Kein offizieller Kanzlerkandidaten-Titel - Der verdruckste Habeck-Antrag offenbart ein altes Problem der Grünen

Haben die Delegierten des Grünen-Parteitags genug von Debatten, können sie basteln. Zum Beispiel das „Kanzler Era“-Freundschaftsbändchen, das Robert Habeck trug, als er im Video seine Kandidatur erklärte. Doch nimmt man es genau, müssten die Bastler bei der Versammlung in Wiesbaden etwas anderes auf ihr Bändchen schreiben. Den Titel als Kanzlerkandidat wird Habeck nämlich nicht offiziell tragen.

Schon vor Monaten gab es Diskussionen, welches Zeichen es setzen würde, angesichts von Umfragewerten unter 15 Prozent überhaupt einen Kanzlerkandidaten aufzustellen. Einige Delegierte wollten deshalb sogar ein fünfköpfiges Kompetenzteam statt einer prominenten Führungsfigur durchsetzen.

Selbst zu Wochenbeginn wussten die Grünen-Mitglieder noch nicht, wie sie Habeck nun eigentlich nennen sollen im Wahlkampf. Aus dem Bundesvorstand hieß es dazu, man wolle die Spannung noch hochhalten. Am Donnerstag musste sich die Parteispitze dann aber aus der Deckung wagen und den Antrag für die Habeck-Kür auf dem Parteitag veröffentlichen.

Antrag ist realistisch, aber auch ein Eingeständnis

Und siehe da: Am Sonntag wird der Grünen-Parteitag über einen „Kandidaten für die Menschen in Deutschland“ abstimmen. Das Wort „Kanzlerkandidat“ fällt in dem Antrag kein einziges Mal – das ist realistisch, aber auch das Eingeständnis der schlechten Ausgangslage.

Ein „Kandidat für die Menschen in Deutschland“ zu sein ist nichts Besonderes – das wird jeder für sich in Anspruch nehmen, der ein Bundestagsmandat anstrebt. Der Antrag sendet dann doch noch ein Zeichen, das darüber hinaus geht. Der Grünen-Vorstand gibt sich überzeugt: „Robert Habeck hat das Zeug zu einem guten Bundeskanzler.“ Es ist eine typische Grünen-Lösung: ein Mittelweg, um es allen irgendwie recht zu machen.

Formulierung fällt hinter Antrag von 2021 zurück

Auf dem Parteitag sorgt der verdruckste Antrag bei einigen Delegierten für Irritationen. Manche kritisieren den Zeitplan und hätten gerne früher Klarheit gehabt. Andere ärgern sich, dass der Parteivorstand eine Kompromissformulierung ausbaldowert hat und dem Parteitag damit Spielräume nimmt.

Die scheidende Bundesgeschäftsführerin Emily Büning verweist darauf, dass 2021 bei der Kür von Annalena Baerbock doch alles ähnlich gewesen sei. Doch die Anträge für den Parteitag unterscheiden sich deutlich. 2021 hieß es klipp und klar, man wolle „in den Wettbewerb um die Führung dieses Landes“ treten „mit Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin“.

Habeck könnte in Kanzlerkandidatur hineinwachsen

In der Praxis wird sich auch Robert Habeck künftig als Kanzlerkandidat präsentieren, daran lassen einige Spitzen-Grüne in Gesprächen am Rande des Parteitags keine Zweifel. Das ist schon allein deshalb wichtig, um zum Beispiel auch in TV-Duellen mit Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz und dem wahrscheinlichen SPD-Kandidaten Olaf Scholz diskutieren zu können.

Und schließlich lässt der Antrag – sollte er denn verabschiedet werden – genug Raum, bei steigenden Umfragewerten zu reagieren. Dann könnte die Parteispitze sich darauf verständigen, Habeck doch mit dem offiziellen Kanzlerkandidaten-Titel im Land Wahlkampf machen zu lassen. Das Kalkül: Bei den schlechten Umfragewerten nicht überheblich wirken, sondern Habeck in die Kanzlerkandidatur hineinwachsen lassen.

Spitzenduo sorgt für Ausgleich, schafft aber Raum für Spekulationen

Neben dem Habeck-Titel gibt es noch einen zweiten Aufreger in dem Antrag. Das Wahlkampfteam soll nämlich von einem „Spitzenduo“ geführt werden – in dem neben Habeck auch Außenministerin Baerbock vertreten ist. Eigentlich ist das nicht neu, tatsächlich gab es auch schon 2021 offiziell ein Duo.

Doch schon fragte die „Bild“ am Freitag: „Wie gefährlich wird Baerbock für Habeck?“ Ein Dolchstoß-Szenario ist nach dem Schulterschluss der beiden Spitzenpolitiker vor einigen Monaten zwar unwahrscheinlich. Aber die Parteiführung gibt Spekulationen darüber zumindest den Raum mit der vorgeschlagenen Konstellation. Offenbar ist es den Grünen – wie schon oft in der Vergangenheit – wichtiger, intern einen Ausgleich zwischen Positionen und Personen zu schaffen, als nach außen Eindeutigkeit auszustrahlen.

Kurzzeitig verbreitete sich unter einigen Delegierten das Gerücht, auf dem Parteitag seien für den Kandidaten-Antrag gar keine Änderungsanträge zugelassen. Das dementierte Bundesgeschäftsführerin Büning, auch für diesen Antrag können Änderungsanträge geschrieben werden. Vielleicht wird Habeck dadurch ja doch noch zum „Kanzlerkandidaten“.