Vor 100 Jahren: Tölzer Bahnhof zieht um – Bürger protestieren

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Der neue, von Architekt Georg Buchner entworfene Bahnhof Bad Tölz am Eröffnungstag. Der Walmdachbau mit Uhrenturm wurde am 3. September 1924 eröffnet. © cs

Vor genau 100 Jahren wurde die Bahnstrecke Bad Tölz-Lenggries eröffnet. Im Zuge dessen musste auch der Tölzer Bahnhof umziehen – obwohl sich viele Bürger dagegen wehrten.

Bad Tölz/Lenggries – Mit großen Feierlichkeiten und in Anwesenheit des Bayerischen Ministerpräsidenten Heinrich Held wurden vor genau 100 Jahren die neue Bahnstrecke Bad Tölz-Lenggries eröffnet, gleichzeitig wurden zwei neue Bahnhöfe in Betrieb genommen. Wenn der Repräsentant der Reichsbahndirektion bei seiner Rede betonte, „dass es keine kleine Aufgabe gewesen ist, diese Bahn zu bauen“, war dies eher untertrieben. Vor allem die Stadt Bad Tölz hatte schwer an dem ehrgeizigen Projekt zu tragen.

Uhr am Kirchenturm wurde vorgestellt

Denn die Kurstadt besaß am heutigen Platz „Alter Bahnhof“ bereits einen Kopfbahnhof, der gerade erst 50 Jahre alt war. Für ihn war der aufstrebende Kurort schon einmal städtebaulich auf den Kopf gestellt worden: Der „Hacklbräu“ wurde abgerissen, die Marktstraße geöffnet und mit der heutigen Hindenburgstraße eine direkte Verbindung zum Bahnhof geschaffen. So zufrieden war man über den Anschluss ans moderne Verkehrsnetz, dass der Magistrat – kein Witz – den zuständigen Uhrmacher beauftragte, die Uhr der Pfarrkirche ein bisschen vorzustellen, auf dass nur ja keiner der Kurgäste und Bahnnutzer zu spät zum Zug komme.

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Und nun, kaum 50 Jahre später, ging wieder alles von vorne los. Die Stadt wurde dabei zum Spielball überregionaler, politischer Interessen. Ab November 1918 wurde das Walchenseekraftwerk gebaut. Dafür wurde das Isarwasser abgeleitet. Die Projektplaner um Oskar von Miller entzogen so der Flößerei im Isarwinkel die Grundlage. Als Ausgleich beschloss der Bayerische Landtag noch im Jahr 1918, dass die Bahnstrecke München-Holzkirchen-Tölz um 9,5 Streckenkilometer nach Lenggries verlängert wird. Außerdem sollten fast 45 Kilometer Waldbahnen nach Vorderriß, Jachenau und Walchensee errichtet werden. Sie sollten künftig das Holz aus den Isarwinkler Wäldern abtransportieren.

Alter Bahnhof in Bad Tölz war ein Kopfbahnhof

Der Weltkrieg und seine Folgen änderten alles. Ab 1920 war die Reichsbahn für die früher eigenständige bayerische Staatseisenbahn zuständig. Und das Reichsverkehrsministerium der Weimarer Republik sah sich nicht in der Pflicht, die in ihren Augen historischen königlich-bayerische Versprechungen zu erfüllen. Nach langen Verhandlungen wurde immerhin der Bahn- und Bahnhofsbau zugesagt. Die Waldbahnen fielen freilich unter den Tisch.

Für den Bahnbau nach Lenggries mussten 485 000 Kubikmeter Erde bewegt werden. Das Foto zeigt einheimische Arbeiter, die für den Bau rekrutiert wurden.
Für den Bahnbau nach Lenggries mussten 485 000 Kubikmeter Erde bewegt werden. Das Foto zeigt einheimische Arbeiter, die für den Bau rekrutiert wurden. © cs

Ein neuer Bahnhof war in Tölz deshalb nötig, weil die alte Station ein Kopfbahnhof war und ein Durchgangsbahnhof mit mehr Raum benötigt wurde. Die Wahl der Planer fiel aufs hintere Mühlfeld, obwohl der morastige Untergrund aufwendige Fundamentierungsarbeiten nötig machte. Der Bahnhof wurde tatsächlich auf einem Wald von Betonpfählen errichtet. Auch der Bahnbau nach Lenggries erwies sich als schwierig. Im Bereich der heutigen Tölzer Umgehungsstraße kam es immer wieder zu Erdrutschen am Gaißacher Hang. Zum 25-jährigen Jubiläum erinnerte man sich in den „Tölzer Nachrichten“ daran, dass sogar ein Wünschelrutengänger angeheuert wurde, um die Grundwasserströme zu ermitteln. Offenbar mit Erfolg. Die Arbeiten liefen planmäßig weiter.

Ein Rutengänger musste helfen

Das waren die eher technischen Probleme. Die Stadt Bad Tölz stand nämlich vor der He㈠rausforderung, ihre städtebauliche Struktur und Verkehrswege völlig neu konzipieren zu müssen. Postamt, Forstamt und viele Geschäfte, die sich entlang des Weges zum alten Bahnhof angesiedelt hatten, lagen nun abseits. Und die Straße zum neuen Bahnhof (Salzstraße) war bis dato mehr oder minder ein Hohlweg, über den Fußgängerstege – man sieht sie auf alten Ansichten – führten. Der Tölzer Osten musste praktisch neu erschlossen und die städtebaulichen Achsen neu justiert werden.

Das kostete viel Geld – und Nerven. Im September 1921 ereigneten sich, auch das gab es früher schon, Protestversammlungen wütender Tölzer Bürger. Wie in dem Buch „Bad Tölz: Rare Fotos, vergessene Geschichte(n) 1920 bis 1950“ nachzulesen ist, gab es eine Bürgerversammlung im Bruckbräusaal. Dabei entlud sich ein Sturm der Entrüstung und es wurde eine Resolution beschlossen: Der Tölzer Bahnhof müsse bleiben, wo er ist.

Einen Monat später machten Vertreter des Verkehrsministeriums dem städtischen Magistrat mit Bürgermeister Alfons Stollreither an der Spitze bei einem Ortstermin unmissverständlich klar, dass an der Bahnhofsverlagerung nicht zu rütteln sei. Bei den nun folgenden Verhandlungen ging es natürlich ums Geld. Die Stadt erwartete mindestens 1,6 Millionen Reichsmark, das Ministerium sprach von einer halben Million. Die bald darauf einsetzende Inflation macht es fast unmöglich, die tatsächlichen Kosten aller Maßnahmen zu beziffern.

Erster Zug trifft pünktlich ein

Jedenfalls wurde bis zur Eröffnung des neuen Bahnhofs die neue Bahnhofstraße errichtet. Dafür wurde das Straßenniveau deutlich angehoben und die Trasse begradigt. Mehrere private Gebäude und Lagerkeller mussten abgerissen werden; ebenso die Holzbrücken zur Ellbachzeile.

Am Eröffnungstag  reisten die Ehrengäste, unter ihnen der Bayerische Ministerpräsident Heinrich Held, mit dieser Dampflokomotive an. Dabei  handelt es sich um eine pfälzisch-bayerische PT 3/6.
Am Eröffnungstag reisten die Ehrengäste, unter ihnen der Bayerische Ministerpräsident Heinrich Held, mit dieser Dampflokomotive an. Dabei handelt es sich um eine pfälzisch-bayerische PT 3/6.  © cs

Am 3. September 1924 war aller Ärger vergessen: Pünktlich um 9.48 Uhr traf der mit Girlanden verzierte Zug aus München ein, in dem die auch die zahlreichen Ehrengäste anreisten. Nach dem Festakt mit vielen Lobesreden setzte sich der Zug wieder in Bewegung in Richtung Lenggries, wo 35 Jahre nach den ersten Bemühungen um einen Gleisanschluss nun auch das Tor zur Welt geöffnet wurde. (cs)

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