Partei plant „Wahlsieg“ - Bei SPD-Konferenz schwebt ein Gespenst über Scholz – der blendet die Realität einfach aus

Bevor das Programm startet, nimmt Olaf Scholz mit der SPD-Führung zunächst ein Bad in der Menge. Der Kanzler lächelt, winkt den Bundestagskandidaten seiner Partei zu, die sich am Samstag im Willy-Brandt-Haus zur „Wahlsiegkonferenz“ versammelt haben. Die Politikerinnen und Politiker beklatschen ihren Kanzlerkandidaten rhythmisch. Das wirkt arg pflichtschuldig.

Nur etwas mehr als eine Woche ist es her, da war noch nicht klar, ob die Sozialdemokraten aus den Wahlkreisen hier auf Verteidigungsminister Boris Pistorius treffen würden oder eben doch wieder auf Scholz. Die K-Frage ist zwar nun entschieden, aber ganz verdaut hat die Basis den Konflikt nicht. Umso wichtiger für die Genossen, dass der Wahlkampfauftakt an diesem Samstag gelingt.

Ist die SPD wieder geeint? Darüber gibt es Uneinigkeit

Vor allem die alten Scholz-Unterstützer sprechen davon, dass alle Gräben zugeschüttet seien. Nach der Entscheidung stehe man nun geeint zusammen. Eine SPD-Politikerin zieht sogar in Zweifel, dass es jemals Uneinigkeit gegeben habe – es seien wahrscheinlich immer 98 Prozent der an Basis für die erneute Kandidatur des Kanzlers gewesen.

Wie sehr das an der Wirklichkeit vorbeigeht, zeigt eine ARD-Umfrage von vor zehn Tagen. Demnach hat damals nur eine knappe Mehrheit der SPD-Anhänger Olaf Scholz für einen guten SPD-Kanzlerkandidaten gehalten, von Boris Pistorius sagten das indes 82 Prozent.

Diejenigen, die schon damals mit Scholz gehadert haben, sehen das deshalb auch anders. Die Partei braucht in ihren Augen durchaus noch Zeit, um den Konflikt zu verdauen. Sie hoffen vor Beginn der Veranstaltung in Berlin, dass Scholz auf der „Wahlsiegkonferenz“ ein Befreiungsschlag gelingt, er Signale an die Zweifler sendet. Eine klarere Sprache – oft als Vorteil von Pistorius genannt – sei dabei wichtig.

Scholz rechnet mit FDP ab und gibt sich als Staatsmann

Deshalb, so witzeln manche, sei es durchaus positiv, dass Scholz wieder mit Teleprompter spricht – wie bei seiner Abrechnung mit FDP-Chef Christian Lindner am Abend des Ampel-Bruchs. Viele Genossinnen und Genossen haben das als einen der stärkeren Scholz-Momente in Erinnerung.

Tatsächlich knüpft Scholz auf der „Wahlsiegkonferenz“ an diese Rede an – inhaltlich: „In solchen ernsten Zeiten braucht das Land ernsthafte Politik, verantwortungsbewusste Politik“, sagt er, „keine Spieler und keine Zocker“. Mit Blick auf die Enthüllungen der „D-Day“-Planungen der FDP sei es richtig gewesen, Lindner vor die Tür zu setzen. Er habe die Arbeit der Ampel systematisch sabotiert.

Der zweite Teil, der zum Wahlsieg führen soll, sind die Inhalte. Fast jeder Kandidat, mit dem man bei der Veranstaltung spricht, stellt sie in den Mittelpunkt. Tim Klüssendorf, Sprecher der Parlamentarischen Linken der SPD, unterstreicht im Gespräch mit FOCUS online: „Wir können mit unseren Themen etwas anbieten, was die anderen Parteien nicht anbieten können: Wir kämpfen für soziale Gerechtigkeit, bei den Grünen kann ich das kaum erkennen.“

SPD will sich auf Inhalte besinnen – vor allem die sozialen

Der zweite Teil der Botschaft, der zum Wahlsieg führen soll, sind die Inhalte. Fast jeder Kandidat, mit dem man bei der Veranstaltung spricht, stellt sie in den Mittelpunkt. „Wir sollten mit klarer Sprache über unsere Inhalte sprechen. Die sind unsere Stärke und werden uns zum Sieg führen“, meint etwa Stegner. Tim Klüssendorf, Sprecher der Parlamentarischen Linken der SPD, unterstreicht im Gespräch mit FOCUS online: „Wir können mit unseren Themen etwas anbieten, was die anderen Parteien nicht anbieten können: Wir kämpfen für soziale Gerechtigkeit, bei den Grünen kann ich das kaum erkennen.“

Scholz macht klar, was die Bürgerinnen und Bürger in den kommenden Wochen zu erwarten haben. „Das ganz große Thema bei dieser Wahl ist der Kampf um gute Arbeitsplätze und eine starke Wirtschaft“, läutet er den Sozialwahlkampf ein. Mindestlohn, Einkommensteuer, Rente, Pflege, Mietpreisbremse – all das deklinieren Scholz wie auch die Parteivorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken in ihren Reden durch. Klimapolitik oder Digitalisierung, zwei enorm wichtige Zukunftsthemen auch für die Wirtschaft, handeln sie nur in Nebensätzen ab.

SPD wirbt für Friedenspolitik mit Kampf-Plakaten

Dann ist da noch ein anderes großes Thema, mit dem die SPD zu punkten hofft: Auf der einen Seite gebe es bei Fragen zu Russland und der Ukraine „Kreml-Lautsprecher“ – gemeint ist wohl Sahra Wagenknecht –, auf der anderen „Heißsporne“ wie der „unberechenbare Oppositionsführer“ Merz, erklärt Scholz. Er selbst sieht sich hingegen in der Mitte , mit kühlem Kopf.

Nicht so ganz recht passt dazu allerdings die Kampagne der Sozialdemokraten. „Wir kämpfen für...“, ist auf den Plakaten als wiederkehrendes Motiv zu lesen. Auf einem Poster mit Pistorius zum Beispiel für „deine Sicherheit“. Der Verteidigungsminister trägt darauf Flecktarn, im Hintergrund ist wie auch bei den anderen Plakaten eine Deutschlandflagge mit großem Rot-Anteil zu sehen.

An der Parteibasis, also dort, wo die Mitglieder diese Transparente aufhängen müssen, finden das einige gewöhnungsbedürftig. Zu martialisch wirke die Botschaft. Es ist davon auszugehen, dass auf der „Wahlsiegkonferenz“ im internen Teil nach den Reden noch einmal darüber gesprochen wird. Einer, der eigentlich eher für die Friedenspolitik steht, findet die Plakate hingegen in Ordnung. Wahlkampf sei Wahlkampf, die inhaltliche Linie etwas ganz anderes.

SPD und Grüne gehen unterschiedlich mit ihren Umfrage-Tiefs um

Auch die Botschaft des Konferenz-Titels kommt manchen Teilnehmern etwas schräg vor. Mit dem „Wahlsieg“ im Namen verweigert man die Realität in Form von Umfragen, die die Union mehr als doppelt so stark sehen wie die Sozialdemokraten. Scholz aber rät den Anwesenden mit Blick auf diejenigen, die die Partei abgeschrieben haben: „Hört nicht auf sie!“ Sie hätten sich im Wahlkampf 2021 geirrt und würden sich wieder irren. Parteichef Klingbeil sekundiert: „Hört nicht auf die Artikel, die jetzt geschrieben werden.“

Die SPD wählt damit einen etwas anderen Weg als die Grünen. Dort hat Robert Habeck offiziell nicht den Titel „Kanzlerkandidat“ bekommen , man gibt sich angesichts der Umfragen etwas demütiger. Wegen der schlechten Werte für die SPD nicht mehr über einen Sieg zu sprechen, hält der Lübecker Bundestagsabgeordnete Klüssendorf aber für falsch: „Wir müssen im Wahlkampf Selbstbewusstsein ausstrahlen.“

Schwacher Rückenwind von Scholz-Rede

Zwar ist vielen Sozialdemoraten der Zweckoptimismus anzumerken. Aber tatsächlich kann noch viel passieren, wie Klüssendorf betont: „Jeder Wahlkampf hat seine ganz eigene Dynamik. Ich gehe nicht davon aus, dass die Ampel im neuen Jahr noch im Mittelpunkt stehen wird.“ Selbst wenn, könne man viele Punkte vorweisen, die der SPD in der Koalition gut gelungen seien.

Von der Scholz-Rede am Samstag kommt nur ein schwacher Rückenwind. Sie ist zwar solide, aber auch nicht mitreißend. Die anwesenden Bundestagskandidaten haben zuvor SPD-Schals für den Winterwahlkampf geschenkt bekommen. Wegen der eher geschäftigen als euphorischen Stimmung bei der „Wahlsiegkonferenz“ wirken die Politikerinnen und Politiker damit aber eher wie beim Kirchentag als wie im Fußballstadion.

Scholz holt im Vergleich zu Merz auf, aber ein Problem bleibt

Das positive Signal geht am Samstag von etwas anderem aus: Die jüngste Insa-Umfrage weist in der Kanzlerfrage für Scholz ein Plus von sieben Prozentpunkten aus. Er liegt jetzt immerhin bei 22 Prozent, Merz bei 30 Prozent. Daran will die SPD nun anknüpfen, mit harten Angriffen auf den CDU-Chef den Abstand weiter verringern. Robert Habeck landet bei lediglich 16 Prozent. Entsprechend schweigen die führenden Sozialdemokraten am Samstag lieber über den Grünen-Kandidaten, um ihn nicht als ernsthaften Konkurrenten dastehen zu lassen.

Wo in der Demoskopie Licht ist, ist auch Schatten: Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage glauben 62 Prozent der Menschen, dass die SPD mit Pistorius bessere Chancen auf ein gutes Ergebnis gehabt hätte als mit Scholz. Noch mehr wehtun wird eine zweite Zahl: Bei denjenigen, die 2021 noch die Sozialdemokraten wählten, das jetzt aber nicht mehr wollen, liegt der Wert sogar bei knapp 70 Prozent.

Es wird also enorm schwer für den Kanzler, die Enttäuschten für sich zurückzugewinnen. Im Vergleich zu seinem „Wahlsiegkonferenz“-Auftritt wird er sich steigern müssen. Denn sollten die Umfragewerte wieder nach unten gehen, könnte die K-Frage erneut aufbrechen. Und spätestens nach einer Wahlniederlage würde Pistorius wieder als sehr reales Gespenst über Scholz schweben.