht in etwa Rückgang der Erwerbsbevölkerung infolge des demografischen Wandels aus – allerdings nur für ein Jahr“, so Yuliya Kosyakova, Professorin für Migrationsforschung an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. „Um das Schrumpfen der Erwerbstätigenzahlen nachhaltig auszubremsen, bräuchte der deutsche Arbeitsmarkt jährlich 400.000 Personen, die nach Deutschland kommen und hier auch bleiben“. Experten fordern bereits seit langem mehr Tempo bei der Berufsanerkennung von Fachkräften aus dem Ausland.

Auch interessant

Kommentare