Auseinandersetzung um Schuldenbremse: „Die Politik könnte ein Moratorium für neue Sozialleistungen beschließen“

  1. Startseite
  2. Wirtschaft

Kommentare

Rüstung anstelle von Elterngeld: Der Wirtschaftswissenschaftler Lars Feld unterstützt die Schuldenbremse und plädiert für das Einfrieren von Sozialleistungen. Die Politik „muss an Sozialausgaben ran“.

Freiburg – In der aktuellen Diskussion um die Schuldenbremse, deren Reform von zahlreichen Experten gefordert wird, meldet sich der Ökonom Lars Feld zu Wort und plädiert für eine klare Priorisierung der Ampel-Koalition in der Haushaltspolitik. Anstatt die Schuldenbremse infrage zu stellen, schlägt Feld vor, die Ausgabenpolitik zu überdenken – vor allem bei den Sozialleistungen. Experten bemängeln, solche Verlagerungen seien lediglich „Notoperationen“ und deckten bei weitem nicht den Investitionsbedarf.

Lars P. Feld, Vorsitzender des Rates der Immobilienweisen, spricht bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des Frühjahrsgutachtens vom Rat der Immobilienweisen in der Bundespressekonferenz.
Waffen statt Elterngeld – der Ökonom Lars Feld ist Verfechter der Schuldenbremse und fordert das Einfrieren von Sozialtransfers statt Investitionen: „Politik muss an Sozialausgaben ran“. © Carsten Koall/dpa

Kritik der Schuldenbremse in der Kritik: Ökonom fordert Moratorium für Sozialleistungen

In einem am Sonnabend (17. August) erschienenen Interview mit der Wirtschaftswoche unterstreicht er, dass die Schuldenbremse entscheidend zur Stabilität der deutschen Staatsfinanzen beigetragen habe. Besonders in Hinblick auf die demografische Entwicklung sei die Maßnahme von zentraler Bedeutung, um langfristig die Tragfähigkeit des Haushalts zu sichern: „Bevor die Schuldenbremse installiert wurde, lag über einen langen Zeitraum das Zinsniveau über der Wachstumsrate – Gift für eine nachhaltige Haushaltspolitik“. Die Schuldenbremse habe diese Dynamik entschärft und dazu beigetragen, dass in einer langen Phase das Wachstum über den Zinsen gelegen habe, erklärt Feld.

Kürzungen der Sozialausgaben: Diskussion um Schuldenbremse – „Sozialtransfers für ein paar Jahre einfrieren“

Statt – wie unter anderem der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die Wirtschaftsweisen, eine Reform, um Investitionen möglich zu machen, solle die Politik die Ausgaben neu verteilen.

Feld schlägt ein Moratorium für neue Sozialleistungen vor: „Wir sollten Sozialtransfers für ein paar Jahre einfrieren“, so der Experte von der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. „Vor allem das Elterngeld ließe sich radikaler hinterfragen als bisher“. Auch bei den Zuschüssen an die Gesetzliche Rentenversicherung solle man „zumindest die Dynamik bremsen.“

Kürzungen der Sozialausgaben: Waffen statt Elterngeld – Experte fordert: „Politik muss an Sozialausgaben ran“

Brauche die Bundeswehr mehr Milliarden, sollten Kürzungen bei Rente und Sozialleistungen erfolgen, dann „muss die Politik eben an die Sozialausgaben ran, die den Haushalt dominieren“, so Feld. Deutschland habe kein Einnahmeproblem, sondern ein Problem der politischen Priorisierung bei den Ausgaben von über 480 Milliarden Euro.

„Notoperationen“: Experten kritisieren zu geringe Investitionsspielräume

Der Internationale Währungsfonds und auch die Wirtschaftsweisen hatten mehr Spielraum gefordert, um neue Schulden zu ermöglichen. Statt der gedeckelten 0,35 Prozent könne der Bund jährlich bis zu 1 Prozent des BIP an neuen Krediten aufnehmen – „für zukunftsorientierte Investitionen, von denen auch die nächste Generation etwas hat“, so Ratsmitglied Martin Werding im Gespräch mit merkur.de von IPPEN.MEDIA.

Für diese sei allerdings nach dem „finanzpolitischen Auffahrunfall“ – dem Einkassieren des Haushaltes der Ampel vom Bundesverfassungsgericht – und dessen Folgewirkung, dem Milliardenloch im Bundeshaushalt, keine politische Mehrheit erkennbar.

Die von Feld geforderte Moratorium, bestehende Sozialleistungen für einige Jahre einzufrieren, würde indes „automatisch passieren, da die Bürgergelderhöhung vorauseilend einen überhöhten Inflationsausgleich vorweggenommen hat“, erklärt der Ökonom von der Ruhr-Universität Bochum.

Wer glaubt, die benötigten Investitionen seien allein mit einer Umschichtung erreichbar, verschließt die Augen vor der politischen Realität im Land.

Auch die Finanzbeziehung zwischen Bund und der gesetzlichen Rentenversicherung müsse tatsächlich hinterfragt werden. Erst eine genaue Zuordnung der Bundesmittel zu einzelnen versicherungsfremden Leistungen eröffne Spielräume für gezielte Einsparungen. Dieses sei jedoch ein „Mammutprojekt“, so Werding, das nicht in einer Legislaturperiode machbar sei. Alles in allem handele es sich um „Notoperationen“, die nicht ausreichten, um die Investitionsbedarfe von vielen Milliarden zu decken. Das Budget des Elterngeldes, von 9 Milliarden eröffne „keinen Riesenspielraum“.

Ausgaben-Umschichtung als Lösung: „Argumentation verkennt Größenordnung der Probleme“

Auch Sebastian Dullien, Chef des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), erklärt gegenüber merkur.de von IPPEN.MEDIA: „Die Argumentation verkennt die Größenordnung der Probleme“. Selbst ohne Unterstützung für die Ukraine gebe es einen Bedarf von 60 Milliarden Euro im Jahr für Verkehrswege und Bildung. Die Einnahmen, die über „sozialpolitisch fragwürdige Erhöhungen der Mehrwertsteuer, auch auf ermäßigte Produkte wie Lebensmittel“ hineinkommen würden, seien ein Tropfen auf den heißen Stein.

Ökonomom kritisiert: „Bundeshaushalt fehlen Spielräume für Verteidigung und äußere Sicherheit“

„Wer glaubt, die benötigten Investitionen seien allein mit einer Umschichtung erreichbar, verschließt die Augen vor der politischen Realität im Land“, so Dullien. Denn nicht nur die Infrastruktur und Bildung, auch die Verteidigung bräuchte dringend die erforderlichen Milliarden, und damit könne nicht länger gewartet werden: „Dem Bundeshaushalt fehlen angesichts der Bedarfe für Verteidigung und äußere Sicherheit die dringend notwendigen Spielräume. Wir können nicht warten, bis Putin die Ukraine besiegt hat und Europa angreift.“

Auch interessant

Kommentare