AfD-Verbot jetzt! Die Argumente der Gegner sind zwar gut, aber auch voller Angst

Vor genau achtzig Jahren endete der Zweite Weltkrieg mit der Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Im Deutschen Bundestag, aber auch an vielen anderen Orten fanden in dieser Woche feierliche Gedenkstunden zum Tag der Befreiung statt. Immer wieder wurde dort darauf hingewiesen, dass Erinnern niemals nur den Blick nach hinten richten darf, sondern auch ein Auftrag für die Zukunft sein muss: das, was uns gegeben wurde – Freiheit und Demokratie – immer und immer wieder zu verteidigen.

Soweit sind sich die allermeisten einig. Bis es konkret wird. Denn dann stellt sich plötzlich die Frage: Welche Mittel sind zur Verteidigung unserer Demokratie eigentlich legitim? Wie gehen wir um etwa mit rechtsextremen Parteien, die demokratisch gewählt sind, aber unserer Demokratie nichts Gutes wollen? Und ganz konkret: Wie stehen wir zu einem AfD-Verbotsverfahren?

AfD-Verbot: Es geht nicht um antifaschistischen Gesinnungstest 

Eines vorweg: Viel zu oft wird diese Debatte nach dem Motto “wer nicht für ein Verbot ist, ist für die AfD” geführt. Das ist Unsinn. So wie es wichtige Argumente dafür gibt, dieses Instrument zu nutzen, gibt es auch nachvollziehbare Bedenken und Sorgen. Beides sollten wir abwägen und die Frage nach einem Verbotsantrag gegenüber dem Bundesverfassungsgericht nicht zum antifaschistischen Gesinnungstest machen.

Genauso großer Unsinn ist es aber, wenn Gegner eines Verbotsantrags nun dieselben Argumente bringen wie in den letzten zehn Jahren auch. Ganz so, als wäre nichts passiert. Denn es ist etwas passiert.

Zitate von Höcke oder Krah

Am 2. Mai hat der Verfassungsschutz die gesamte AfD als “gesichert rechtsextremistisch” eingestuft. Daran ändert auch die “Stillhaltezusage” aus den letzten Tagen zunächst nichts, die letztlich einer üblichen rechtsstaatlichen Formalität gleichkommt. 

Auf über 1100 Seiten listet der Verfassungsschutz seine Gründe dafür auf. Mit Aussagen von Björn Höcke zum Beispiel, den man gerichtlich bestätigt als Faschisten bezeichnen kann. Oder von Matthias Helferich, der sich selbst als “das freundliche Gesicht des Nationalsozialismus” bezeichnet – und trotzdem ohne allzu große Debatte in die AfD-Fraktion aufgenommen wurde. Ebenso wie Maximilian Krah, der unter anderem mit SS-Verharmlosungen auf sich aufmerksam machte.

“Wir müssen sie politisch stellen” oder “jetzt bloß keine Schnellschüsse” reichen als Reaktion in dieser Situation einfach nicht mehr aus. Zumal ich mich frage: Für wie viele Jahre ist ein Schnellschuss eigentlich ein Schnellschuss?

Es ist doch so: Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben uns das Instrument des Parteiverbots an die Hand gegeben, weil sie aus schmerzhafter historischer Erfahrung wussten, dass Parteien sich demokratischer Mittel bedienen können, um an die Macht zu kommen – um dann, sobald sie diese Macht haben, demokratische Rechte nach und nach abzubauen, ja, die Demokratie zu zerstören. Und sie wollten, dass unsere Demokratie gegenüber solchen Parteien wehrhaft ist.

Warum sollte eine wehrhafte Demokratie diese Partei dulden?

Ich bin überzeugt: Die AfD ist genau eine solche Partei. Warum sollten wir das Parteienverbot dann nicht nutzen?

Lange waren es die Befürworter eines Verbotsantrags, die ihre Position erklären mussten. Aus guten Gründen. Nun hat sich die Beweislast umgekehrt und die entscheidende Frage lautet: Warum sollte eine wehrhafte Demokratie wie die unsere eine Partei dulden, über die der Verfassungsschutz sagt, sie sei gesichert rechtsextremistisch?

Im Kern höre ich vier Antworten, die auch Befürworter wie ich ernst nehmen sollten – und auf die ich deshalb hier eingehen will.

Erstens: "Parteien sollten keine politischen Konkurrenten verbieten." Das stimmt. Deshalb können sie das auch nicht. Anders als etwa zu Zeiten der Weimarer Republik sind die Hürden für ein Parteiverbot richtigerweise sehr hoch. Ein Parteiverbot kann in Deutschland ausschließlich vom unabhängigen Bundesverfassungsgericht verhängt werden. 

Allerdings kann dieses Gericht ein Verbot erst dann prüfen, wenn es vom Bundestag, vom Bundesrat oder von der Bundesregierung damit beantragt wird. Es geht aktuell also allein darum, dem Bundesverfassungsgericht zu ermöglichen, seine Arbeit zu machen und die Verfassungsmäßigkeit der AfD unabhängig zu überprüfen. Wenn die AfD also so fest davon überzeugt ist, auf dem Boden unseres Grundgesetzes zu stehen, müsste sie vor einer solchen Prüfung deutlich weniger Angst haben, als es gerade den Eindruck macht.

"Die AfD wird sich immer zum Opfer machen"

Zweitens: "Die AfD wird ein Verbotsverfahren nutzen, um sich als Opfer zu inszenieren." Auch das stimmt. Aber sind wir doch mal ehrlich: Egal, was die Demokratinnen und Demokraten tun werden – die AfD wird sich immer zum Opfer machen. 

Der Opfermythos ist ja kein spontaner Gefühlsausbruch von Alice Weidel, sondern fester Bestandteil der Strategie rechtsextremer Parteien weltweit. Demokratische Parteien sollten ihr Handeln deshalb nicht davon abhängig machen. Sonst handeln wir gar nicht mehr. Und die Strategie geht auf.

Drittens: "Mit dem Verbot einer Partei verschwindet das dahinterliegende Gedankengut nicht." Der aufmerksame Leser dürfte das Muster mittlerweile erkannt haben: Auch das ist richtig. Deshalb hat es ja auch niemand je behauptet. Niemand, der sich für ein Verbotsverfahren einsetzt, wäre so naiv zu denken, damit wären alle Probleme gelöst und der Rechtsextremismus aus unserer Gesellschaft endgültig gebannt. 

Es glaubt auch niemand, dass dadurch die Vertrauenskrise der repräsentativen Demokratie beendet wäre, denn dazu wird es überzeugendere Angebote der demokratischen Parteien brauchen. Aber sollten wir in der Zwischenzeit eine gesichert rechtsextremistische Partei im Deutschen Bundestag hinnehmen müssen? Ich finde nein. Wir können und sollten deshalb beides tun: mit allen Mitteln des Rechtsstaates gegen die Feinde der Demokratie vorgehen – und gleichzeitig alles daran setzen, Vertrauen zurückzugewinnen und Menschen von der Demokratie zu überzeugen.

Bedachtsamkeit sollte nicht dazu führen, dass wir uns die Hände binden

Viertens und letztens: "Wenn ein Verbotsverfahren scheitert, nützt das vor allem der AfD." Ohne Frage muss ein Verbotsverfahren gut vorbereitet sein. Denn natürlich würde die AfD eine mögliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen ein Verbot für sich nutzen. Wie das Gutachten des Verfassungsschutzes aber zeigt, wurden in den letzten Jahren weitreichende Informationen über die Partei gesammelt – und darüber, wie schnell und offensichtlich sie sich zuletzt radikalisiert hat. Bei aller Notwendigkeit, bedacht vorzugehen, sollte Bedachtsamkeit auch nicht dazu führen, dass wir uns die Hände binden.

Angst ist kein guter Ratgeber. Wir sollten nicht wie das Kaninchen vor der Schlange vor rechtsextremen Parteien stehen. Wir können auf unsere Demokratie vertrauen – und auf die Instrumente, die sie wehrhaft machen. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben sie uns nicht zur Betrachtung mitgegeben, sondern damit wir sie nutzen. Und verteidigen, womit meine Generation wie selbstverständlich aufwachsen durfte - Demokratie und Freiheit.